Porsche Carrera 4:Aus driftigem Grund

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Das Coupé und das Cabriolet sind erstmals mit elektronischer Fahrdynamik-Regelung ausgestattet

(SZ vom 14.10.1998) Wer heutzutage einen Sportwagen fährt, muß sich nicht nur zuweilen dem Vorwurf aussetzen, ein notorischer Raser zu sein, sondern sich auch noch sagen lassen, daß er eine Menge Geld für ein Fahrzeug ausgibt, das eine übermäßig große Menge Kraftstoff verbraucht - und daß es heute kaum noch Gründe gibt, ein solches Fahrzeug zu fahren. Daß diese alten Vorurteile nicht stimmen müssen, beweist seit langem das Haus Porsche, das sich in den vergangenen Jahren von einem in den roten Zahlen agierenden Kleinserienhersteller zu einem profitablen Unternehmen mausern konnte.

Zu dieser Entwicklung hat nicht nur die Einführung eines Einstiegsmodells, des Boxsters, geführt, sondern auch die konsequente Reduzierung der Modelle auf derzeit zwei Baureihen. Und nachdem der Schock , daß der Carrera-Boxer-Motor nun mit Wasser, und nicht mehr mit Luft gekühlt wird, bei den meisten Elfer-Freunden überwunden ist, verkauft sich die neue Version des 911 ausgezeichnet. Lange Lieferzeiten - übrigens für beide Modellreihen - sprechen hier eine deutliche Sprache. Allerdings will Porsche den Kunden entgegenkommen - man hat sich vorgenommen, daß weltweit kein Käufer mehr länger als sechs Monate auf seinen Wagen warten muß.

Der dritte im Bunde

Nachdem das 911 Coupé und Cabriolet auf dem Markt sind, gesellt sich nun vom 24. Oktober an eine dritte Variante des Elfers dazu. Den Carrera 4, die allradgetriebene Version des 911, gibt es - wie gewohnt - ebenso als Coupé wie als Cabrio. Angetrieben wird der sportliche Zuffenhausener von dem bekannten Sechszylinder-Boxermotor, der bei 6800/min seine maximale Leistung von 221 kW (300 PS) abgibt. Dabei stellt er aber sein maximales Drehmoment von 350 Nm bereits bei 4600/min zur Verfügung. Entsprechend sind die Fahrleistungen: Der Spurt zur 100 km/h-Grenze ist nach 5,2 Sekunden vollzogen, die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 280 km/h.

Es gibt durchaus triftige Gründe, sich für den (mit Fahrer) 1450 Kilogramm schweren Carrera 4 zu interessieren - so muß heute selbst ein leistungsstarker Motor keine Unmengen an Benzin mehr verbrauchen. Die Werte des allradgetriebenen 911 können sich bei einem Durchschnittsverbrauch (nach neuer EU-Norm) von zwölf Litern auf 100 Kilometer durchaus sehen lassen.

Für den Carrera 4 entwickelten die Porsche-Ingenieure ein Fahrstabilitätsprogramm, wie es auch andere Hersteller bereits anbieten. Das von den Zuffenhausenern PSM (Porsche Stability Management) genannte System soll verhindern, daß der Wagen auf der Straße unvorhergesehene Pirouetten dreht. Diese elektronische Fahrdynamik-Regelung greift ein, wenn der Wagen durch Lastwechsel oder Teilbremsungen in der Kurve von der Spur abzuweichen droht. Das heißt, in den typischen Situationen des Über- oder Untersteuerns regelt PSM das Abbremsen des entsprechenden Rades so, daß die Spurstabilität erhalten bleibt.

Den Anhängern des sportlichen Driftens durch die Kurven, die sich nun bevormundet fühlen - und den Gedanken an einen Kauf wieder aus ihrem Gedächtnis verbannen - sollte allerdings gesagt werden, daß PSM abschaltbar ist. Der entsprechende Knopf ist gut sichtbar rechts neben dem Lenkrad plaziert. Natürlich kennen die Zuffenhausener ihre Kundschaft gut genug, um zu wissen, daß sie technischen Raffinessen und Weiterentwicklungen, die mehr Sicherheit bringen, zwar durchaus aufgeschlossen gegenüber stehen - aber bei der Möglichkeit zum sportlichen Fahren nicht eingeschränkt werden wollen.

Das heißt, wer sich ab und zu von seinem Heck überholen lassen will, kann das auch künftig noch tun. Allerdings gilt auch für das PSM , was für alle anderen Systeme gilt - die Physik kann nie überlistet werden. Und dennoch ist das wieder ein driftiger Grund mehr für den Carrera 4, denn der Fahreindruck, den er bei einer ersten Fahrt hinterließ, glich dem des vielzitierten "Fahren wie auf Schienen" oder dem berühmten "Brett auf der Straße". Hier vermittelte das Herantasten an den Grenzbereich nie das Gefühl, daß die neue Technik die Sportlichkeit unterdrückt. Darüber hinaus ist PSM eine hilfreiche Unterstützung, wenn das Fahrkönnen für eine eigene Korrektur nicht mehr ausreicht.

Aber Porsche will nicht nur die Sportlichkeit für sich in Anspruch nehmen, sondern auch den Komfort. Dazu gehört - neben den Attributen, die man schon vom Carrera 2 kennt - auch die Wahl zwischen einem Sechsgang-Getriebe und einer beim Allrad-911 neu eingeführten Tiptronic. Diese Tiptronic S ist eine Fünfgang-Automatik, die am Lenkrad bedient wird und zu einem Aufpreis von 5610 Mark für den Carrera 4 zu bekommen ist.

Und wenn schon von Geld die Rede ist, seien auch gleich noch die Grundpreise für Coupé und Cabriolet genannt. Für Fahrzeugbrief und Schlüssel erwarten die Zuffenhausener mindestens 147 640 beziehungsweise 166 160 Mark. Für diese Preise unterscheidet sich der Carrera 4 von seinen zweiradgetriebenen Brüdern durch 17-Zoll-Leichtmetallräder mit titanfarbenen Bremssätteln und selbstverständlich dem titanfarbenen Schriftzug Carrera 4 auf dem Motordeckel und in schwarz auf den Radnabenabdeckungen. Für die eingefleischten Carrera-Lenker kommt es aber darauf sowieso nicht an, denn schließlich wissen sie schon lange, daß es zahlreiche triftige und driftige Gründe gibt, 911 zu fahren - mit oder ohne Allradantrieb.

Von Marion Zellner

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