Pimp my Ride und die Folgen:Die Breiter-flacher-höher-schneller-Messe

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Was passiert, wenn PS-Freaks Viagra in den Tank kippen, wenn Designer sich Ecstasy aufs Brot schmieren und wenn Ingenieure ihre geheimen Freude-durch-Kraft-Phantasien verwirklichen. Ein Besuch bei der Tuning-Messe in Las Vegas.

Georg Kacher

Kein TÜV. Garantiert kein TÜV, großes Ehrenwort. Keine Instanz, weder staatlich noch regional, die dazwischenfunken würde, mit erhobenem Zeigefinger, fettem Punktekatalog oder unverhofften Routinekontrollen. Stattdessen ist erlaubt, was gefällt. Und was gefällt, wird umgesetzt, meistens mit Hammer, Schweißgerät und Blechschere.

Um die wahren Dimensionen des Monster-Autos zu erkennen, klicken Sie bitte auf das Foto. (Foto: Foto: Charlie Magee)

In Amerika gelten für Neuwagen die strengsten Zulassungsbestimmungen der Welt. Doch sobald der Besitzer das Nummernschild am Auto festgeschraubt hat, kümmert sich niemand mehr um eventuelle Diskrepanzen zwischen Ist- und Soll-Zustand. Deswegen sind die goldenen Kälber im Land der unbegrenzten Möglichkeiten besonders hochkarätig.

Hohe Schule des totalen Tuning

Zelebriert wird die hohe Schule des totalen Tuning einmal im Jahr auf der Breiter-flacher-höher-schneller-Messe in Las Vegas. Die Sema (Specialty Equipment Market Association) malt in den schillerndsten Farben aus, was passiert, wenn die PS-Freaks Viagra in den Tank kippen, wenn die Designer sich Ecstasy aufs Frühstücksbrot schmieren und wenn die Ingenieure ihre geheimsten Freude-durch-Kraft-Phantasien verwirklichen.

Die Amerikaner mögen es gerne etwas größer: Supersize my Burger, my House, my Car. Auf der Sema bewegte sich die XXL-Messlatte in drei verschiedene Richtungen. Breiter ist immer gut, selbst wenn's nicht mehr ganz für die enge Auffahrtsrampe im Parkhaus reicht. Höher wird auch gerne genommen, sei es als luftgefederter Bigfoot mit Ballonreifen oder als brave Limousine auf hydraulischen Stelzen. Tiefer ist das andere Extrem, meist in Form klassischer Lowrider, die beim Fahren Funken schlagen wie ein mobiles Feuerwerk. Erfreulicherweise gibt es dazu passende Tuningpakete für fast jedes Budget.

Am untersten Ende der Dollar-Skala rangieren die sogenannten Rat Rods. Diese alterslosen Minimalisten-Kutschen sehen auf den ersten Blick aus, als kämen sie direkt vom Schrottplatz um die Ecke: rundum verbeult, notdürftig in mattem Lack umgespritzt, ohne Stoßstangen und Rücksitz, oft mit gekapptem Dach und verkürzter Aufhängung.

Doch unter der Haube wohnt der Leibhaftige in Form des stärksten Achtzylinders, den sich der Besitzer leisten konnte. Damit geht's nach Mitternacht ab zum Lamborghini-Verblasen am Südende des Strips.

Das Gegenstück zu den dunkel geschminkten Frankenstein-Cars sind die Donks. Als kaufkräftiger Fanklub grüßt die versammelte Hip-Hop-Gemeinde, auf der Sema besonders zahlreich vertreten durch Exponate der Trend-Postille DUB, die inzwischen eigene Umbausätze, Räder und Innenräume kreiert.

Auffallen ist alles

Wer auf MTV schon einmal "Pimp my Ride" gesehen hat, kann sich ungefähr vorstellen, was gemeint ist. Nur die auffälligsten Schlitten werden überhaupt wahrgenommen von den mit Schmuck behangenen Silikon-Mädchen und den gepiercten Muskel-Jungs, die mit den grellen Show Cars um die Wette glitzern.

