Prater-Karussell:Und es dreht sich doch

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Der Pemperlprater, das älteste Karussell der Welt, ist erstmals auf dem Münchner Oktoberfest zu sehen.

Marion Zellner

Hoch zu Ross, die Zügel fest in der Hand, das Herz schlägt im Hals, die Haare fliegen. Wenn das Glöcklein leise schlägt, traben die Pferde langsam im Kreis. Dann beginnt das Kinderabenteuer, Abschied und Wiedersehen im Sekundentakt. Kleine Helden, glühende Gesichter, so geht es dahin, eine Ewigkeit lang. Für einen Euro fünfzig. Dann, nach etwa drei Minuten bremst Peter Zimmermann das Karussell ab und die Kinder steigen von den Pferden: die einen lachend und lärmend, die anderen immer noch konzentriert und gedankenversunken nach ihrer Reise im Kreis.

Glanzvoll: 400 Glühbirnen lassen den 177 Jahre alten Pemperlprater nachts erstrahlen, der immer noch von einem Elektromotor angetrieben wird. Wer beim Ringelstechen erfolgreich ist, bekommt eine Freifahrt. (Foto: Fotos: W. Roucka (2))

Ein Kindheitstraum für Kinder

Doch es ist nicht irgendein Pferdekarussell, das sich von diesem Samstag an bis 7. Oktober auf dem 174. Oktoberfest in München dreht - es ist "mein Kindheitstraum", sagt Betreiber Peter Zimmermann, der vor 47 Jahren in Passau geboren wurde. Und - nicht minder wichtig - es ist das älteste Karussell der Welt. Außerdem hat der Pemperlprater, so sein Name, noch eine Besonderheit: Er ist das einzige Karussell, bei dem es immer noch das Ringelstechen gibt.

Warum es ausgerechnet Pemperlprater heißt, weiß niemand so genau. Die einen sagen, es sei ein Kosename, den ihm die Kinder gegeben haben, um das Karussell - das noch gemütlich ist - von allzu lauten, modernen Fahrgeschäften zu unterscheiden.

Andere meinen, es leite sich vom altbairschen Wort "pamperln", also Klang erzeugen, ab. Denn bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts hatte das Karussell eine Orgel und eine Glocke - also der Glockenprater. Aber auch andere Namen sind überliefert: Fünferlprater, weil eine Fahrt ein Fünferl kostete, oder Heisslprater: Pferdchen oder Fohlen werden Heisserl genannt.

Als Engelbert Zirnkilton, Schuhmacher aus Passau, im Jahr 1830 zum ersten Mal mit seinem Karussell auf der Maidult Platz am Passauer Innufer bezog, war sein Fahrgeschäft einfach der Zirnkilton-Prater und es lag viel Arbeit hinter dem Namensgeber. Er hatte die Pferde, damals waren es 16, alle selbst geschaffen, ebenso wie die einfache Konstruktion, die noch ohne Dach auskam. Die Legende erzählt, er hätte im Sommer zu wenig Aufträge für Schuhe gehabt, sodass er sich eine zusätzliche Einnahmequelle überlegen musste.

Der Elektromotor läuft seit 1926

Im Laufe der vielen Jahre, die der Pemperlprater am Inn stand, wurde er von den Zirnkiltons immer wieder überarbeitet. Der heutige Bau, er hat einen Durchmesser von 8,60 Meter und ist etwa sechs Meter hoch, stammt vermutlich aus dem Jahre 1910. Damals war es bereits die dritte Generation, wieder ein Engelbert und Schumachermeister, der das Karussell vom Vater erbte. Erst im Jahr 1926 wurde der Pemperlprater mit einem Elektromotor ausgestattet. Bis dahin sorgten Buben für den Schwung - freiwillig, denn nach viermal Anschieben durften sie kostenlos mitfahren. Heute dreht sich das Karussell mit gut sieben Kilometer in der Stunde immer noch elektrisch.

"Als Zirnkilton III. 1930 das hundertjährige Jubiläum feierte, gingen die ältesten Pferde auf die Zeit von 1850 bis 1860 zurück", schreibt Florian Dering vom Münchner Stadtmuseum in seinem Buch "Volksbelustigungen".

