Schöpfungsgeschichten:Die Schönheitskonkurrenz

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Unter strengster Geheimhaltung entwerfen die Audi-Designer die Autos von übermorgen: ein Blick hinter die Kulissen.

Von Stefan Mayr

Die Tür ins Jahr 2010 hat keine Klinke und ist grundsätzlich verriegelt. Wenige Auserwählte besitzen die richtige Magnetkarte, um vom unbestechlichen Lesegerät ins Reich der Zukunft vorgelassen zu werden. Auf dem Ingolstädter Werksgelände der Audi AG, das größer ist als das Fürstentum Monaco, sind mehr als 31.000 Menschen beschäftigt.

Leidenschaftliches Arbeiten an neuen Formen, Farben und sogar Gerüchen: "Wenn man denen nicht den Stift aus der Hand nimmt, dann zeichnen die bis zum jüngsten Tag", sagt Stefan Sielaff, Audi-Chefdesigner in Ingolstadt. (Foto: Foto: Audi)

Nur 150 davon haben Zutritt zur Abteilung ED: Dort werden die Autos von übermorgen entworfen und die Zukunft der Firma gestaltet. Die Werkstatt ist einerseits ein Hochsicherheitstrakt, den selbst Vorstandsmitglieder nur in Begleitung eines ED-Menschen betreten dürfen - und den noch kein Nicht-Audianer von innen gesehen hat. Andererseits herrscht nirgends im Konzern so große Freiheit wie hier: "Ich lasse meinen Leuten möglichst viel Freiraum", sagt Chefdesigner Stefan Sielaff, "da kommt zwar zwischendrin viel Schmarrn heraus, aber am Ende des Tages auch was ganz Tolles."

In den Studios hinter der Tür sitzen die Designer und überlegen sich, wie die Autos der Zukunft aussehen werden. Die Älteren halten ihre Ideen mit Wasserfarben auf einem Blatt Papier fest. Die jüngeren am Scratchpad, einem elektronischen Zeichenblock. Sielaffs Team hat ein Durchschnittsalter von 34, das Personal kommt aus allen Kontinenten der Welt, 40 Prozent sind Frauen.

"Design ist keine Sache von 9 bis 17 Uhr, sondern eine Lebenseinstellung"

Bei aller Individualität haben Sielaffs Mitarbeiters eines gemeinsam: Spaß am Gestalten und Geschmack. Vom Schnürsenkel des italienischen Luxus-Schuhs bis zur Haarspange ist bei ihnen alles aufeinander abgestimmt. "Unsere Leute müssen schon das Audi-Gen haben", sagt Sielaff, "und dieses auch leben. Design ist keine Sache von 9 bis 17 Uhr, sondern eine Lebenseinstellung."

Es ist auch ein verantwortungsvoller Job: Die Leser der Fachzeitschrift auto motor und sport wählten Audi jüngst zur bestaussehenden Marke der Welt. Doch das nützt nichts, wenn das nächste wichtige Modell keine Käufer findet. Ein Flop könnte den Arbeitgeber schlimmstenfalls zum Übernahmekandidaten und viele Kollegen arbeitslos machen. Damit das nicht passiert, lassen die Herren der vier Ringe stets mehrere Designer-Teams gleichzeitig an der Zukunft basteln. Audi unterhält noch Studios in Santa Monica in Kalifornien und in München-Schwabing. Dort entwerfen unabhängig voneinander bis zu fünf Teams ihre Modelle. "Das ist ein sportlicher Wettkampf", sagt Sielaff, "der beste Entwurf gewinnt."

Vom ersten Strich bis zum sogenannten "Start of Production" vergehen 60 Monate. Am Anfang steht die Zeichnung mit drei Ansichten - von vorne, von der Seite und von oben. Wenn dem Chef die eindimensionale Darstellung gefällt, werden aus Plastilin Modelle im Maßstab 1:4 hergestellt. An der Werkbank stehen eigens ausgebildete Modellbauer und formen mit Föhn und Spachtel Autos im Bobby-Car-Format. Die fertigen Stücke werden mit grauen und schwarzen Folien beklebt, fertig ist das erste Modellwägelchen.

Parallel zur Außenansicht wird natürlich auch am Innenleben des Autos gewerkelt - und an vielen weiteren Details. Neben den Spezialisten für Exterieur und Interieur gibt es auch die Abteilungen "Farben und Ausstattung" und "Felgen und Lampen". Letztere haben sich zuletzt nicht nur bei Audi von reinen Nutzobjekten zu dreidimensionalen Kunstwerken entwickelt.

Audi kümmert sich sogar um "Tag- und Nachtdesign". Sielaff fordert: "Auch im Dunkeln muss man im Rückspiegel sofort erkennen: Da kommt ein Audi." Sound-Designer beschäftigen sich mit dem Klang von Motor und Musik. Und ein "Nasenteam" ist dafür verantwortlich, dass das Leder und alle anderen Bestandteile einen Wohlfühl-Geruch ausströmen.

Von den fünf Bobby-Cars schaffen es die besten drei zu den sogenannten "See-Through-Modellen". Das sind täuschend echt aussehende 1:1-Kreationen aus Holz, Plastilin, Folie und Scheiben sind aus Kunststoffglas. Diese werden auf drei Drehteller im Hof gestellt und den Vorstandsmitgliedern sowie den Leitern der Fachabteilungen präsentiert.

Die 1:1-Modelle werden mit Schutzwand und Plane verdeckt

Bevor die Wagen-Imitate ins Tageslicht gerollt werden, fährt Sielaff allerdings eine meterhohe Schutzwand hoch, die unerwünschte Blicke von potentiellen Spionen verhindern soll. "Neben jedem Wagen liegt eine Plane", sagt Sielaff, "wenn ein Flugzeug über das Gelände fliegt, wird sofort abgedeckt."

Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen kam es bei einem derartigen Termin jüngst zu einem veritablen Sabotage-Akt: Einer der Begutachter riss mit einem kräftigen Ruck den Türgriff eines Modells ab. Aber nicht etwa aus Wut, weil ihm der Entwurf nicht gefiel. Nein, er wollte sich spontan ins Knetmasse-Auto hineinsetzen. Das ging aber nicht. Die Tür war blind, die Klinke angeklebt. "Seitdem befestigen wir die Griffe mit Magnet", erzählt Sielaff und schmunzelt, "dann können wir sie wieder leichter anbringen."

Vor kurzem standen drei Entwürfe des Audi A 1, an dem seit 2005 gearbeitet wird, auf den Präsentiertellern. Die Herren Vorstände prüften, diskutierten und suchten sich ihr Lieblingsmodell aus. Wenig später erfolgte der sogenannte "Design-Freeze". "Da nehmen wir den Designern den Stift aus der Hand", so Sielaff, "sonst zeichnen die weiter bis zum jüngsten Tag." Dann nehmen sie nur noch den Feinschliff vor. 2009 soll der A 1 auf den Markt rollen. Die Abteilung ED wird dann bereits am Jahr 2013 herumkneten.

© SZ vom 18.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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