Toyota Carina:Keine besonderen Vorkommnisse

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Ein etwas tristes Design, aber gute Ausstattung und sparsame Motoren

(SZ vom 13.06.1992) Hand aufs Herz: Wann haben Sie zum letztenmal ganz bewußt einen Carina gesehen? Na? Sie können sich nicht mehr genau erinnern? Dabei ist das Mittelklasse-Modell von Toyota bestimmt keine Ausnahmeerscheinung auf unseren Straßen. Im Gegenteil: Pro Jahr werden hierzulande rund 20 000 Carina abgesetzt; vom neuen Modell will man sogar 35 000 Stück verkaufen. Trotzdem hinterließ der familientaugliche Japaner im Straßenbild bislang keinen bleibenden Eindruck. Das Design gab sich selbst nach dem vierten Modellwechsel immer noch brav und bieder, die Technik war - abgesehen vom anfangs unausgewogenen Magermixmotor - gutes Mittelmaß, und auch den Fahreindruck durfte man ohne schlechtes Gewissen relativ schnell wieder vergessen.

Das neue Modell, das von sofort an bei den Händlern steht, hat dieses Graue- Maus-Image noch nicht ganz überwunden. Aber der neue Jahrgang ist doch in vieler Hinsicht reifer, attraktiver und ein klein wenig mutiger geworden. Die Karosserie ist beispielsweise eine ganze Nummer hübscher ausgefallen. Sie bietet innen praktisch soviel Platz wie ein Passat, ist übersichtlich, liegt gut im Wind (Cw = 0.30), hat einen großen Kofferraum (Schrägheck: 470 Liter; Stufenheck: 540 Liter) und ist tadellos verarbeitet. Trotzdem schlägt unser Herz beim Anblick des neuen Blechkleides um keinen Takt höher, denn das Carina-Design wirkt nach wie vor anonym, wenig ausdrucksstark, verwechselbar. Dieser Toyota könnte genausogut ein Nissan, ein Hyundai oder ein Chrysler sein - die wenigsten würden den Unterschied merken.

Hinter der etwas nichtssagenden Fassade verbirgt sich modernste Sicherheitstechnik. In den Türen lauern dicke Flankenschutzrohre auf die Sekunde X, die Karosseriestruktur ist auf die schlimmsten Eventualitäten vorbereitet, und gegen Aufpreis sorgt ein Airbag dafür, daß im Falle eines Unfalls wenigstens der Fahrer einen heilen Kopf behält. Der Aufbau ist an allen Ecken und Enden verstärkt, von hochfesten Blechen durchzogen, besonders clever in sich verschränkt sowie an den neuralgischen Punkten doppelt und dreifach verschweißt. Dieser Aufwand zählt nicht nur beim Crash, sondern auch im Alltag, wenn die in sich gefestigte Karosserie Vibrationen unterdrückt und den Dröhnpegel mit Hilfe einer Vierschicht-Isolierung auf ein Minimum reduziert.

Das Interieur ist so unauffällig und funktionell wie das Exterieur. Das Armaturenbrett weckt Assoziationen an einen Münzfernsprecher: Man findet sich auf Anhieb zurecht, aber das Ding weckt null Emotionen. Soll es auch nicht, sagt Toyota, und verweist auf die fehlerfreie Ergonomie. In der Tat ist der Carina eines der wenigen japanischen Autos, in denen wirklich alle Tasten, Knöpfe und Hebel in Blick- und Griffweite placiert sind. Das Platzangebot kann ebenfalls zufriedenstellen, wobei sich vor allem die Fondpassagiere über ein deutliches Plus an Beinfreiheit freuen dürfen.

Materialien und Farbgebung wirken dagegen ziemlich trist. Insbesondere das XLi-Basismodell erinnert eher an Eisenach als an Toyota City. Außerdem ist der XLi (von 27 720 Mark an) ziemlich karg ausgestattet. Wer auf Komfort (elektrisch verstellbare Spiegel, Fensterheber, Zentralverriegelung) und Sicherheit (ABS) nicht verzichten will, muß zum GLi-Paket greifen, das von 30 980 Mark an zu haben ist. Eine Außenseiterrolle spielt der 43 530 Mark teure GTi mit 158 PS, der zwar richtig gut ausgestattet ist (Airbag, SSD, Alufelgen), aber nur unwesentlich temperamentvoller ist als der 98 kW (133 PS) starke 2.0 GLi.

Das Fahrwerk entspricht den Erwartungen. Rundum kommen Federbeine und Querlenker zum Einsatz, die über kompakte Hilfsrahmen vom Aufbau entkoppelt sind. Der GTi besitzt als einziges Modell eine Doppelquerlenker-Vorderachse, die für ein Plus an Fahrstabilität und ein Minus an Antriebseinflüssen sorgen soll. Während alle Varianten über eine Servolenkung verfügen, glänzt nur der GTi mit Scheibenbremsen auch an den Hinterrädern. Die je nach Motorisierung unterschiedlichen Reifenformate reichen von 175/70 HR14 (XLi) bis zu standesgemäßen 195/60 VR15 (GTi). Eine Selbstverständlichkeit ist inzwischen auch das Fünfgang-Getriebe, das sich - wie immer bei Toyota - wunderbar leicht und exakt schalten läßt. Wer den Kupplungsfuß entlasten möchte, kann sich getrost der 2.0- Liter-Automatikversion anvertrauen (von 35 430 Mark an), die dank Power-Economy-Wählschalter und Overdrive dem Beschäftigungsdrang noch immer genug Freiraum läßt.