Bis Ende der sechziger Jahre gehörte der Pemperlprater der Familie Zirnkilton, inzwischen in vierter Generation. "Das Schuhmacherpaar war nicht gerade betucht, sie schlugen der Stadt Passau ein Tauschgeschäft vor: den Pemperlprater gegen eine Zwei-Zimmer-Sozialbauwohnung als Eigentum", erzählt Peter Zimmermann. Geschätzter Wert des Karussells damals: 40 000 Mark.

Doch die Stadt schlug das Angebot aus. Der Verkauf gestaltete sich überaus schwierig, das Passauer Traditionsfahrgeschäft sollte sogar in Einzelteilen verscherbelt werden. 1975 erwarb schließlich der Münchner Schausteller August Geier das Karussell und betrieb es - mit Unterbrechungen bis zum Jahr 1996 - zusammen mit seiner Frau traditionsgemäß auf den Mai- und Herbstdulten und in den Sommerferien an der Passauer Innpromenade.

Für den Pemperlprater folgte eine unruhige Zeit. In die Niederlande sollte er verkauft werden oder gar in die USA. Das dann doch nicht. Schlussendlich erwarb im Dezember 2005 der Sozialverband VdK Bayern das Karussell.

"Der Pemperlprater ist ein Symbol für generationenübergreifendes Vergnügen - vom Enkel bis zum Opa", sagt Albrecht Engel, Geschäftsführer beim VdK. "Wir wollen die Tradition nutzen, sie aber den Erfordernissen anpassen", fügt der Antiquitätenfan hinzu. Denn das Pferdekarussell wurde zum einen im vergangenen Jahr von der VdK-Behinderteneinrichtung Dimetria in Straubing restauriert. Die 26 Pferde - "sichtbar Hengste und die Mähne aus echtem Pferdehaar", wie Zimmermann ergänzt -, drei Kutschen, drei Bänke und zwei Hirsche erstrahlen ebenso in neuem Glanz wie der Karussellbau in Weiß-Blau. Zudem wird auf dem Oktoberfest erstmals auch ein Kind im Rollstuhl mitfahren können. "Der TÜV war mit dem Umbau sehr zufrieden", sagt Zimmermann.

Eine Freifahrt gibt's nur mit dem goldenen Ring

Dass der Pemperlprater, in der Biedermeierzeit erschaffen, trotz Modernisierungsmaßnahmen immer noch ein wirklich historisches Fahrgeschäft ist, beweist allein schon der Holzfisch, der seitlich des Karussells an einem hölzernen Gestell befestigt ist. In seinem Bauch verstecken sich sechs silberfarbene und ein goldener Ring; der erste ragt aus seinem Maul und wird von einer Feder zurückgehalten. Die Kinder auf den äußeren Pferden, mit einem Lederriemen gesichert, lehnen sich während der Rundreise nach außen und versuchen mit einem Holzstichel dem Fisch den Ring aus dem Maul zu ziehen.

Wer den goldenen Ring erwischt, darf nochmal fahren. Und als Zeichen des Triumphs gibt es noch eine kleine Fahne obendrein. "Es ist schön zu beobachten, wie begeistert und voller Eifer die Kinder sind, manche gehen richtig strategisch vor und zählen die Runden", freut sich Peter Zimmermann über den großen Erfolg eines Vergnügens, das seinen Ursprung in den Reiterspielen des 17. und 18. Jahrhunderts hat und heute ganz offensichtlich nichts an seiner Faszination verloren hat.

Die wechselvolle Geschichte des Pemperlpraters scheint nun wieder in ruhigeren Bahnen zu laufen. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn man wird auf der Wiesn ganz genau hinhören müssen, wenn man den Klassiker in all dem Trubel finden will. Seit das Karussell keine Orgel mehr hat, sie wurde in den siebziger Jahren in die Niederlande verkauft, erklingt nun leise Musik - am liebsten von Ray Charles.

© SZ vom 22.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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