Moderner ÖPNV:Massen-Bewegung

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Der öffentliche Personennahverkehr ist auf der Suche nach neuer Attraktivität. Ein Ausblick auf die Zukunft von Bus, Tram und Bahn.

Klaus C. Koch

Die öffentlichen Verkehrsmittel litten bislang allzu oft an ihrem unvorteilhaften Erscheinungsbild: verschlissenes Rollmaterial, rußende Busse und kreischende Radsätze prägten das Image. Jetzt soll das alles anders werden. Der öffentliche Personennahverkehr, kurz: ÖPNV, geht in die Offensive - und sorgt zugleich für neue Kontraste.

Das Shuttle-System "RailCab" in einer Simulation (Foto: N/A)

Zum zeitgemäßen Auftreten gehören Niederflurwagen mit Panorama-Ausblick und Stadtbahnen, die wie in Karlsruhe mal als Tram, mal als Schienenbus auf Eisenbahntrassen verkehren.

Dazu zählen auch die erste fahrerlose U-Bahn Deutschlands, die im kommenden Jahr in Nürnberg fahren soll, und Omnibusse, die gasbetrieben weniger Abgase verursachen als ein Pkw.

Wieder andere sind fast emissionsfrei auf Achse - zum Beispiel neun Wasserstoffbusse im Rahmen eines von der EU geförderten Programms mit dem Namen Clean Urban Transport for Europe (CUTE) in der Hansestadt Hamburg oder der Hybrid-Bus in Dresden.

Immer mehr Nutzer

Während auf dem flachen Land an Zuschüssen und Schülerverkehren gespart wird, wachsen die Sympathiewerte in den Ballungsräumen. In Hamburg steigen die Fahrgastzahlen genauso kontinuierlich wie in Berlin-Brandenburg, wo 14.000 Bahnhöfe und Haltestellen bedient werden müssen.

An Rhein und Ruhr befördert der Verkehrsverbund VRR werktags mit 5.000 Bussen und Bahnen zwischen Düsseldorf, Dortmund und Essen vier Millionen Passagiere am Tag - fast 1,1 Milliarden pro Jahr.

Aus den Verkehrsbetrieben sind Großunternehmen geworden, die sich das Geld für größere Investitionen auf internationalen Kapitalmärkten beschaffen; nicht selten wird mit zwei- bis dreistelligen Millionenbeträgen geklotzt.

So steckte der Verkehrsverbund Rhein-Neckar rund um Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg seit 2003 fast eine halbe Milliarde Euro in Schienennetz und Rollmaterial, was gleich vier aneinander grenzende Bundesländer zu einem Großraum vereint; so findet sich zwischen Osterburken im Neckar-Odenwald-Kreis (Baden-Württemberg) und Homburg an der Saar die mit 202 Kilometer längste S-Bahn-Strecke Deutschlands.

In der Verwaltung haben kaum mehr die Ärmelschoner das Sagen

Auch wenn es mancherorts noch nicht danach aussieht: "Fließt Geld in den öffentlichen Verkehr", so Michael Lichtenegger, Geschäftsführer der Wiener Linien, anlässlich eines international beachteten ÖPNV-Kongresses in Freiburg, "sinken die Gesamt-Verkehrskosten".

Und das ist kein Schmäh: Die ältlichen Linien der österreichischen Bundeshauptstadt brachten 2005 stolze 443 Millionen Euro, davon 329 Millionen für den U-Bahn-Bau auf. Mit 853 Straßenbahnwagen und 492 Bussen unterhält Wien einen der größten städtischen Fuhrparks der Welt.

Statt einst verpönter Gewinnorientierung gelten auch bei den Verkehrsbetrieben längst Begriffe wie Qualitätsmanagement und Controlling. Fahrgast-Informationen und Betriebsleitsysteme, die per Monitor die Zeitdauer bis zur Ankunft des nächsten Anschlusses anzeigen, sind Standard.

Und in der Schweiz machen die Bundesbahnen ihren Beschäftigten durch das aus Japan bekannte Kaizen Beine - den kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Das Training reicht von der Einstiegshilfe über Fahrgast-Information bis hin zum schnelleren Einschenken im Bordbistro.

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Unterdessen steckt in der Fahrzeug-Technik noch "ein großer Bereich von nicht wahrgenommenen Chancen", findet Jürgen Gausemeier, Systemanalytiker und Leiter des Nixdorf-Instituts der Universität Paderborn. Dazu gehört für ihn ein Shuttle-System mit Namen RailCab.

Auf einer Teststrecke bei Paderborn verkehren die einem Kleinbus ähnlichen Züge nicht nach Fahrplan, sondern scheren bei Bedarf rechnergesteuert mit Tempo 160 auf Bahngleise ein, um ihre Passagiere ans Ziel zu bringen.

20 bis 50 Prozent an zusätzlicher Kapazität

Der Beweis, dass das Reißverschluss-System funktioniert, sei erbracht, aber: "Leider haben wir auf den falschen Verkehrsträger gesetzt", so Gausemeier, "es gibt kein System, bei dem die Hindernisse so groß sind, wie bei der Bahn."

20 bis 50 Prozent an zusätzlicher Kapazität seien auch aus einem herkömmlichen Schienensystem noch rauszuholen, "wenn das Programm und die Signalsteuerung funktionieren", ist hingegen Felix Laube, Informatiker der SBB, unter Hinweis auf komplexe Strukturen im Hauptbahnhof von Luzern überzeugt.

Aber: Ist das Schienennetz erstmal so marode wie in Großbritannien oder bricht die Stromversorgung zusammen wie unlängst in der Schweiz, hilft auch das beste Rollmaterial nicht.

Der natürliche Vorteil der Öffentlichen

Was die Umweltbilanz betrifft, pocht der ÖPNV auf seinen quasi natürlichen Vorteil, der auf der höheren Anzahl der Passagiere pro Fahrzeug beruht. Zahlen des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) zufolge verbrauchen Linienbusse im Schnitt rund 2,5 Liter Dieselkraftstoff pro 100 Kilometer und Fahrgast.

Ein vollbesetzter und mit Rußfilter ausgestatteter Bus emittiere im Schnitt weniger als 0,07 Gramm an Partikeln pro 100 Kilometer und Fahrgast, sagt VDV-Präsident Günter Elste.

Inzwischen gewinnen private Anbieter, die mit besonders umweltfreundlichen EEV-Fahrzeugen (Enhanced Environmentally Friendly Vehicles) an den Start gehen, jede Ausschreibung beim Kampf um die Linie. Andere Unternehmen erkämpfen sich wichtige Marktanteile, indem sie sich schon heute auf die kommende Euro-6-Norm vorbereiten.

Ob alternative Antriebe, Erdgas oder Brennstoffzellen konkurrenzfähig seien, so Siegfried Wenkle, Leiter der Abteilung für alternative Antriebe bei einem Mannheimer Hersteller, hänge freilich davon ab, ob die Treibstoffversorgung flächendeckend sei.

Ticketkauf per Handy kommt

An die Vorgabe von 77 Dezibel Fahrgeräusch hielt sich die deutsche Tochter eines französischen Verkehrskonzerns (Veolia, früher Connex), der mit 55200 Mitarbeitern und 24200 Fahrzeugen in zwei Dutzend europäischen Ländern rund 1,5 Milliarden Fahrgäste pro Jahr befördert, anlässlich einer Ausschreibung im Taunus.

Burkhard Proske, Assistent der Geschäftsführung: "Früher haben sie einen Bus gehört, wenn er kam - heute nicht mehr." Außer für die Schwerhörigen sieht er keine Nachteile. Mit den EEV-Standards sei jeder Verkehrsträger "auf der sicheren Seite".

Einer der nächsten Schritte in Sachen Kundenfreundlichkeit soll der Kauf der Fahrkarte per Handy sein. Nach einer Anmeldung beim Verkehrsträger per Internet wird Interessenten per SMS ein Programm zugeschickt, das das Mobiltelefon zum Datenaustausch mit dem Verkehrsanbieter befähigt.

Ernüchternd allerdings war, dass bei einem Testlauf nur 35 Prozent der Befragten in der Lage waren, ein Ticket zu erwerben. Der Rest scheiterte, räumt Thomas Mügge, Chef des Donau-Iller-Nahverkehrsverbundes in Ulm, ein, weil das Handy die Verbindung zum Internet nicht aufbauen konnte.

Einen anderen und bundesweit viel beachteten Weg geht die Kreis-Verkehr Schwäbisch Hall GmbH mit der KolibriCard, mit der bargeldloses und elektronisches Bezahlen in Bussen und Bahnen möglich ist.

© SZ vom 14.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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