Drei Motoren stehen zur Auswahl:

o 1,6 Liter Magermix: 79 kW (107 PS), 0-100 km/h in 11,4 Sek., Vmax 190 km/h, Drittelmixverbrauch 6,5 l/100 km.

o 2,0 Liter GLi: 98 kW (133 PS), 0-100 km/h in 9,0 Sek., Vmax 205 km/h, Drittelmixverbrauch 7,7 l/100 km.

o 2,0 Liter GTi, 116 kW (158 PS), 0-100 km/h in 8,4 Sek., Vmax 215 km/h, Drittelmixverbrauch 8,5 l/100 km.

Neuer Magermixmotor

Vom GTi würden wir eher abraten. Er ist zu teuer, relativ laut, relativ hart und im unteren Drehzahlbereich relativ schlapp. Die GLi-Version hinterläßt einen viel ausgewogeneren Eindruck. Sie bietet gute Fahrleistungen bei günstigem Verbrauch. Das interessanteste Modell ist aber doch der 1,6 GLi mit dem neuen Magermixmotor. Der 16-Ventiler mit dem Dreiwege- Katalysator konsumiert rund 15 Prozent weniger als ein vergleichbares Triebwerk mit konventioneller Gemischbildung. Der Trick dabei: Das Kraftstoff-Luftgemisch wird von 1:14,7 auf 1:22 angehoben, das Benzin also stärker mit Luft verdünnt. Damit sich der Motor beim Beschleunigen nicht verschluckt, wird der Kraftstoff über Zwillingsdüsen direkt in die Ansaugkanäle eingespritzt. Für einen sauberen Verbrennungsablauf sorgt der Magermixsensor, der das aktuelle Benzin-Luftgemisch erschnüffelt und die Daten an die Steuerungselektronik weitergibt.

Der größte Vorteil des Magermix-Konzepts ist der geringe Verbrauch, der beinahe schon auf Diesel-Niveau liegt: 4,9 Liter bei konstant 90 km/h sind ein exzellenter Wert. Der größte Nachteil ist nicht mehr das kritische Abgasverhalten, sondern das hohe Geräuschniveau. Selbst der überarbeitete Magermix-Motor ist immer noch zu laut und wirkt speziell in höheren Drehzahlbereichen ziemlich unkultiviert. Dafür lockt der Asket unter den Benzinmotoren mit einer harmonischen Drehmomentkurve, die zwischen 2500 und 5000 Touren mehr als 95 Prozent des Höchstwerts bereitstellt. Der 2,0-Liter GLi-Treibsatz ist ebenfalls relativ durchzugsstark, aber auch er ist bei hohen Drehzahlen kein Muster an Laufkultur. Diese hohen Drehzahlen sind leider unvermeidlich - die 1,6-Liter-Maschine benötigt 6000 Touren zum Heranschaffen der Nennleistung, der GTi zieht gar erst bei 7300/min die Notbremse.

Carina fahren ist wie Carina sehen - keine besonderen Vorkommnisse. Der Wagen geht gut, läßt sich gut schalten und bremst brav, vor allem mit ABS. Die Lenkung ist jetzt steifer, selbstsicherer als zuvor; sie vermittelt mehr Fahrbahnkontakt, mehr Souveränität, mehr Präzision. Indifferenz und Nervosität sind dafür auf der Strecke geblieben. Die Straßenlage ist ordentlich, aber der Grip könnte - vor allem auf Nässe - besser sein. Gleiches gilt für die Traktion beim Ampelstart, wo die bissige Kupplung mit dem übereifrigen Gaspedal um die Wette hetzt. Das Handling ist von der gutmütigen Art. Der Wagen beginnt relativ früh mit dem Untersteuern, legt sich dann mit warnend geneigtem Aufbau in die Kurve, um schließlich verärgert über die Vorderräder abzuschmieren. Lastwechselreaktionen sind nur auf nasser Straßer ein Thema. Der Fahrkomfort verdient das Prädikat 'gutbürgerlich'. Federn und Dämpfer geben sich keine Blößen, doch der Motor - siehe oben . . .

Fazit: Der neue Carina ist immer noch eine ziemlich graue Maus. Doch sie hat jetzt leuchtende Augen, einen sauber getrimmten Schnurrbart und ein farbiges Mascherl im Haar. Will sagen: Die Richtung stimmt, aber beim Katzensprung ins Ziel schaut vermutlich wieder keiner zu.

Von Georg Kacher

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