Panik-Attacken im Auto:Die Angst fährt mit

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Für manche Menschen ist es unmöglich, unbelastet Auto zu fahren - aus unterschiedlichen Gründen. Spezielle Fahrtrainings können dabei helfen, die Angst hinterm Steuer zu nehmen.

Marion Zellner

Autofahren kann doch jeder - wo soll da ein Problem sein? So dachte auch Martin (Name geändert). Bis er vor einem Jahr in seinem Wagen auf der Autobahn eine Panik-Attacke erlebte.

Überfordert auf der Autobahn: Angst hinterm Steuer kann zu lebensgefährlichen Situationen führen. (Foto: Foto: dpa)

"Ich dachte, ich werde ohnmächtig, Schwindel, Herzrasen, ich konnte einfach nicht weiterfahren. Ich glaubte an einen Herzinfarkt", beschreibt er die Erlebnisse. Er erreichte noch einen Parkplatz und stieg aus - was anschließend passierte, so genau erinnert er sich nicht mehr.

"Mulmiges Gefühl im Bauch"

Dass der 32-Jährige heute überhaupt darüber redet, ist schon ein riesiger Fortschritt. Allerdings: Niemand an seinem Arbeitsplatz, nicht einmal seine Freundin weiß, dass Martin auch heute noch Probleme hat. "Martin ist noch mitten im Fahrtraining, er schwitzt beim Fahren und beschreibt ein mulmiges Gefühl im Bauch", so Alexandra Bärike.

Die Diplom-Psychologin und Fahrlehrerin bietet in München, Köln und Hamburg Seminare und Fahrtrainings für Menschen an, denen Autofahren Angst macht. Ihre Klienten sind zum einen Wiedereinsteiger, die massive Scheu vor einem Neuanfang haben. Zum anderen Personen wie Martin, die sich nicht mehr in der Lage sehen, unbelastet Auto zu fahren.

Meister im Vermeiden

Martin mied zunächst nur Autobahnen, wich auf Landstraßen aus, doch als er auch das nicht mehr schaffte, ließ er letztendlich das Auto - so weit es möglich war - stehen. "Diese Klienten sind Meister im Vermeiden; manche lernen den Fahrplan öffentlicher Verkehrsmittel auswendig, Hauptsache, sie müssen nicht ins Auto steigen", so Alexandra Bärike.

Dabei hat die Angst mit dem Auto selbst gar nichts zu tun. "Eine Panik-Attacke kann mehrere Gründe haben und sie kann überall kommen; passiert's im Auto, wird der eigene Angst-Zustand im Kopf damit gekoppelt", weiß Alexandra Bärike.

Meist, vor allem bei Männern zwischen 25 und 45 Jahren, gäbe es davor eine extrem stressige Phase, erklärt die Psychologin, die jährlich etwa 200 Klienten wieder hinters Steuer bringt.

Auch bei Martin war es Stress: Er hatte im Norden alles aufgegeben und war wegen eines neuen Jobs in den Süden der Republik gezogen. Der war allerdings alles andere als erfreulich, Martin wurde arbeitslos; sein altes Auto war ihm zudem "irgendwie unheimlich" wegen eines Beinahe-Unfalls, den er kurz vorher erlebt hatte.

Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war so schlicht wie alltäglich: Martin verfuhr sich, stand unter Zeitdruck, ärgerte sich über einen Stau. "Bis zu diesem Moment war ich ein ganz normaler Autofahrer - ein guter sogar", sagt Martin nachdenklich.

Desensibilisierung heißt die Methode, dem Teufelskreis aus Angst vor der Angst und Vermeidungsmechanismen zu entrinnen. "Meine Klienten kommen oft erst, wenn der Leidensdruck zu groß geworden ist", weiß Bärike.

Und so erinnert sie sich an Klienten, die sich zehn Jahre lang "so durchgewurschtelt" haben, bevor sie sich helfen lassen wollten oder auch konnten. Denn die Angst zugeben - oft unmöglich; viele wählen den Weg der Notlüge.

Da werde lieber behauptet, man habe wegen Alkohols am Steuer oder Raserei keinen Führerschein, so Bärike: "Gerade Männern fällt es schwer, ihre Angst einzugestehen."

Atem- und Entspannungsübungen

Zunächst klärt Alexandra Bärike in Gruppen- oder Einzelgesprächen die Situation. Ziel ist es, die Ursachen für die Fahrangst zu erkennen und die körperlichen Reaktionen einschätzen zu lernen: "Meine Klienten erkennen, dass sie ihr Leben oft völlig neu sortieren und den aktuellen Stress herunterfahren müssen."

Danach vermittelt die Psychologin Techniken der Angstkontrolle, etwa Atem- und Entspannungsübungen. Und letztendlich bleibt ihren Klienten eins nicht erspart: Sie müssen ins Auto steigen.

Dabei nutzt Alexandra Bärike entweder ihr Fahrschulauto oder den Wagen des Kunden: "Wir üben die konkreten Problemsituationen, etwa Autobahnfahrten, höhere Geschwindigkeiten oder Überholen."

Martin hat inzwischen erste Fahrstunden hinter sich und schöpft Hoffnung: "Es geht schon besser, ich bin nicht mehr so aufgeregt und kann auch schon wieder schneller auf der Autobahn unterwegs sein. Ich möchte einfach wieder ganz normal Autofahren."

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