Pariser Autosalon 2004:Minivans und Stadtautos beherrschen den Auto-Herbst

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Mehr als 1,5 Millionen Besucher werden dieses Jahr bei der Automesse in Frankreich erwartet, die der kriselnden Branche Mut machen soll.

Von Jörg Reichle

Wenn Frankfurt pausiert, profitiert Paris. Da die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) dieses Jahr turnusmäßig aussetzt, verlagert sich die Präsentation wichtiger Auto-Neuheiten in diesem Herbst wieder einmal an die Seine.

Mercedes CLS, das viertürige Coupé (Foto: Foto: DaimlerChrysler)

Vom 25. September bis zum 10. Oktober sind in den Messehallen dort nicht weniger als 60 Welt- und Europapremieren zu sehen, und mehr als 20 Showcars vermitteln einen Eindruck von den Modell-Entwicklungen in naher und fernerer Zukunft.

Der Pariser Salon, der in diesem Jahr wieder mehr als 1,5 Millionen Besucher erwartet, soll nicht zuletzt der Branche selbst Mut machen.

Streit mit Gewerkschaften

Sie hat es nötig: Im August gingen die Zulassungen von Neuwagen in Europa zum zweiten Mal in Folge deutlich zurück, steigende Rohöl- und Stahlpreise verteuern die Autoproduktion dramatisch, und nicht zuletzt schlagen sich drei Große der Branche, General Motors, Ford und Volkswagen, derzeit mit den Gewerkschaften um das künftige Lohnkosten-Niveau. Ausgang ungewiss.

Zumindest was die Modellneuheiten angeht, scheint ein Großteil der Autohersteller mittlerweile im echten Leben angekommen zu sein.

Ganz wie es die Einkommensverhältnisse vieler Kunden, ihre Freizeitbedürfnisse und die real existierende Verkehrsdichte ins Lastenheft diktieren, stellen Fahrzeuge der unteren bis mittleren Klassen die zahlenmäßig größte Truppe der Hoffnungsvollen, und das Segment der kleinen Vans mit variablen Raumverhältnissen und vernünftiger Motorisierung bekommt weiter Zuwachs.

In der "Raum-Station" Paris zeigt beispielsweise Peugeot den extrem kurzen, aber hohen 1007, der mit seiner riesigen Schiebetür die derzeit wohl konsequenteste Antwort auf die innerstädtische Raumnot gibt.

130.000 Einheiten will Peugeot jährlich vom 1007 bauen, Branchenbeobachter schätzen das gesamte Segment der Minivans, das gerade mit Renault Modus und Lancia Musa attraktiven Zuwachs erhalten hat, auf 380.000 verkaufte Modelle in diesem Jahr, noch 2003 waren es etwa 200.000 weniger.

Die Zukunft ist innen groß und außen klein

Aus mit dem Spiegelei-Look der Scheinwefer: der neue Porsche Boxster (Foto: Foto: Porsche)

"Außen klein, innen groß" scheint also eine der (letzten?) Erfolgsformeln im Autogeschäft zu sein. Auch Honda springt jetzt auf den Zug und zeigt in Paris mit dem FR-V (Flexible Recreational Vehicle) einen sportlich angehauchten Minivan auf der gestreckten Plattform des Civic.

Und Renault-Partner Nissan präsentiert mit der Studie Tone einen Minivan auf der Plattform von Renault Modus und Nissan Micra. Der Tone, europäische Version des Note, der schon von Januar an in Japan verkauft wird, soll im englischen Sunderland gebaut werden und Ende 2005 auf den Markt kommen.

Und selbst DaimlerChrysler huldigt dem Thema Raum, wenn auch gekleidet in den traditionellen Premium-Anspruch. Gleich zwei seriennahe Studien, genannt Vision B und Vision R, sollen die neue Modellfamilie der so genannten Sports Tourer begründen.

Während Vision B eine Art verlängerter A-Klasse darstellt (plus 43 Zentimeter) und unter anderem serienmäßig einen höhenverstellbaren Ladeboden bietet, zielt der sechssitzige Vision R vor allem auf den amerikanischen Markt ab.

