Sicherheit:Oben ohne nur am Straßenrand

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Der Sicherheitsgurt wird 30 Jahre alt. Zu Anfang massiv angefeindet, ist der Lebensretter Nummer eins längst über alle Zweifel erhaben.

Marion Zellner

Der Sicherheitsgurt ist Lebensretter Nummer eins - was sich heute wie eine Binsenweisheit liest, war zu Beginn seiner strammen Karriere alles andere als klar. Denn als vor genau 30 Jahren, am 1. Januar 1976, für den deutschen Autofahrer die Anschnallpflicht eingeführt wurde, schlugen die Wellen so hoch, als stünde der Untergang des automobilen Abendlandes bevor. Von "staatlich verordnetem Selbstmord" sprachen die Gegner. Horrorszenarien von strangulierten Unfallopfern wurden heraufbeschworen, Autofahrer würden sich - gefesselt im Auto - vor eindringendem Wasser oder lodernden Flammen nicht mehr befreien können, wurde befürchtet.

Unentbehrlicher Lebensretter: der Dreipunkt-Sicherheitsgurt im Auto (Foto: Foto: Photodisc)

Die Gurt-Befürworter konterten mit anschaulichen Beschreibungen von entstellten Gesichtern samt Erblindung, gebrochenen Halswirbelsäulen, zerschmetterten Brustkörben und zerrissenen inneren Organen sowie Querschnittslähmungen. Sicherheitskampagnen wurden gestartet, mehr oder weniger berühmte Menschen präsentierten im Selbstversuch den Nutzen des Gurtes.

Mediale Abwägung

Der Spiegel widmete dem Thema sogar eine Titelgeschichte und stellte die Frage: "Soll und darf der liberale Staat die Auto-Bürger zum Überleben zwingen?" Die Süddeutsche Zeitung befand, dass "die Einschränkung der persönlichen Freiheit durch Anschnallen dem Kraftfahrer" zuzumuten sei, "weil er die Allgemeinheit der Mitglieder in Kranken- und Unfallversicherung an den Kosten für Operationen und Krankenpflege beteiligt".

Solche Gedanken hatten die Tüftler in den zwanziger Jahren noch nicht. Damals sollte ein Gurt im Fahrzeug die Insassen davor schützen, während der Fahrt aus den noch wenig ruhig laufenden Autos zu fallen. Zukunftweisender waren dagegen die Überlegungen des Schweden Nils Bohlin, der sich die Erfindung des Dreipunkt-Sicherheitsgurtes bereits 1959 patentieren ließ. Er erkannte die Notwendigkeit der kontrollierten Rückhaltung der Passagiere durch den Gurt bei der Verzögerung durch einen Unfall. Im Gegensatz zu den Widersachern der Gurtpflicht wertete das Patentamt in München die Idee Bohlins damals als eine der acht wichtigsten Erfindungen für die Menschheit.

Heute ist der Nutzen des Gurts keine Frage mehr. Allerdings war der Staat zu Anfang offensichtlich selbst nicht ganz sicher, in wieweit er seine Auto fahrenden Bürger an die Leine legen konnte. Deshalb wurde die Pflicht, sich auf den Vordersitzen anzugurten, zwar eingeführt, doch: "Eine Zuwiderhandlung gegen diese Vorschrift wird nicht geahndet", hieß es zunächst ergänzend. Es gab also kein Bußgeld.

Ein Volk in Banden

Das folgte in Höhe von 40 Mark erst am 1. August 1984, zeitgleich mit der Einführung der Gurtpflicht auf den Rücksitzen. Dümpelte bis dahin die Anschnallquote meist um die 60-Prozent-Marke, wie die Zahlen der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) zeigen, so schnellte sie von Sommer 1984 an abrupt in die Höhe und bewegt sich seitdem für Fahrer und Beifahrer bei etwa 95 Prozent; Fondpassagiere sind heute zu 90 Prozent angegurtet.

Die Einführung von Verwarnungsgeld, heute übrigens 30 Euro, ließ nicht nur die Kasse klingeln, sondern widerlegte auch die Bedenkenträger der Einführungsphase. Denn schon innerhalb des ersten Jahres, von Sommer '84 bis Sommer '85, starben 1400 Menschen weniger bei Autounfällen. "Zudem bestätigte sich, dass die Gefahr von negativen Auswirkungen des Gurtes extrem gering ist", erinnert sich Klaus Langwieder, der als Unfallforscher jahrelang den Nutzen des Gurtes untersuchte. So ist er auch davon überzeugt, dass bei einer 100-prozentigen Anschnallquote, "in Deutschland jährlich bis zu 600 getötete Pkw-Insassen weniger zu beklagen" wären.

Stark mit anderen Helferleins

In den vergangenen 30 Jahren hat sich der Gurt von einem relativ einfachen Band zu einem komplexen System entwickelt: Automatisches Aufrollen, Gurtstraffer, Gurtkraftbegrenzer und höhenverstellbarer Verankerungspunkt sind heute meist selbstverständlich.

Die Unfallforschung hat aber auch gezeigt, dass die Schutzfunktion des Dreipunkt-Gurts allein begrenzt ist. So wird beim Aufprall mit Tempo 50 der Kopf des Fahrers trotz Gurt gegen das Lenkrad geschleudert. Seit gut zehn Jahren verhindert das der Airbag - gemeinsam senken sie das Verletzungsrisiko am Kopf um 40 Prozent. Auch gegen vermeintliche Risiken des Airbags gab es übrigens Widerstände. Er wird's überstehen, genau wie der Sicherheitsgurt.

© SZ vom 24. / 25. - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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