Schifffahrt:Rette mich, wer kann

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"Save our Souls" oder "Save our ship": Vor 100 Jahren wurde in Berlin der Morse-Code SOS international verbindlich als Notsignal auf See vereinbart.

Klaus C. Koch

Das erste Schiff, das "di-di-di-da-da-da-di-di-di" - also die drei Buchstaben SOS in Form des Telegrafie-Codes von Samuel Morse - in den Äther schickte, war das Passagierschiff Slavonia, nachdem es am 10. Juni 1909 vor den Azoren Schiffbruch erlitten hatte.

Die Titanic funkte 1912 SOS, doch der Funker eines nahen Dampfers war bereits schlafen gegangen (Foto: Foto: AP)

Und 1912 war es die Titanic, die SOS funkte, nachdem der angeblich unsinkbare Ozeanriese mit einem Eisberg zusammengestoßen war - wäre seinerzeit an Bord des nur 15 Seemeilen von der Titanic entfernten Dampfers Californian der Funker nicht frühzeitig schlafen gegangen, hätte er die Notsignale wohl empfangen. Vielleicht wären von den 2208 Menschen dann auch mehr gerettet worden, als nur jene 704, die das Unglück seinerzeit überlebten.

Die aus drei Punkten, drei Strichen und nochmals drei Punkten bestehende Botschaft wurde vor nunmehr 100 Jahren in Berlin, am 3. November 1906, vertraglich als international verbindliches Notsignal für den Schiffsverkehr festgelegt.

Verschiedene Interpetationen

Begründung seinerzeit war, dass dieses Morsesignal leicht aus anderen Signalen herausgehört werden konnte; die Interpretationen des ohne Pause gesendeten SOS-Signals - "Save our Souls" oder "Save our Ship" - wurden erst später hinein interpretiert. Es spiegelt die Bedeutung funktionierender Kommunikationssysteme zur Rettung von Menschen auf See wider; und es zeigt die rasante Entwicklung einer Technik, die innnerhalb nur eines Jahrhunderts vom simplen Löschfunkensender bis hin zur modernen Satellitenübertragung reicht und mit Namen wie Heinrich Hertz oder Guglielmo Marconi verbunden ist.

Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Kontinente längst über Kabel, mit enormem Aufwand unterseeisch verlegt, verbunden. Meldungen über frisch gekrönte Häupter, Rekorde bei Atlantiküberquerungen oder auch den Boxeraufstand in China wurden bei Reuters in London und dem Bureau Havas, der Vorgängeragentur der Agence France Press in Paris, auf Papierstreifen gestanzt und für Fernschreiber codiert. Die Sicherheit auf See jedoch hinkte hinterher - wer außerhalb der Sichtweite anderer Segler, Dampfer, Leuchttürme und stark frequentierter Routen war, war auf sich allein gestellt.

Heinrich Hertz hatte zu dieser Zeit bereits die Grundlagen zum Verständnis der Ausbreitung elektromagnetischer Wellen geschaffen; aber erst Alexander Stepanowitsch Popow baute mit einem sogenannten Gewitterankündiger den ersten Empfänger, der ohne Kabelverbindung aus der Entfernung einen Funkenschlag wahrnehmen konnte.

Erste transatlantische Funkübertragung gelang 1901

Und der Italiener Marconi arbeitete fieberhaft an monströsen Drahtgebilden, die wie gigantische Fischernetze an exponierten Stellen entlang der Küsten, an Klippen und Steilhängen aufgespannt waren, um elektrisch erzeugte Impulse immer weiter in den Äther zu tragen. 1901 gelang dank gewaltiger Antennen die erste transatlantische Funkübertragung zwischen Cornwall und Neufundland.

Schiffsbesatzungen hatten sich bis dahin damit begnügen müssen, ihre Nachrichten durch Flaggen, Leuchtsignale, lautes Rufen oder Nebelhorn zu übertragen. Und 1898 gelang es, zwischen der englischen Yacht Osborne und der Insel Wight die erste Telegrafieverbindung zu einem Schiff einzurichten.

Guglielmo Marconi ist in diesen Jahren unermüdlich auf seiner Dampfyacht Elettra unterwegs, um den Kampf um wachsende Reichweiten zu führen. Vor allem entlang der nordamerikanischen Küste entsteht ein dichtes Netz von Funkstationen; auf Kuba dient Guantanamo als Horchposten, 1906 wird im ostfriesischen Norddeich der Betrieb aufgenommen.

Die Meldungen über die Segnungen der drahtlosen Telegrafie überschlagen sich - 1909 werden 461 Menschen des von einem Dampfer gerammten Paketschiffs Republic gerettet; 1910 sind es 1200 Auswanderer an Bord der Lituania, die im Nebel auf Grund gelaufen war. Große Schiffe haben alsbald eine eigene Bord-Gazette, die mit Nachrichten aus dem Ticker gespeist wird, eine Hamburger Tageszeitung erscheint mit einer Schiffsfunkausgabe; Zeitsignale, Funkpeilung und Wetterberichte ließen nicht lange auf sich warten.

Mayday als Notruf-Wort

Ein alter Morse-Vail-Telegraf auf einem undatierten Archivfoto (Foto: Foto: AP)

Unterdessen sucht Marconi seine Patente gegen Konkurrenten zu schützen - allen voran Ferdinand Brauns Telefunken. Zeitweise wird den Angestellten sogar untersagt, mit Schiffen, die mit Geräten anderer Herkunft bestückt sind, Funkkontakt aufzunehmen.

Dieser Kampf hat erst ein Ende, als 1914 bei der Titanic-Konferenz in London der erste internationale Vertrag zum Schutz des menschlichen Lebens auf See geschlossen wird. Im Sprechfunk wird "Mayday" zum Pendant des Telegrafie-Signals.

In den sechziger Jahren bricht das Zeitalter künstlicher Erdtrabanten an, die als Relais in der Erdumlaufbahn Telefonate, Sendungen und Daten von Schiffen weiterleiten. Aber ein durchgängiges Seenotfunksystem fehlt. So verschwand am 13. Dezember 1978 das 37.134 Bruttoregistertonnen große Containerschiff München mit 28 Mann Besatzung scheinbar spurlos - erst Tage später wurden leere Rettungsinseln und zwei Funkbojen gefunden, deren Reichweite nicht ausgereicht hatte, um Hilfe zu rufen.

Am 1. Februar 1982 nimmt die International Maritime Satellite Organization (Inmarsat) den Betrieb auf; doch erst 1987 gibt die Weltfunkverwaltungskonferenz in Genf den Weg für ein Global Maritime Distress and Safety System (GMDSS) frei.

Eine 92 Jahre lange Karriere

Das leistet wertvolle Dienste, als Ende 1994 in Höhe des Horns von Afrika auf dem Kreuzfahrtschiff Achille Lauro Feuer ausbricht. Die Notsignale werden über Inmarsat an das Rescue Coordination Center in Stavanger weitergeleitet, das die Rettungsaktion koordiniert.

Die Tage der Morsetelegrafie waren gezählt. Nach und nach schalteten die Küstenfunkstationen ihre Mittel- und Kurzwellensender ab, nach 90 Jahren verabschiedete sich am 31. Dezember 1998 auch Norddeich Radio mit einem kurzen "over and out".

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