Rekordversuch:Schneller als der Schall

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Der Amerikaner Ed Shadle will den Geschwindigkeitsrekord für Landfahrzeuge brechen. Ein riskantes Unternehmen: ein kleines Steinchen könnte ihn das Leben kosten.

Stephan Bernhard

"Jetzt gibt es kein Zurück mehr", denkt Ed Shadle, als sich die Cockpitscheibe über ihm schließt. Kurz zuvor hat er den Kontrollgang um das North American Eagle getaufte Fahrzeug beendet, war unverrückbar im Pilotensitz angegurtet worden und hatte die Sauerstoffmaske vor seinem Gesicht festgezurrt. "Dann mal los", sagt er sich und startet die Maschine - das 42.500 PS starke Turbojet-Triebwerk eines F4-Phantom-Kampfflugzeugs.

Ganz in rot und sagenhaft schnell: der North American Eagle (Foto: Foto: NAE/www.landspeed.com)

Shadle presst einen Fuß mit aller Kraft auf die Bremse, legt seine Hand auf den Gashebel und erhöht die Schubkraft des Triebwerkes. Hinter seinem Rücken wächst das Fauchen der Maschine zu einem ohrenbetäubenden Heulen an. Dann: Vollgas. Die blockierten Räder rutschen quietschend über den Asphalt nach vorne, dann löst er entschlossen die Bremse.

Nach 600 Metern Tunnel

Kaum hat der Fahrer den Fuß vom Bremspedal genommen, wird er in den Sitz gepresst. Der North American Eagle schießt vorwärts. Nach 300 Metern sieht der Fahrer alles, was neben der Asphaltpiste liegt, nur noch schemenhaft vorbeifliegen. Nach 600 Metern verengt sich sein Gesichtsfeld zum Tunnelblick und er konzentriert sich alleine auf das Ende des Teerstreifens, das rasend schnell näher kommt.

Er löst Bremsfallschirm Nummer eins aus - aber nichts passiert. Shadle drückt den Knopf für Fallschirm Nummer zwei, und endlich wird der North American Eagle langsamer. Nach 1500 Meter sitzt Shadle grinsend im Cockpit, während sich das Team jubelnd um das Fahrzeug am Ende der Landebahn versammelt.

Das war im März vor einem Jahr. Knapp mehr als 500 km/h erreichte der North American Eagle damals. Ein voller Erfolg für den ersten Testlauf überhaupt. Jetzt plant Shadle, den Wagen im Mai auf einer Space-Shuttle-Landebahn in Südkalifornien mit 800 km/h zu testen und dann so bald wie möglich die Rekordmarke anzugreifen.

Er will schneller fahren als je ein Mensch zuvor

Seit Jahren verfolgt der 64-Jährige nur ein Ziel: Er will schneller fahren als je ein Mensch zuvor und den Geschwindigkeitsrekord für Landfahrzeuge brechen. Eine gewaltige Herausforderung. Der aktuelle Rekord besteht seit dem 15. Oktober 1997 und beträgt exakt 1227 Stundenkilometer.

Damals raste der britische Royal-Air-Force-Pilot Andy Green in seinem Fahrzeug Thrust SSC durch die Black-Rock-Wüste in Nevada und stellte die Rekordmarke auf. Als das schwarz lackierte und an einen Kampfjet erinnernde Fahrzeug mit zirka 1200 km/h die Schallmauer durchbrach, erschütterte ein lauter Donner, der noch Kilometer entfernt zu spüren war, die Wüste.

"Es ist Zeit, den Briten den Rekord wieder abzujagen", lautet einer der Lieblingssprüche des Amerikaners Ed Shadle. Seit 1996 träumt er davon, der Schnellste zu sein. Damals hielt noch der Brite Richard Noble mit 1016 km/h den Geschwindigkeitsrekord. Shadle konstruierte daraufhin ein Fahrzeug, das er bis auf 1100 km/h beschleunigen konnte.

Aber noch bevor der ehemalige Computertechniker seinen Prototypen fertig stellte, durchbrach Andy Green 1997 mit dem Thrust SSC, der von Richard Noble mitentwickelt wurde, die Schallmauer. "Mein Prototyp war nicht für die Überschallgeschwindigkeit gebaut", erzählt Shadle. "Ich musste ein komplett neues Fahrzeug entwickeln."

