Porsche 911 Cabrio:Schicksal oder Glücksfall

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Der Sportwagen steht seinem Vorgänger in nichts nach

(SZ vom 01.08.1998) "Er ist doch einfach nicht mehr der Alte - stimmt's?" Diesen Satz muß man sich des öfteren anhören, wenn man mit dem neuen Elfer Cabriolet eine etwas längere Zeit unterwegs ist. Seit Porsche im Herbst des vergangenen Jahres dem 911 die Luft abgedreht hat und nun einen wassergekühlten Motor als Antrieb für den Carrera verwendet, sehen sich die Puristen verraten - sie konnten sich einfach nicht vorstellen, daß dem luftgekühlten Boxer-Motor wirklich das letzte Lied angestimmt wurde.

Dasselbe Schicksal ereilte natürlich auch die offene Variante des Klassikers. Das 911 Cabriolet unterlag im großen und ganzen den gleichen Veränderungen wie das Coupé. Und auch die Karosserie hat selbstverständlich die neue, gerundete Form mit den auffälligen Scheinwerfern. Viele bescheinigen dem Cabrio eine große Ähnlichkeit mit dem Boxster, dem Einsteiger-Porsche mit flexiblem Verdeck. Aber so undifferenziert sollte man den 911 nicht betrachten, denn schließlich bietet er immer noch manches, was wir vom Alten kennen und schätzen. Da seien nur der Motor im Heck, der schlichte versenkbare Spoiler und die - wenn auch veränderte - doch so typische Form genannt.

Beim Interieur mag man den Kritikern schon eher recht geben. Die Bedienungselemente wie Schalter und Knöpfe sind nun wie beim Boxster oval und schwarz hochglänzend - ein Zugeständnis an die Produktion mit Synergieeffekten und Kosteneinsparung.

Die Extrovertierten werden es lieben

Die besonderen Reize des Cabrio-Fahrens stellt der 911 gekonnt zur Schau. Zum einen kann das elektrisch bedienbare Verdeck in nur 20 Sekunden geöffnet oder geschlossen werden. Das macht es auch gegen jedes überraschende Sommergewitter tauglich. Zum anderen erlaubt sich Porsche den Gag, daß extrovertierte Kunden - oder sind das sowieso alle, die ein solches Auto fahren? - per Fernbedienung das Verdeck des in Sichtweite geparkten Wagens auch vom Eiscafé aus öffnen und schließen können. So nach dem Motto: Schau mal, was mein Auto alles kann.

Spielereien hin oder her, der Porsche 911 lebt davon, ein sportliches Auto zu sein - und das Cabriolet steht da dem Coupé selbstverständlich in nichts nach. Genußvoll kann man nach der Bezahlung von 155 160 Mark mit 221 kW (300 PS) im Heck über kurvige Landstraßen gleiten, denn es reicht zu wissen, daß ein eventuell notwendiger Überholvorgang mit Leichtigkeit absolviert werden kann. Die Fahrleistungen beweisen das: 280 km/h Höchstgeschwindigkeit, in 5,4 Sekunden von Null auf 100 km/h.

Mindestens so beeindruckend wie die Beschleunigung ist auch die Verzögernung, die das Cabriolet zum Stillstand bringt. Ohne Berechnungen und Messungen zeigt die Bremsanlage allein schon in der Praxis, was in ihr steckt. Bei entsprechendem Druck auf das Bremspedal gerät mancher Hintermann mit seinem Wagen in Verlegenheit, denn seine Bremsen scheinen nicht diese Leistung erbringen zu können. Deshalb der gute Rat: Zum 911 Cabriolet sollte der Nachfolgende den Sicherheitsabstand erst recht einhalten, am besten gibt man noch einige Meter zu - zur eigenen Sicherheit.

War früher alles besser?

Das Fahren in einem 911 kann immer wieder als Erlebnis apostrophiert werden - wir unterstellen mal, daß es Elfer-Besitzern auch so geht. Wie sollte man sonst erklären, daß ein Auto, das für den Alltagsgebrauch eigentlich zu unpraktisch und zu unbequem ist, doch über mehr als drei Jahrzehnte so großen Erfolg hat. Allerdings scheinen sich das die Verantwortlichen in Zuffenhausen auch gedacht zu haben, denn über das intern 996 genannte Modell ist doch schon mit dem Weichzeichner gegangen worden. Wie beim Coupé ist auch beim Cabriolet die Karosserie durch die langen Überhänge weniger markant geworden. Die gestreckte Form scheint mit dem 911-Verständnis einiger Passanten nicht mehr übereinzustimmen.

Dabei ist erstaunlich, daß sich meist die am neuen Elfer stoßen, für die der Satz gilt: "Früher war alles besser". Neuerungen müssen nicht immer den Untergang eines Kults bedeuten, schließlich hat das wassergekühlte Sechszylinder-Aggregat immer noch ein verwandtes Motorengeräusch zum alten Boxer: Moderenes Sound-Engineering macht es möglich. Und - wenn man ehrlich ist - Motorentechnik allein macht noch keine Legende.

Von Marion Zellner

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