Rover 400:Ausgewogen, kompakt und leichtfüßig

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Den Rover-Designern ist es geglückt, der Baureihe ein eigenständiges Design zu geben

(SZ vom 15.07.1995) Zugegeben: die Erwartungen des Autos waren nicht besonders hoch. Schließlich ist der neue Rover 400 in vielen Elementen mit dem fünftürigen Honda Civic baugleich - und der Honda enttäuschte auf der ganzen Linie: fades Design, wenig Platz, nicht sonderlich stimmiges Fahrwerk, unausgewogene Motoren. In Sachen Raumangebot verdient auch der Rover nur das Prädikat 'ausreichend', doch in den übrigen Disziplinen schneidet er durchweg besser ab als sein japanischer Bruder. Diese Diskrepanz liegt zu einem gewissen Teil am Ort der Präsentation. Während Honda den Civic auf Madeira vorstellte, wo sich das Auto zumeist im zweiten Gang die steilen und engen Bergsträßchen hinauf- und dann wieder hinunterquälen mußte, lud Rover in das weit weniger hügelige England. Der erste Eindruck: der 416i ist besser abgestimmt und mit einem nervenschonenden 1.6-Liter- Motor bestückt, der sich angenehmer fährt als auf das hohe Drehzahlen angewiesene Honda-Aggregat. Der angelsächsische, 82 kW (111 PS) starke 16-Ventiler mobilisiert sein maximales Drehmoment von 145 Nm schon bei 3000/min, der 1.6- Liter-Honda-Treibsatz mit 83 kW (113 PS) benötigt dagegen 5100 Touren, um 140 Nm bereitzustellen. Auch in bezug auf den Verbrauch hat der 416i mit 7,0 l/100 km gegenüber 7,3 l bleifrei Super auf 100 Kilometer den Kühler vorn.

Den Rover-Designern unter Gordon Sked ist es - wieder einmal - gelungen, dem neuen Modell eine eigenständige und markentypische Form zu geben. Zu den wichtigsten Änderungen gegenüber dem Civic gehören der verchromte Grill, die Breitbandscheinwerfer mit den seitlich direkt anschließenden Blinkern und die elegantere Heckpartie. Diese positiven Akzente können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Grundform ziemlich banal ausgefallen ist. Rover will den Newcomer zwar als Gegenspieler von Mondeo, Carina und Vectra positionieren, doch vom Platzangebot paßt der Wagen besser zu Escort, Corolla und Astra. Während Fahrer und Beifahrer relativ komfortabel untergebracht sind, geht es im Fond ziemlich eng zu. Auch der Kofferrauminhalt von 375 Liter paßt nicht so recht zum Anspruch, in der Mittelklasse mitmischen zu wollen. Leider ist das Interieur auch stilistisch keine Offenbarung. Die Paisley-Bezüge und das großflächig verlegte Wurzelholz sind zwar very British und vergleichsweise up-market, aber dazwischen türmt sich altbackenes Hartplastik, und die Ergonomie ist nicht durchgehend stimmig.

Der Rover 400 kommt erst nach der IAA im September auf den deutschen Markt. Zunächst gibt es den Fünftürer ausschließlich mit dem 111 PS starken 1.6-Liter-Motor, später folgen ein 1.4-Liter-Aggregat mit 76 kW (104 PS), ein 2.0- Liter-16-Ventiler mit 100 kW (136 PS) und ein 2.0-Liter-Turbodiesel-Direkteinspritzer mit 64 kW (85 PS). Im April 1996 startet die viertürige Stufenhecklimousine, die von den Abmessungen gefährlich dicht an den Rover 600 heranrückt. Ebenfalls für das nächste Frühjahr vorgesehen ist die Markteinführung der Neuauflage des dreitürigen Rover 200, der im Gegensatz zum 400 die alte Bodengruppe beibehält. Coupé, Cabriolet und Tourer werden leicht überarbeitet und Zug um Zug mit den neuen Motoren ausgerüstet. Das einzige Rover-Modell, das - aus vertraglichen Gründen - über die gesamte Laufzeit den Honda-Maschinen treu bleibt, ist der 600. Im Rover 800 debütiert dagegen binnen Jahresfrist der in Eigenregie entwickelte KV6-Sechszylinder, der eine interessante Alternative zu den weiß-blauen Reihenmotoren darstellen dürfte.