Es stimmt schon: Kleider machen Autos, denn ohne extreme Breitreifen gibt's keinen Szenenapplaus und ohne Chrom satt zieht das Blitzlichtgewitter an dir vorüber. Zur Feier des Tages hoben die Street Kids schon im Vorfeld der Sema den megafetten 34-Zöller aus der Taufe - mit echten Diamanten besetzt für 500.000 Dollar das Stück. Bei diesem extremen Querschnitt bietet sich beinahe die Rückkehr zum Vollgummireifen an, denn für Luft ist in den Walzen kaum noch Platz.

Auch ein aufgemotztes Auto muss gepflegt werden. (Foto: Foto: Charlie Magee)

Auch in puncto Design ist die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn voll im Fluss. Den Beweis dafür liefern beleuchtete Speichen, messerscharfe Felgensterne mit integriertem Freilauf (sogenannte Spinners), Räder in allen Farben oder mit Applikationen in Holzfurnier, passend zum Armaturenbrett.

Akzente aus Detroit

Die Auftritte der großen Hersteller haben meist etwas Halboffizielles: Zum einen setzen vor allem die Big Three aus Detroit ein paar werkseitige Akzente, zum anderen unterstützen sie das immer unüberschaubarere Angebot der Tuner. So hat zum Beispiel die Ford-Tochter Volvo drei C30-Varianten der Schnellermacher Heico, Evolve und ipd nach Nevada gekarrt, wobei ipd mit seinem 380 PS starken Turbomotor den Vogel abschoss. Auch VW will sich eine Schnitte vom Tuning-Kuchen abschneiden, der 2006 in den USA ein Umsatzvolumen von 34 Milliarden Dollar erreichen soll.

Als Highlight zeigte das amerikanische Designstudio den Golf R GTI, dessen 2,0-Liter-Vierzylinder mit 100 Oktan-Super statt 200 PS unglaubliche 405 PS leistet und in 4,8 Sekunden von null auf 100 km/h sprintet. Etwas weniger extrem ist der Super Bunny des Haustuners APS, der auf die bezahlbare Kombination aus Golf GTI und 225 PS starkem Turbo-Fünfzylinder setzt.

Noch gewinnbringender als diese Komplettfahrzeuge sind die unter 3000 Dollar teuren Optik-Pakete für Golf und Passat, die neue Räder und Anbauteile beinhalten. Dazu gibt's als Power-Bonus eine einfach zu montierende Lachgas-Einspritzung für den gelegentlichen Raketenstart und als Sound-Upgrade eine krankenscheinpflichtige Nachrüst-Audioanlage, die brave Rabbits in wabernde Dezibel-Ungeheuer verwandelt.

Auch ohne TÜV-Damoklesschwert drücken die US-Cops nicht bei jeder Tuning-Unart ein Auge zu. Zu den Sema-Irrungen, die fast zwangsläufig Blaulicht und Sirene zur Folge haben, gehören in den Endschalldämpfer integrierte Rauchbomben (beliebt bei Fluchtfahrzeugen) und auf Knopfdruck aktivierbare Flammenwerfer (kein Scherz - leider).

Runen-Emblem an der Antenne

Die Stabantenne mit verchromtem Runen-Emblem, das um die eigene Achse rotierende Nummernschild in dreifacher Ausführung (gibt es wirklich!) und die Fernbedienung für Anlasser, Gas und Getriebe (Radius eine Meile) werden vom Gesetz ebenfalls nicht goutiert.

Auch die sichtbehindernden Folien, mit denen zum Beispiel lebensgroße Nackte auf Minivans für eine Porno-Website werben, gehören in die Abteilung Beklopptes & Bescheuertes - genauso wie die farbigen Lichtorgeln, mit denen manche Tuner die Radhäuser und Unterböden ihrer Werkstücke im Disco-Rhythmus erstrahlen lassen.

Da loben wir uns doch klassische Veredelungen wie Nachrüst-Flügeltüren (ab 999 Dollar) oder einbaufertige Austauschmotoren mit deutlich mehr Leistung - alles frei nach dem Motto "gelobt sei, was schneller macht". Um Abgas, Verbrauch und Reifengummi kümmern wir uns im nächsten Leben.

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