Möglicherweise bald das schnellste Landfahrzeug der Welt (Foto: Foto: NAE/ www.landspeed.com)

Ohne großen Sponsor waren die finanziellen Möglichkeiten begrenzt. Die Konstruktion eines Fahrzeuges vom Reißbrett bis zur Rekordfahrt hätte Millionen gekostet. Also suchte das North-American-Eagle-Team nach einer anderen Lösung - und fand sie auf einem Schrottplatz.

"Für 25.000 Dollar kauften wir einen ausgemusterten F 104A Starfighter- Kampfjet, kurz bevor er im Schmelzofen landete", erzählt Shadle. "In der Luft hat der Jet die zweifache Schallgeschwindigkeit erreicht. Wir dachten, dass die Aerodynamik der Karosserie ausreichen müsste, um auch auf dem Boden die Schallmauer zu durchbrechen."

Ein Salzsee in der Wüste Nevadas ist Ort der Rekordfahrt

An den folgenden Wochenenden ging das Team aus Freiwilligen daran, den alten, verwitterten Lack von dem Aluminiumrumpf zu schleifen, ein neues Triebwerk zu installieren und schließlich den 17 Meter langen und fast sechs Tonnen schweren North American Eagle knallrot zu lackieren. Zirka 24000 Arbeitsstunden hat die 36 Mitglieder starke Truppe - darunter Mathematiklehrer, ehemalige Nasa-Techniker und Feuerwehrmänner - bisher in den Rekordversuch investiert.

Noch steht der Zeitpunkt nicht fest, an dem die Rekordfahrt stattfinden soll, der beste Platz dagegen schon: die Black-Rock-Wüste in Nevada - ein Salzsee, der als eine der ebensten Flächen der Welt gilt und auch dem Thrust SSC von Andy Green als Rennstrecke diente. Bevor Shadle dort Vollgas gibt, muss die gesamte Piste allerdings penibel von Steinen, Metallteilen oder Tierkadavern gereinigt werden.

"Wir gehen die 30 Kilometer lange und acht Kilometer breite Strecke Zentimeter für Zentimeter ab und entfernen jeden Brocken", erklärt Jon Higley, der Sprecher des North-American-Eagle-Teams. "Ein kleines Steinchen, das von dem Triebwerk angesaugt wird, kann die Maschine schwer beschädigen." Oder das ganze Gefährt aus der Spur werfen.

Anders als bei der Testfahrt wird der North American Eagle nicht auf Gummireifen rollen. "Geschwindigkeiten von jenseits der 500 km/h hält kein Flugzeugreifen aus. Wir werden massive Aluminiumräder benutzen", erklärt Higley. Da der Salzsee genügend Platz zur Beschleunigung bietet, wird die Rekordfahrt langsam beginnen. Dabei gibt der Pilot zunächst gerade so viel Gas, dass der North American Eagle anfängt vorwärts zu rollen.

Schlimmstes Szenario wäre ein Überschlag

Dann steigert Shadle den Schub immer weiter, bis er nach etwa 30 Sekunden Tempo 250 erreicht. Ständig muss er dabei die Richtung korrigieren, um in der Mitte der präparierten Piste zu bleiben. Als Orientierung wird eine Linie auf den Wüstenboden gemalt. Jetzt heißt es Vollgas geben. Bei 800 km/h übernimmt die Aerodynamik die Führung des Fahrzeugs, Ed Shadle kann über die Lenkung keine Richtungsänderung mehr vornehmen. Nach etwa 60 Sekunden rast der North American Eagle mit 1200 km/h über den Salzsee. Die Maschine verbraucht dabei 600 Liter Kerosin pro Minute.

"Das schlimmste Szenario wäre, wenn die Nase des Wagens abhebt und sich der North American Eagle überschlägt", meint Jon Higley. "Wir versuchen, das durch kleine Flügel zu vermeiden, die seitlich am Cockpit angebracht sind und die Bodenhaftung erhöhen - wie der Spoiler eines Rennautos." Unsicherheit herrscht auch noch, was beim Durchbrechen der Schallmauer passiert. Die in der Luft entstehenden Schockwellen können seitlich entweichen oder vom Boden reflektiert werden und den Wagen in die Luft katapultieren.

Das bisher einzige Überschallfahrzeug - der pechschwarze Thrust SSC - überstand die Fahrt durch die Schallmauer unbeschadet. Ob das nur Glück war, weiß Ed Shadle bislang noch nicht. "Wir wollen den Mount Everest besteigen und sind gerade erst im Basecamp angekommen", erinnert er sein Team immer wieder.

© SZ vom 1. April 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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