Doch zurück zum 416i/Si/SLi, der hierzulande je nach Ausstattung zwischen 28 000 und 34 000 Mark kosten soll. Schon die preiswerteste Variante verfügt über Fahrer-Airbag, ABS, Zentralverriegelung mit Fernbedienung, höhenverstellbare Gurte, von innen einstellbare Spiegel, Servolenkung, elektrisches Schiebedach und Radiovorbereitung mit vier Lautsprechern. Der Si bietet zusätzlich elektrische Fensterheber vorn, elektrisch verstellbare und beheizte Rückspiegel, Fahrersitz-Höhenverstellung und Veloursbezüge. Das Topmodell ist der SLi, der einen Beifahrer-Airbag, Fensterheber und Kopfstützen auch hinten, Nebelscheinwerfer, mehr Holz und zusätzliche Lautsprecher besitzt. Für viele Varianten gegen Aufpreis lieferbar sind Radio, Alufelgen, Metalliclack, Lederpolster und Klimaanlage.

Der von uns ausgiebig probegefahrene Rover 416 SLi beschleunigt in 10.8 Sekunden von Null auf 100 km/h und ist 190 km/h schnell. Bei dem 111-PS-Motor handelt es sich um die 1.6-Liter-Version der in England entwickelten K-Motorenreihe, die sich durch gesunde Laufkultur und eine angenehme Drehmomentcharakteristik auszeichnet. Die Maschine hängt ordentlich am Gas, dreht willig hoch und harmoniert gut mit dem praxisgerecht abgestuften Getriebe, das präzise und mit kurzen Wegen arbeitet. Die Kupplung paßt zum agilen Gesamteindruck der Antriebseinheit, denn sie packt einerseits kraftvoll zu und ist andererseits problemlos zu dosieren. Auch an der Gewichtung der Pedalerie merkt man, daß sich die Rover-Techniker bei der Abstimmung viel Mühe gegeben haben: der Kraftaufwand der Fußarbeit ist genau austariert - beim Tanz auf Gas, Bremse und Kupplung stimmt der Rhythmus. Die Lenkung vermittelt mehr Fahrbahnkontakt als der Richtungsfinder des Civic, denn Rover wählte eine steifere Kennlinie und eine progressivere Gewichtung um die Mittellage, die den Wagen souveräner und weniger giftig erscheinen läßt.

Das Fahrwerk des 416 SLi leistet sich den in dieser Klasse nicht selbstverständlichen Luxus von vier einzeln aufgehängten Rädern. Vorne kommen doppelte Dreiecksquerlenker zum Einsatz, hinten tut eine Mehrlenker-Achse Dienst. Die Engländer sind besonders stolz auf die neuen, linear ausgelegten und damit sehr feinfühlig reagierenden Gasdruck-Stoßdämpfer, die guten Komfort versprechen ohne das Handling zu beeinträchtigen. Ein spezieller Prüfstand, auf dem die verschiedensten Fahr- und Fahrbahnzustände simuliert werden können, half den Technikern bei der endgültigen Feder- Dämpfer-Abstimmung. Das Ergebnis ist ein agiles und gleichzeitig in allen Lebenslagen stabiles Handling, das in der trittsicheren Straßenlage und der guten Richtungsstabilität kongeniale Partner findet. Der kompakte Rover ist ein ausgewogener und leichtfüßiger Fünfsitzer . Die wesentlichen fahrdynamischen Unterschiede zum Honda Civic betreffen die souveränere Lenkung, das harmonischere Chassis und den im Alltagsbetrieb angenehmeren Motor.

Die 400er-Reihe ist der letzte gemeinsame mit Honda entwickelte und gebaute Rover. Sein Nachfolger mit dem Code RD2 entsteht derzeit mit tatkräftiger Unterstützung durch BMW. Die Bayern haben den Engländern zu diesem Zweck jenes bereits ziemlich weit gediehene Frontantriebsprojekt vermacht, das als alternativer 3er-Nachfolger entwickelt und dann doch wieder verworfen wurde. Da auch bei den Motoren und bei den Unternehmen langfristig Synergieeffekte angestrebt werden (vom Jahr 2003 an nur noch ein gemeinsamer Vierzylinder und nur mehr ein Sechszylinder, entweder als V6 oder als Reihenmotor), ist eine stärkere Verschmelzung der Produktaktivitäten bereits vorprogrammiert. Diese Integration spart Kosten, aber sie reduziert auf beiden Seiten des Kanals die technische Eigenverantwortung, und sie bedeutet speziell im Antriebsbereich den Verlust von Arbeitsplätzen, der das freundliche Miteinander schon bald in ein argwöhnisches Gegeneinander umschlagen lassen könnte.

Von Georg Kacher

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