Tokyo Motor Show:Messe paradox

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Auf der Automesse in Japan spielt neben Luxus und Leistung auch der verbrauchsarme Diesel eine Hauptrolle.

Joachim Becker

Was ist Urban Lifestyle? Und wie sieht das passende Auto dazu aus? So wie das "metroproject quattro" von Audi? Laut Vorstandschef Rupert Stadler ist das Fahrzeug, das bis zu 100 Kilometer elektrisch fahren kann, "für urbane Metropolen wie Tokio gedacht". Solche Hybride und Elektro-Autos sind in der japanischen Hauptstadt mächtig in Mode - wenigstens auf dem Messegelände.

Außerhalb der Tokio Motor Show, die an diesem Wochenende ihre Tore fürs Publikum öffnet, sieht das Straßenbild etwas anders aus: Schwarze und weiße (!) Chauffeurslimousinen stehen im Berufsverkehr dicht an dicht. Der Mercedes S 600 mit zwölf Zylindern ist bei Topmanagern besonders beliebt, obwohl der Verkehr meist im Kriechtempo unterwegs ist. Dass Japaner für europäische Luxusautos horrende Einfuhrzölle zahlen, tut auch Rolls-Royce keinen Abbruch. Nur in Beverly Hills sieht man die Kühlerfigur Emily noch häufiger als in Japans Megacity.

Futuristische Studien und Traumwagen

Messe paradox: Auf der Tokio Motor Show stehen futuristische Studien und traditionelle Traumwagen Stoßstange an Stoßstange. Lamborghini, Bentley, überhaupt alle europäischen Premiummarken haben hier ihren großen Auftritt. Als bewährte Prestigesymbole vermitteln sie in Asien Stilsicherheit und internationale Akzeptanz. Verbrauch und Emissionen spielen angesichts des demonstrativen Überflusses eine Nebenrolle.

Dabei scheint nachhaltige Mobilität in Tokio (wie auf der IAA in Frankfurt) das Zukunftsthema schlechthin zu sein: Kaum eine Messestudie kommt ohne elektrischen (Assistenz-)Motor aus, kaum ein Hersteller, der dafür keine eigenen Lithium-Ionen-Batterien entwickelt.

Emissionsfrei zur Arbeit in die Stadt, heißt die gemeinsame Vision. Doch an der Optik scheiden sich die Geister: Allein Toyota versucht mit zehn Studien herauszufinden, welche Blechkleider zu Hybriden und Elektrofahrzeugen passen. Der kunterbunte Designwettbewerb wirkt auf den europäischen Betrachter wie eine Mischung aus kreativem Aufbruch und stilistischer Orientierungslosigkeit.

Erlaubt ist, was gefällt: Das Spektrum reicht vom rollenden Teehaus mit grünen Panoramafenstern und eingebautem Entspannungseffekt (Toyota-Studie Rin), bis zur Knutschkugel Nissan Pivo 2. Während frei justierbare Räder dem städtischen Einparken seinen Schrecken nehmen, sorgt ein sprechender Computer mit Kindergesicht für gute Laune in der 360 Grad drehbaren Kabine.

"Japanische Frauen im Alter zwischen 20 und 40 reagieren begeistert auf den Robotic Agent, der die Stimmung des Fahrers anhand seiner Mimik erkennen kann", sagt Takeshi Mitamura. Der Nissan-Mobilitätsforscher gibt aber zu, dass der rollende Frauenversteher zu verspielt für den europäischen Geschmack sein könnte.

Trotz CO2-Debatte zählt die Sportlichkeit

Mitsubishi versucht mit dem tropfenförmigen i-MiEV Sport eher dynamische Fahrer für die Zukunft zu gewinnen. In die Vorderachse des kompakten Elektrofahrzeugs sind zwei Motoren mit jeweils 20 kW (27 PS) integriert, hinzu kommt ein 47 kW (64 PS) starkes Elektroaggregat in der Hinterachse. Das Konzeptauto soll bis zu 180 km/h schnell sein, die Reichweite wird mit 200 Kilometer angegeben. Dass die Akkus für solche Leistungen tief entladen werden müssen und darum schnell altern, wird die Nachhaltigkeit des Batterieantriebs sicher nicht unbedingt fördern.

Dynamik ganz ohne Verbrennungsmotor wird auch in der nächsten Dekade ein exklusiver Luxus bleiben. Erschwinglicher soll der Hybridantrieb mit dem Honda CR-Z werden, der in ähnlicher Form 2009 an den Start gehen könnte. Die Studie verzichtet auf Öko-Look und Kindchen-Schema, stattdessen zielen ein großes Kühlermaul, scharfe Linien und eine ausgeprägte Keilform auf die Herzen der Sportwagenfreunde. Mit einem Preis von rund 20 000 Euro soll der kompakte Zweitürer auch für jüngere Käufer erschwinglich werden.

In einer anderen Hybrid-Liga spielt die Lexus-Crossover-Studie LF-Xh mit ihrem V6-Benziner. Der potentielle Nachfolger des RX 400h kombiniert wie der BMW X6 eine Coupé-Form mit Offroad-Eigenschaften.

Sportlichkeit hat auch in Zeiten der CO2-Debatte nichts an Faszination eingebüßt. Der neue Nissan GT-R in Corvette-Optik, die Audi-A1-Studie und das BMW-Coupé-Konzept Einser tii im schwarzweißen Renntrimm baden förmlich im Blitzlichtgewitter. In der überregulierten Enge der japanischen Gesellschaft haben solche Autos offensichtlich Ventilfunktion. An der Risikoscheu japanischer Hersteller ändern aber weder futuristische Studien noch die Exoten aus Europa etwas.

Megatrend bei den Kleinwagen bleibt das Box-Design. Rollende Kisten wie der Mini, der Daihatsu Materia und Suzuki Palette lassen sich auch künftig weiter variieren. Als Öko-Kiste im Hochkantformat präsentiert sich die Toyota-Studie Hi-CT, die bei minimalem Platzbedarf viel Variabilität verspricht - und trendgemäß einen Plug-in-Hybrid an Bord hat.

Wer erfolgreich ist, wird kopiert: Dieses Muster könnte auch dem Selbstzünder zum Durchbruch verhelfen, der in Japan bislang ein Schattendasein führt. Marktforscher von J. D. Power sagen ein Wachstum des Dieselanteils in Japan von 0,2 Prozent auf zwölf Prozent im Jahr 2015 voraus.

"Alles deutet darauf hin, dass der Clean Diesel in Japan salonfähig wird", bestätigt VDA-Präsident Matthias Wissmann. Von den 71 Weltpremieren auf der Messe sind zwar nur die wenigsten mit einem Ölbrenner bestückt. Doch als Exponate stehen sie neben Elektroantrieben und Brennstoffzellen auf jedem Messestand der Japaner.

Mitsubishi wagt es sogar, Vierzylinder-Diesel in Konzeptfahrzeuge einzubauen. Die CX-Studie eines kompakten SUV tritt mit einem 1,8-Liter-Diesel an, der 100 kW (136 PS) leistet. Das Limousinenkonzept ZT ist mit einem 140 kW (190 PS) starken 2,2-Liter-Motor ausgerüstet. Ankündigungen zur Markteinführung in Japan bleiben allerdings Mangelware. Mitsubishi-Präsident Osamu Masuko schweigt in seiner Messerede zum Thema Diesel und schwärmt lieber von seinem Elektroauto i-MiEV.

Der Diesel soll eine größere Rolle spielen

Lediglich Renault-Partner Nissan ist unter den Japanern kühn genug, den Europäern mit einem V6-Clean-Diesel Paroli zu bieten. Die Intima-Studie einer Reiselimousine ist der Platzhalter für den künftigen Nissan Maxima: "2010 werden wir den US-Markt mit einem V6-Diesel testen, 2009 wird der Nissan X-Trail mit einem Vierzylinder-Turbodiesel in Japan auf den Markt kommen", kündigt Carlos Tavares an, der für die weltweite Produktplanung verantwortlich ist.

Audi und BMW werden ihre Clean Diesel in Q7 und X5 bereits 2008 in allen 50 US-Staaten einführen. Dank der SCR-Abgasreinigung mittels Harnstoff erfüllen die Sechszylinder selbst kalifornische Emissionsvorschriften.

Mercedes hat dort bereits vor zwei Wochen mit dem E 320 Bluetec Premiere gefeiert. Die 165 kW (224 PS) starke Limousine kommt mit einem NOx-Speicherkat aus, den auch die Japaner für ihre Clean Diesel vorgesehen haben. Mit einem praxisnahen Durchschnittsverbrauch von 6,7 Liter je 100 Kilometer und einer Reichweite von 1200 Kilometer ist der E 320 Bluetec vergleichbaren Hybrid-Benzinern deutlich überlegen.

Der Anteil des E 320 Bluetec am Absatz der E-Klasse in den USA beträgt bereits heute etwa 17 Prozent. Für die Zukunft erwartet Konzernchef Dieter Zetsche einen Absatzanteil der Mercedes-Diesel in den USA und Japan von gut 20 Prozent. Ob Hybrid- und Elektrofahrzeuge da mithalten können?

© SZ vom 27.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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