Mobilitätsforscher im Interview:Das Auto im Kopf

Lesezeit: 4 min

Trotz der horrenden Benzinpreise wollen die Menschen fahren, wie sie es gewohnt sind - jederzeit und in vertrauter Umgebung. Und die Leidensfähigkeit ist noch lange nicht erschöpft.

Henning Hinze

Das Fahrrad ist der große Gewinner unter den Verkehrsträgern", sagt der Berliner Mobilitätsforscher Andreas Knie. Der Umstieg vom Auto auf öffentliche Verkehrsmittel fällt den meisten Menschen dagegen schwer, obwohl sie wissen, dass die steigenden Transportkosten sie dann weniger treffen würden.

Andreas Knie ist Professor an der TU Berlin, forscht für das Wissenschaftszentrum Berlin und ist Geschäftsführer des Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel. (Foto: Foto: oh)

SZ: Der Benzinpreis steigt immer weiter. Wann sind unsere Straßen leer?

Andreas Knie: Das dauert noch! Es gibt eine hohe Bereitschaft, zusätzliches Geld für Mobilität zu zahlen.

SZ: Wie bitte? Im Fernsehen sehen wir täglich Menschen, die über die hohen Spritpreise klagen.

Knie: Aber die Leidensfähigkeit ist noch lange nicht erschöpft. Ein Preis, von dem an wir massenhaft umsteigen würden, liegt sicher höher als bei den berühmten fünf Mark oder 2,50 Euro. Die Menschen stellen sich darauf so ein wie auf Staus.

SZ: Aber sie sagen in Umfragen, dass sie langsamer fahren, auf die Bahn umsteigen, sogar umziehen.

Knie: Das tatsächliche Verkehrsverhalten ist von dem, was in Befragungen geantwortet wird, völlig unterschiedlich. Bei empirischen Untersuchungen ragen nur drei Ergebnisse heraus: Ja, es wird etwas weniger Auto gefahren, das ließ sich sogar letztes Jahr schon messen. Die Menschen tun auch das, was sie ungern machen - sich in Fahrgemeinschaften organisieren. Sie kaufen auch sparsamere Autos. Aber dann kommt lange nichts. Wir haben keinen so massenhaften Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel, wie der Spritpreisanstieg erwarten ließe, geschweige denn eine prägnante Änderung des Siedlungsverhaltens.

SZ: Gelten die Beobachtungen für alle Menschen in gleicher Weise?

Knie: In den Städten gibt es Menschen, die schon lange - wie wir sagen - intermodal unterwegs sind: die also mehrere Verkehrsmittel kennen, den Wechsel zwischen ihnen beherrschen und die Preise verstehen. Die sehen, dass sie mit dem Auto im Moment sehr teuer unterwegs sind und nutzen tendenziell öfter öffentliche Verkehrsträger. Das ist aber eine sehr kleine Gruppe. Die große Mehrheit lebt in suburbanen Lebensformen, hat ihre Lebensplanung um das Auto herum gemacht und versucht nun, die Autokosten zu reduzieren.

SZ: Warum geben die Leute das Auto nicht auf?

Knie: Es gibt mehrere Motive. Eines sieht die Forschung hinter den Begriffen Eigenzeit und Eigenraum: Die Menschen können zu jeder Zeit in ihren eigenen Räumlichkeiten unterwegs sein. Das ist ein Standard, den der öffentliche Verkehr nicht bietet, und von dem lassen wir nur ungern ab. Übrigens ist das Fahrrad zurzeit der große Gewinner. Da haben wir seit drei Jahren exorbitante Zuwachsraten. Auslöser war die Gesundheitswelle, die im vergangenen Jahr durch den Spritpreis verstärkt wurde. Aber das Fahrrad erfüllt eben auch das Kriterium der Eigenzeit, und in engen Grenzen sogar das des Eigenraums.

SZ: Welche Bedeutung hat das Auto als Statussymbol?