Oberklasse-Eleganz und fürstliche Platzverhältnisse

Der riesige Luxusvan, den Mercedes erstmals 2002 als Studie präsentiert hatte, soll Oberklasse-Eleganz und fürstliche Platzverhältnisse bieten, außerdem Allradantrieb, Luftfederung und einen neuen V6-Diesel mit 218 PS, der sich angeblich mit weniger als neun Litern Treibstoff begnügt.

Gemessen an solchen Aufsehen erregenden Crossover-Modellkonzepten wirken Novitäten wie der neue Škoda Octavia Combi recht konventionell, was aber kein Makel sein muss: Schließlich rangiert die seriöse automobile Durchschnittskost dafür in Preisregionen, die noch erschwinglich scheinen.

Das gilt auch für eine ganze Reihe neuer Klein- und Kompaktmodelle. So zeigt Mitsubishi erstmals die betont sportliche, zweitürige Version des neuen Colt, Suzuki ist mit dem komplett neu gezeichneten Swift ebenfalls ein sehenswerter und mit knapp 11.000 Euro auch preislich attraktiver Beitrag zum Thema Stadtauto gelungen, und in der Golf-Klasse nutzt Citroën das Heimspiel in Paris zur Vorstellung des unkonventionell gezeichneten Xsara-Nachfolgers C4.

Er basiert auf der mittleren Plattform des PSA-Konzerns und fordert unter anderem mit Innovationen wie einem automatischen Spurhaltesystem besondere Aufmerksamkeit.

Renault hält sich zurück

Gemessen an der heimischen Konkurrenz hält sich Renault diesmal eher zurück. Der Minivan Modus ist schon bekannt und das Facelift des erfolgreichen Twingo ist mit bloßem Auge kaum zu erkennen.

Nur eine ausgesprochen formschöne Coupé-Studie namens Fluence lässt bereits jetzt hohe Erwartungen an das Design der nächsten Laguna-Generation reifen. Außerdem heizt sie die anhaltenden Spekulationen um die Rückkehr der Franzosen auf den US-Markt an, von dem man sich 1987 zurückgezogen hatte.

Was die deutschen Hersteller angeht, bewegt man sich nach wie vor auf dem vertrauten Territorium alter, womöglich zu alter Stärken. Teuer, stark, schnell.

Neben den Mercedes-Tourern und der neuen A4-Limousine bei Audi steht vor allem Hochleistung im Mittelpunkt: Der neue BMW M5 ist mit seinem 507 PS starken Zehnzylinder-Motor der Formel 1 gewiss näher als der realen Verkehrswelt.

Der Golf GTI fährt 233 Stundenkilometer

Porsche zeigt den gründlich überarbeiteten Boxster, von dem es vermutlich 2005 auch eine Coupé-Version geben wird, und selbst Massenhersteller Volkswagen spielt gerne mit im Power-Play: Der neue Golf GTI soll den Mythos von einst wieder beleben, dass in jedem von uns ein kleiner Rennfahrer steckt.

233 km/h wird der GTI schnell sein (der Tacho reicht bis Tempo 300!) und soll damit der Konkurrenz um die Ohren und der jungen Kundschaft in die Herzen fahren.

Wettbewerber Opel lässt sich aber nicht einschüchtern und zeigt in Paris nicht nur die sehenswerte zweitürige GTC-Version des neuen Astra mit einem riesigen, bis zur B-Säule reichenden Glasdach, sondern auch die Studie einer OPC-Version des Astra, deren Zweiliter-Turbomotor 240 PS leisten soll.

Es wäre freilich ungerecht, den beliebten Rollentausch vom Biedermann zum Brandstifter nur den deutschen Autobauern anzulasten. So zeigt Peugeot in Paris neben dem cleveren 1007 eine brettflache Studie mit Zwölfzylinder-Motor und 500 PS. Sie soll, so heißt es, die Antwort auf den Mercedes SLR sein.

Auch dieser Autosalon wird also wieder Antworten auf Fragen geben, die keiner gestellt hat.

© Süddeutsche Zeitung vom 22. 9. 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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