Senioren im Verkehr:Wenn der Körper Grenzen setzt

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Ältere Autofahrer bekennen sich selten oder zu spät zu ihren spezifischen Defiziten - mit riskanten Folgen.

Marion Zellner

Alt - ein Wort, das bei Möbelstücken oder erlesenem Wein ausgesprochen wohlwollend verwendet wird. Für Menschen gilt das nicht, jedenfalls nicht in unserer Gesellschaft. Alt sein ist ein Reizthema in Deutschland; alt gilt als Synonym für krank, abgeschrieben, einsam.

Setzte sich im Wahlkampf noch selbst hinters Lenkrad: Thüringens ehemaliger Ministerpräsident Bernhard Vogel (Foto: Foto: Reuters)

Und: Viele Menschen wollen zwar alt werden, aber nicht alt sein. Das zeigt sich etwa daran, dass immer mehr Frauen und Männer bis ins hohe Alter Auto fahren. Denn Autofahren ist in Deutschland die Form von Mobilität, die am stärksten mit Aktivität, Jungbleiben und Dabeisein verbunden wird.

Dabei steigt die Zahl der älteren Autofahrer in Zukunft deutlich. So wird im Jahr 2020 ein Drittel aller Automobilisten in Deutschland älter als 60 Jahre sein. Senioren werden in Anbetracht ihres Anteils von 18 Prozent an der Gesamtbevölkerung eher selten bei Verkehrsunfällen verletzt; gemessen an allen Verunglückten lag ihr Anteil laut Statistischem Bundesamt in Wiesbaden im vergangenen Jahr bei etwa neun Prozent.

Zum Vergleich: Das Risiko junger Frauen und Männer im Alter zwischen 18 und 24 Jahren lag deutlich höher. Mehr als jeder fünfte Verunfallte (21 Prozent) gehörte zu dieser Altersgruppe; ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung betrug dagegen nur 8,2 Prozent.

Natürliche Leistungseinbußen

"Auch wenn Alter an sich keine Krankheit ist, so kommt es im Alter doch zu natürlichen Leistungseinbußen", so die Medizinerin Martina Albrecht von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) bei einem Seminar des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) zum Thema Senioren im Straßenverkehr. So sehen ältere Menschen zunehmend schlechter, Gedächtnis, Reaktionsfähigkeit und Aufmerksamkeit lassen nach. Aber auch die Beweglichkeit ist vermehrt eingeschränkt. Die Folge: Fehler am Steuer häufen sich.

Diese Leistungseinschränkungen zeigen sich auch deutlich in der Art der Unfälle, die Senioren verursachen. Am häufigsten machen sie Fehler bei der Vorfahrtsregelung und beim Abbiegen. Und: Je älter die Autofahrer sind, desto häufiger sind sie auch alleiniger Unfallverursacher. Bei den über 75-Jährigen liegt der Anteil mit gut 75 Prozent aller Unfälle sogar über dem der Risikogruppe der jungen Fahrer.

Fließende Verschlechterung

Die Verschlechterung der Leistungfähigkeit, "die meistens fließend verläuft", so Katharina Dahmen-Zimmer, Psychologin an der Universität Regensburg, kompensieren Senioren "durch Fahrpraxis, Erfahrung und ihr Verhalten". Denn: Sie vermeiden anspruchsvolle Fahrten. Senioren fahren meist nicht mehr bei Dunkelheit, schlechtem Wetter und auf ihnen unbekannten Strecken. Zudem legen sie weniger Kilometer zurück.

Allerdings zeigt sich auch, dass bei Fahrern über 70 Jahre, die jährlich bis zu 7500 Kilometer unterwegs sind, das Unfallrisiko doppelt so hoch ist, als bei den Gleichaltrigen, die deutlich mehr fahren. Wer sogar 17.500 Kilometer und mehr im Jahr zurückgelegt, hat nur ein Drittel des Risikos der Wenigfahrer.

Letztendlich treten ab einem Alter von etwa 60 Jahren auch mehr Krankheiten wie Bluthochdruck, Rheuma, Diabetes oder Parkinson auf; zudem steigt das Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt. Die Folge: Viele ältere Autofahrer nehmen Medikamente. Zum einen ermöglichen die Arzneien oft erst wieder die Teilnahme am Verkehr, zum anderen gibt es Mittel, die die Verkehrstüchtigkeit gefährden können, so Medizinerin Albrecht.

Um auch den älteren Menschen sichere Mobilität zu ermöglichen, können Techniken im Auto, aber auch bauliche Maßnahmen bei den Straßen helfen. So werden den Systemen zur Umgebungserkennung, etwa Laser, Radar und Kameras, eine Schlüsselfunktion zukommen, meint Henning Wallentowitz vom Institut für Kraftfahrwesen der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule. Bereits entwickelte Fahrerassistenzsysteme "sind durchaus geeignet, ältere Fahrer zu unterstützen", so Wallentowitz.

Eindeutige Beschilderung

Dabei müsse es aber nicht immer eine hoch entwickelte Technik sein, die Senioren ihre Mobilitätswünsche erfüllt. Oft würde auch ein übersichtlicher Straßenbau und eine eindeutige Beschilderung bei der Orientierung und Einschätzung einer Verkehrssituation helfen. "Dadurch würde auch das Konfliktpotenzial zwischen den unterschiedlichen Verkehrsteilnehmern verringert werden", meint Dahmen-Zimmer.

Zudem zeigt eine derzeit noch laufende Studie, an der acht Länder der EU beteiligt sind, dass die meisten älteren Verkehrsteilnehmer selbst "gar kein großes Problem mit Mobilität im Alter haben", berichtet Heinz Jürgen Kaiser von Institut für Psychogerontologie der Universität Erlangen-Nürnberg. Viele Senioren fürchten aber die Rücksichtslosigkeit anderer, 75,4 Prozent der Befragten nannten sie als angsterzeugend.

Letztendlich macht nicht die Anzahl der Lebensjahre die Verkehrstüchtigkeit eines Menschen aus. Vielmehr gehe eine Gefährdung der Sicherheit von denjenigen aus, die ihre eigene Leistungsfähigkeit falsch einschätzen, so Martina Albrecht. Das gelte für jedes Alter - auch für Senioren.

© SZ vom 17. 12. 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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