Knie: Die Zeiten, in denen Vati der Familie und vor allem den Nachbarn sein großes Auto vorgeführt hat, sind vorbei. Wir brauchen das Auto nicht mehr zum Angeben. Seine Bedeutung für unser Leben ist trotzdem so groß wie nie zuvor. Wer heute überlegt, welchen Arbeitsplatz er annimmt, ob er in der Stadt oder auf dem Land wohnen will, wie viele Kinder er möchte, hat das Auto ganz selbstverständlich als Transportoption im Kopf.

Öffentlicher Nahverkehr
:Modern in die Zukunft

Der Öffentliche Personennahverkehr modernisiert sich mehr und mehr. Ein kleiner Überblick.

SZ: Was spricht gegen den öffentlichen Nahverkehr?

Knie: Ein Großteil der Leute ist zum Wechsel gar nicht in der Lage. Der öffentliche Verkehr ist vielen fremd, die mit dem Auto groß geworden sind. Die Tarifstruktur zu durchschauen, gelingt nur wenigen, abgesehen von der Stammkundschaft. Fahrkarten oder gar Tarifzonen - das sind Giftpfeile. Die Anbieter müssen wegkommen vom Tarifdenken und sich den Nutzungsgewohnheiten anpassen, die die Menschen vom Auto gewohnt sind.

SZ: Ein einheitliches Ticket für Bus und Bahn gibt's doch in praktisch jedem Verkehrsverbund.

Knie: Aber die Regeln sind überall anders. Wer 14 Jahre alt ist, kann vielleicht in Stuttgart noch zum Kindertarif fahren, in München aber nicht.Wer in Stuttgart eine Jahreskarte hat, steht in München trotzdem ratlos vor dem Automaten. Von unserem Auto kennen wir dagegen die immergleiche Benutzeroberfläche und einheitliche Preise, egal wo wir gerade fahren.

SZ: Also brauchen wir das Einheitsticket für Bus, Bahn und Flugzeug?

Knie: Das Einfachste wäre eine Flatrate für alle, aber vielleicht geht es auch anders.

SZ: Wie?

Knie: Zum Beispiel mit dem Handy. Das eigene Telefon ist den Menschen vertraut, damit können sie umgehen. Wir könnten mit einem uns bekannten Gegenstand Zugang zu einer uns fremden Welt bekommen, wenn wir nur noch am Startort und am Zielort jeweils einen Knopf drücken müssten, und müssten keine Tarifpläne mehr studieren. Technisch ist das einfach.

SZ: Auch der öffentliche Personenverkehr wird teurer. Ist das ein Problem?

Knie: Die Preisschere zwischen dem eigenen Auto und öffentlichem Verkehr wird weiter aufgehen. Wir werden einen deutlich teureren Individualverkehr haben und steigende, aber eben weniger stark steigende Preise im öffentlichen Verkehr. Der Anreiz für einen Wechsel wird also größer. Aber wichtig ist zu akzeptieren: Wir werden mehr Geld für Transport ausgeben.

SZ: Wo werden wir sparen?

Knie: Wir Forscher wissen es ehrlich gesagt nicht. Gesundheit und private Altersvorsorge werden teurer werden. Also sparen wir vermutlich bei den Konsumgütern, bei Kleidung, vielleicht beim Wohnen. Bei älteren Leute lässt sich zurzeit zeigen, dass sie eher bereit sind, ins Auto zu investieren, als zum Beispiel in den altersgerechten Umbau ihrer Wohnung. Das Auto bedeutet für sie Mobilität.

SZ: Wie unterscheidet sich das Verhalten von Armen und Reichen?

Knie: Hohe Einkommen haben eine hohe Verkehrsleistung und eine hohe Affinität zum Auto. Aber sie überblicken in der Regel auch besser die Optionen, die neben dem Auto bestehen. Wir haben Hinweise, dass in niedrigen Einkommensklassen die Bedeutung des Autos eher wächst.

© SZ vom 18.07.2008/jw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: