SZ-Forum Verkehr: Infrastruktur als Wettbewerbsfaktor:Volle Straßen, leere Schienen

Lesezeit: 3 min

Experten warnen vor einem drohenden Verkehrskollaps, während Spediteure und Naturschützer die Bahn kritisieren.

Von Marion Zellner

Der Staat ist verschuldet, Länder und Gemeinden kämpfen um jeden Cent, der nicht aus dem eigenen Budget bezahlt werden muss, der wirtschaftliche Aufschwung will nicht richtig in Gang kommen. Eine wichtige Rolle bei der dringend notwendigen Belebung der Wirtschaft spielen die Verkehrssysteme in Deutschland. Aber: Wie leistungsfähig sind sie heute? Sind Verkehrswege für das stetig wachsende Verkehrsaufkommen gerüstet?

Prognosen zufolge wird es auf den deutschen Autobahnen in Zukunft noch enger werden. (Foto: Foto: dpa)

Darüber diskutierten Experten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft anlässlich des SZ-Forums Verkehr "Infrastruktur als Wettbewerbsfaktor", moderiert von Marc Beise, stellvertretender Ressortleiter Wirtschaft der Süddeutschen Zeitung.

Zwei Drittel mehr Güterverkehr

Bis zum Jahr 2015 wird, so die Prognosen, der Güterverkehr um rund 65 Prozent, der Personenverkehr um mehr als 20 Prozent zunehmen. "Über die Wünsche für einen dringend notwendigen Ausbau sind sich alle einig. Aus welchen Töpfen das aber bezahlt werden soll, weiß niemand", so Werner Rothengatter, Professor am Institut für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung der Universität Karlsruhe.

"Im Straßenbau fehlen uns rund 330 Millionen Euro" , bestätigte Andreas Krüger, Unterabteilungsleiter für Straßenbau im Bundesverkehrsministerium. Sollten die geplanten Kürzungen des Verkehrs-Etats im Juni für den Haushalt 2005 beschlossen werden, sieht Krüger schwarz - zwar müssten geplante Baumaßnahmen nicht gestrichen, aber doch verschoben werden.

Ziel sei im Moment der Erhalt der Straßen - auch wenn er wisse, dass der Erhalt "keine Lobby" habe. Allerdings: Ohne Geld werde es mehr Tempolimits wegen schlechter Straßen geben, weil die Trassen aus den 60er und 70er Jahren auf diese Belastung nicht ausgelegt seien.

"Das ist doch keine echte Verkehrspolitik"

Für Tilmann Heuser, Verkehrsexperte beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), wird zu viel Wert auf den Straßenbau gelegt. Rund 2500 solcher Projekte gebe es im Verkehrs-Wegeplan des Bundes. "Das ist doch keine echte Verkehrspolitik", so Heuser.

Seiner Meinung nach müsse mehr in die Schiene investiert werden. Zum Beispiel durch eine Unterstützung der Schiene durch die Einnahmen der Lkw-Maut. Gesamtkonzepte seien notwendig und "keine Autobahnen, die die Auslastung einer Bundesstraße erreichen, wie es im Osten Deutschlands der Fall ist".

In einer finanziell besseren Position sieht sich der Geschäftsführer des Münchner Flughafens, Walter Vill. Denn die Entwicklung des Flughafens werde aus den Erlösen finanziert und nicht von der öffentlichen Hand. Zudem erkenne er eine "gute Balance" zwischen Umweltinteressen und Infrastruktur. Denn eine von der Flughafen München GmbH jüngst durchgeführte Befragung der Airport-Anrainer ergab eine 80-prozentige Akzeptanz der Landschaftsschutzmaßnahmen. "Ein Beweis für den vernünftigen Umgang mit dem Umweltschutz", meinte Walter Vill.

"Apokalyptische Zustände"

Für Ulrich Bönders, Vorsitzender der Arbeitgeberverbände des Verkehrsgewerbes in Nordrhein-Westfalen und mittelständischer Logistik-Unternehmer, ist das alles Theorie. Denn in der Praxis müsse heute der Straßengüterverkehr 80 Prozent der gesamten Transportleistung erbringen, gerade einmal zehn Prozent fielen auf die Bahn. "Ich muss täglich die Straße nutzen, ob ich will oder nicht." Angesichts der Verkehrsprognosen erwartet er in den kommenden 15 Jahren "apokalyptische Zustände".

Zumal die Bahn eine Entlastung der Straße gar nicht leisten könne, denn von den 80 Prozent Güterverkehr seien gerade einmal 20 Prozent Fernverkehr, das andere entfiele auf Verteiler-Fahrten. Zudem meinte Bönders, dass die Bahn über kurz oder lang den Güter-Verkehr sowieso "abschaffe, da er nicht mehr profitabel" sei. Helfen würde eine Trennung von Netz und Betrieb, meinte Werner Rothengatter. Besser wäre, wenn die Netze nationale Hoheit behielten, die Betreiber allerdings privatisiert würden.

"Monopol der Bahn aufheben"

Mit der Zukunft befasst, sieht Walter Hell, Leiter des Instituts für Mobilitätsforschung, zwei denkbare Szenarien auf das Transitland Deutschland zukommen. Mit erheblichem finanziellen Aufwand für Ausbau und Erhalt der Infrastruktur könne man trotz Verkehrszuwächsen "so mobil sein wie heute".

Dafür müssten aber schnell Entscheidungen getroffen werden. Etwa müsse man die Monopolstellung der Bahn aufheben, denn "Wettbewerb löst Qualität aus", so Hell. Andererseits würde ein so genanntes Wurschtel-Szenario eintreten. Das heißt, man "wurschtle so weiter wie heute". Dann aber - und das blieb unwidersprochen - hätte der Standort Deutschland im Jahr 2020 "ein tatsächlich großes Problem".

© Süddeutsche Zeitung Nr. 115, Mittwoch, 19. Mai 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: