Rover 75 Tourer:Der englische Patient steht wieder auf eigenen Beinen

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Lange Zeit war das Projekt auf Eis gelegt / Im August kommt der Lastenträger zu einem Preis ab 47 400 Mark nach Deutschland

(SZ vom 06.06.2001) Rover gehört sicherlich zu den Automarken, die in den vergangenen Jahren am ärgsten gebeutelt worden sind. Zuerst das ewige Hin und Her unter der Fuchtel des Besitzers BMW: Die Münchner waren sich lange Zeit unschlüssig, ob sie ihren englischen Patienten sanieren oder verkaufen sollten. Dann die Trennung vom siamesischen Zwilling Land Rover, der in die Hände von Ford ging. Und schließlich im vergangenen Jahr der Verkauf an eine britische Investorengruppe. Klar, dass den Engländern kaum Zeit blieb, sich um den Zweck ihrer Company zu kümmern: nämlich Autos zu bauen.

Das bekamen vor allem die Rover-Händler zu spüren: Wer kauft schon gerne ein Auto einer Marke, von der ungewiss ist, ob sie in einigen Jahren überhaupt noch existieren wird. Auch die Modellpalette von Rover war über die Jahre hinweg nicht so attraktiv gehalten worden, wie es unter den Bedingungen des globalisierten Wettbewerbs nötig gewesen wäre. Vier Baureihen hatten die Engländer in ihrem Portfolio: den 25er, den 45er , den 75er und den Roadster MG-F. Immerhin rund 200000 dieser Autos baute die neu firmierte MG Rover Group im vergangenen Jahr, die Hälfte davon verblieb im Heimatland. Rund 15 000 Fahrzeuge fanden in Deutschland einen Käufer - und für 2001 hat sich Rover in etwa die gleiche Zahl vorgenommen.

Jetzt, nachdem die Trennung von BMW größtenteils abgewickelt ist, müssen sich die englischen Ingenieure und Designer nicht mehr ganz so viele Gedanken über ihre Altersversorgung machen: Ihr oberstes Ziel ist wieder der Ausbau der Modellflotte. Das ist auch dringend nötig, den der 25er und der 45er strahlen den Charme längst vergangener Zeiten aus, als Rover noch mit Honda kooperierte. Es wird wohl bis 2003 dauern, ehe Nachfolger parat stehen. Schneller geht es mit dem MG-F, dessen nächste Generation bereits in etwa einem Jahr bei uns eintreffen soll. Lediglich die Mittelklasse-Baureihe 75 wirkt nicht angestaubt, sondern einfach etwas anders. Britisch-distinguiert blickt sie mit Doppelscheinwerfern in die Welt, im Innenraum lassen Holz und verschnörkelte Instrumente den British way of life hochleben. Als die Limousine vor zwei Jahren auf den Markt kam, war bereits klar, dass eine Kombiversion folgen sollte. Doch angesichts der Krise wurde das Projekt von BMW erst einmal auf Eis gelegt, obwohl der Lastenträger bereits fast fertig entwickelt worden war. Erst nach der Trennung fiel im vergangenen Sommer die Entscheidung, den Tourer definitiv zu bauen. Gefertigt wird er im traditionsreichen Werk Longbridge bei Birmingham - dort, wo nun alle Autos von MG Rover gebaut werden. Die kompletten Produktionsanlagen zogen von Oxford in die Midlands um. Und die Briten sind stolz darauf, dass sie an einem einzigen Fabrikationsstandort demnächst neun Modelle - wenn man die angekündigten Sportvarianten mitrechnet - fertigen werden.

Dass die Briten ihren Stolz wieder gefunden haben, demonstriert schon das Heck des 75 Tourer: Unter der silbernen Typenbezeichnung prangt der Union Jack. Von Juli an wird die englische Flagge das Heck aller Rover- Fahrzeuge zieren. Natürlich reicht eine solche Fahne nicht aus, um aus einer Limousine einen guten Kombi zu machen - und ein gutes Auto, das darf man nach einer ersten Begegnung sagen, ist der Tourer geworden. Er bietet einen Mix aus Nutzwert und Lifestyle, der Kunden ansprechen dürfte, die sich mit den Kombis deutscher Provenienz nicht identifizieren möchten.

Eigenständige Erscheinung

Die Briten - oder vielleicht war es auch noch BMW - haben der Limousine nicht einfach ein größeres Gepäckabteil angeklebt, sondern den Kombi zu einer eigenständigen Erscheinung gemacht. Was einen Kombi ausmacht, ist aber nicht nur ein geräumiger Kofferraum. Es sind pfiffige Details wie die beiden seitlich im Gepäckabteil angebrachten Haken, an denen sich Einkaufstüten aufhängen lassen. Die "Leistungsfähigkeit dieser Haken wurde in anspruchsvollen Dynamiktests in engen Kurven und unter härtesten Straßenbedingungen überprüft", heißt es im Pressetext - wir wollen es Rover einfach einmal glauben. Selbst überzeugt haben wir uns davon, dass das separat zu öffnende Fenster in der Heckklappe wirklich praktisch ist. Gemessen am Kofferraumvolumen, ist der 75Tourer kein Laderiese: Das Stauabteil fasst 400 Liter, kann aber durch Umklappen der Rückbank auf bis zu 1222 Liter erweitert werden.

Vier Motoren stehen für den Tourer zur Auswahl, drei Benziner und ein Diesel. Hier die wichtigsten technischen Daten: 1,8-Liter-Vierzylinder, 88 kW (120 PS), Höchstgeschwindigkeit 188 km/h, Beschleunigung von Null auf 100 km/h in 12,2 Sekunden, Verbrauch 7,8 Liter Super auf 100 Kilometer. 2,0-Liter-V6- Motor, 110 kW (150 PS), Vmax 201 km/h, Null auf 100 km/h in 10,8 Sekunden, Verbrauch 9,4 Liter Super.

2,5-Liter-V6-Motor, 130 kW (177 PS), Vmax 211 km/h, Null auf 100 km/h in 9,4 Sekunden, Verbrauch 9,4 Liter Super.

2,0-Liter-Vierzylinder-Diesel mit Common-Rail-Technik, 85 kW (116 PS), Vmax 185 km/h, Null auf 100 km/h in 12,3 Sekunden, Verbrauch 5,8 Liter.

Bei der Ausstattung stehen die drei von der Limousine her bekannten Varianten Classic, Charme und Celeste zur Auswahl. Das Einstiegsmodell, der 1.8 Classic, kostet 47 429 Mark und der günstigste 2,0- Liter schlägt mit 52 416 Mark zu Buche. Für den Diesel verlangt Rover 51 047 Mark, während das Topmodell, der 2,5-Liter-V6, mindestens 60 435 Mark kostet. Als Konkurrenten sieht Rover Kombis wie den 3er touring von BMW, den A4 Avant von Audi, aber auch den Volvo V40 der den Alfa Romeo 156 Sportwagon.

Mit dem 75 Tourer lässt es sich, wie erste Fahrten ergaben, komfortabel und zügig reisen. Der Diesel, der von BMW stammt, stellt schon im unteren Drehzahlbereich viel Leistung zur Verfügung, während der 2,5-Liter-V6 für sanftes, beinahe lautloses Dahingleiten prädestiniert ist. Erst bei höheren Drehzahlen wird dieses Aggregat laut. Man sollte das Getriebe lieber mit der Hand schalten, denn die von uns gefahrene Automatik wirkte ungemein schlafmützig. Das Fahrwerk ist etwas härter abgestimmt als in der Limousine, was aber nur geringe Auswirkungen auf den Komfort hat - ein Tribut an die höhere Zuladung, deretwegen auch die Bremsen verstärkt wurden.

Von Otto Fritscher

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