(SZ vom 30.05.2001) Nein, Elche in freier Wildbahn gibt es nicht überall. Dafür aber sind in manchen Gegenden Straßen anzutreffen, die mit Rollsplitt übersät sind und manchmal sogar jäh in einer reinen Schotterpiste enden. So gesehen, war es nicht unbedingt eine kluge Entscheidung von Peugeot, den neuen 307 der internationalen Presse in Marokko vorzustellen. Denn konfrontiert mit dem ungewohnten Straßenbelag, kamen einige Tester ziemlich ins Schwitzen. Als Ursache ermittelten die Betroffenen keinesfalls die hohen Temperaturen in Afrika, sondern "gewisse Fahrwerksschwächen". Dies wiederum verwunderte andere Experten, denn auf Schotter entwickelt jedes Fahrzeug eine kritische Eigendynamik, die selbst Rallye-Piloten aus dem seelischen Gleichgewicht bringen kann. Und eigentlich sind die Fahrwerke aller europäischen Autos optimal auf asphaltierte Straßen abgestimmt, was unbestritten Sinn macht.
Ausgewogenes Fahrwerk
Aufgeschreckt von der negativen Berichterstattung reagierte die deutsche Peugeot-Zentrale prompt und stellte einigen Fachzeitschriften viel früher als geplant Autos zur Verfügung. Nach den Ergebnissen dieser Aktion darf der 307 als rehabilitiert gelten. Auto, Motor und Sport attestierte dem Golf-Gegner "sichere Fahreigenschaften" und lobte ihn als den "besten Golf, den Peugeot je gebaut hat".
Eigene Erfahrungen haben diesen Eindruck bestätigt. Das Fahrwerk wirkt gekonnt ausbalanciert, was Komfort und Kurvenstabilität anbelangt. Dagegen gibt es bei der Qualität tatsächlich noch Spielraum für Verbesserungen. Die ein oder anderen Knistergeräusche sollten, wenn die ersten Fahrzeuge im August an Kunden in Deutschland ausgeliefert werden, jedenfalls eliminiert sein. Händler erhalten den kompakten Franzosen bereits im Juni. Den langen Zeitraum dazwischen erklärt Peugeot damit, nur 307 mit dem Elektronischen Stabilitätsprogramm ESP in Deutschland ausliefern zu wollen - das stehe aber erst später zur Verfügung.
Worauf sich die Kunden im Spätsommer also freuen dürfen, ist ein reichhaltig ausgestattetes Fahrzeug, das bereits in der 28750 Mark teuren Basisversion Présence die Insassen mit Front-, Seiten- und Fensterairbags schützt sowie spezielle Kopfstützen bereit hält, die das Risiko eines Schleudertraumas bei einem Auffahrunfall mindern. Ein ABS mit elektronischem Notbremsassistenten, der schnell den maximalen Bremsdruck aufbaut und sogar die Warnblinkanlage automatisch aktiviert, ist ebenfalls an Bord.
Für den Komfort sind elektrische Fensterheber vorne und eine fernbedienbare Zentralverriegelung zuständig. Kalkuliert man diese Ausstattung und berücksichtigt zudem, dass der 307 mit einem 80kW (109PS) starken Vierzylinder an den Start geht, errechnet sich ein Preisvorteil gegenüber einem vergleichbaren Golf von ungefähr 4000 Mark - was in der Kompaktklasse ein Wort ist.
Insgesamt offeriert Peugeot sechs verschiedene Ausstattungsstufen, wovon zwei eher dem sportlichen Kunden gewidmet sind und vier eher Komfortaspekte betonen. Für 2350 Mark Aufpreis erhält der Käufer bei der Version Esplanade zusätzlich unter anderem eine Klimaanlage und elektrisch einstellbare Außenspiegel. Wer sich den Luxus des Spitzenmodells Platinum gönnt (ab 38725 Mark), sitzt auf feinem Leder und überlässt das Einschalten von Licht und Scheibenwischer dem Bordcomputer.
Vorerst liefert Peugeot den 307 wahlweise mit zwei Benzinern (1, 6Liter Hubraum, 80kW/109PS und 2,0Liter Hubraum, 100kW/ 136PS) und einem 2,0-Liter-Diesel (80kW/109PS, durchschnittlicher Verbrauch 5,2Liter auf 100Kilometer) aus. Der HDI genannte Diesel ist mit einem Rußpartikelfilter ausgerüstet. Der 307 Présence HDI wird 33249 Mark und in der Version Esplanade 35596 Mark kosten. Ein Diesel mit 66 kW (90PS) ergänzt das Angebot einige Wochen später.
Die Benziner fahren mit der D4-Abgasnorm steuerbegünstigt. Zudem erfüllen sie die Erwartungen bei Verbrauch (7,4 und 7,9Liter durchschnittlich) und Leistungsfähigkeit (Höchstgeschwindigkeit 190 und 205 km/h) - wobei der stärkere 2,0-Liter-Motor im Verhältnis wesentlich kräftiger antritt, als es der Abstand zum kleineren Aggregat bei den Pferdestärken erwarten lässt. Überraschend ist der harmonische, ruhige Lauf beider Motoren. Überhaupt gehört das insgesamt niedrige Geräuschniveau zu den Stärken des 307 - ebenso das luftige, von der weit nach vorne gezogenen Frontscheibe begünstigte Raumangebot, das selbst die Fondpassagiere nicht enttäuscht. Der Kofferraum rangiert mit 341Litern im Mittelfeld. Schnell anfreunden kann man sich mit den stark konturierten Sitzen, die Körper und Beine gut abstützen. Die gut abgestimmte, elektrohydraulisch unterstützte Lenkung spricht präzise an und setzt kleine Lenkkorrekturen sehr exakt um.
Insgesamt dürfte der 307 den ehrgeizigen Plänen von Peugeot zu Pass kommen. Er sieht gut aus mit seinem typischen Löwengesicht, das wie beim kleineren 206 geprägt ist von tropfenförmigen, schräg platzierten Scheinwerfern. Er hat eine Menge technischer Substanz - und er wird zu vernünftigen Preisen angeboten. Im nächsten Jahr will Peugeot in Deutschland 45000 307er verkaufen.
Modellpalette wird ausgeweitet
Was aber den Erfolg dieses neuen Peugeot wirklich beflügeln soll, ist der schnelle Ausbau der 307-Familie. Bereits in Planung sind ein Kombi, ein Van und ein Cabrio-Coupé à la 206CC, das aber nicht vor 2003 in Serie gehen wird. Bei jeder Variante verspricht Firmensprecher Corrado Provera eine "ganz besondere, verblüffende Überraschung".
Gut möglich, dass bereits auf der Internationalen Automobilausstellung im Herbst in Frankfurt davon etwas zu sehen sein wird. Nicht schwer fällt jedenfalls die folgende Prognose: Wie einst die Mercedes A-Klasse nach dem Elchtest, wird der 307 sein Debüt auf Schotter elegant wegstecken und zu einem ganz ernsthaften Rivalen in der Golf-Klasse heranwachsen. Das ist eine Rolle, die der Vorgänger 306 zeitlebens nur in der Werbung spielen durfte.
Von Hans-Joachim Rehg