Mit dem BMW 760i weg von der Welt:Jenseits des Asphalts

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Exterritoriale Gefühle, unbändige Kraft, königliche Distanz: Extravaganz ist nur ein ärmlicher Ausdruck für den Luxus des BMW 760i. Der Wagen bestätigt eine Theroie Einsteins, führt in ein Paralleluniversum. Und gerät so zum Kulturgut.

Andreas Zielcke

Bewiesen ist die sogenannte Einstein-Rosen-Brücke in der Physik bislang nicht. Diese Theorie Einsteins besagt, dass es an bestimmten Stellen des Universums eine Art Loch gibt, durch das man diese Welt verlassen und wie über eine Brücke in ein anderes, ein Paralleluniversum gelangen kann.

Mit dem uns vertrauten Universum hat dieses andere nichts gemein, nicht einmal die Naturgesetze. Doch was die theoretische Physik bis heute nicht geschafft hat, ist den Ingenieuren der höheren Automobilpraxis längst gelungen.

Schleuse mit magischem Kürzel

Ja der tiefere Sinn der Luxusklasse ist es, ihre Passagiere in eine völlig andere Welt zu schleusen. Extravaganz ist nur ein ärmlicher Ausdruck für dieses Jenseits des Alltags, exterritorial passt schon besser. Bei BMW hat diese Schleuse das magische Kürzel "760i" - die Einstein-Rosen-Formel phantastischer Automobiltechnik.

Schon mit dem Einsteigen wird klar, dass die pfiffige Frage von Hans Magnus Enzensberger, wozu Autos eigentlich dienen, nicht mit der billigen Pointe zu beantworten ist, man wolle mit ihnen ohne eigenen Krafteinsatz von A nach B kommen. Dazu der ganze Aufwand? Lächerlich.

Schwelle in eine andere Zivilisation

Metalliclackierung, Kreuzspeichenräder, Giugiaro-Design - schon jeder Fahrer eines Mittelklassewagens rümpft über diese simple Antwort die Nase. Doch immerhin bewegen sich die mittelklassigen Fahrzeuge bei allen technischen Angebereien ausschließlich in dieser, unserer trivialen Welt.

Nun, auf dem Boden der trivialen Welt steigt man auch in den 760i ein. Doch sofort wird einem bewusst, dass man soeben die Schwelle in eine andere Zivilisation überschreitet.

Es beginnt mit einer feinen, unvertrauten Höflichkeit. Bei normalen Autos muss man sich verrenken, um hinter das Lenkrad zu kommen - hier aber verrenkt sich das Lenkrad, es zieht sich nach oben und ein Stück zurück, um erst, wenn man sitzt, von selbst wieder die richtige Position einzunehmen.

Zugleich fällt die Türe nicht ins Schloss, sondern wird von einer Geisterhand sachte zugezogen. Und bevor man dem volltönenden dunklen Plopp nachtrauert, mit dem seit den fünfziger Jahren die Türen schwerer Limousinen so satt und genussvoll zu schließen pflegten, weiß man, dass hier selbst diese kleinen charmanten Reste proletarischer "Hör-mal-her"-Akustik nichts mehr zu suchen haben. In der 760i-Welt herrscht eine außerordentliche Diskretion der Sinne.

Aber diskret heißt natürlich nicht unnahbar. Im Gegenteil, die höchste Form der Diskretion, das wusste keiner besser als die aristokratische und großbürgerliche Lebewelt, ist zugleich die delikateste: die Diskretion der Kammerdiener.

Der Kammerdiener hebt und senkt

Und wie diese stets auch Helfer und Mitgestalter der intimen Verrichtungen ihrer Herren waren, so nimmt sich einem, nachdem man hinter dem Volant Platz genommen hat, unverzüglich ein technischer Kammerdiener an, der in den Sitz inkorporiert ist.

Nicht nur, dass er Sitzfläche und Rückenlehne feinfühlig an die individuelle Anatomie von Unterleib und Rücken anpasst. Vielmehr macht der Kammerdiener, sollten sich im Laufe der Fahrt auch nur leise Ermüdungsmomente einstellen, auf Fingerzeig hin sogleich daran, "das Becken und die Lendenwirbelsäule des Fahrers durch wechselseitiges Heben und Senken der Sitzfläche in zyklischen Abständen zu mobilisieren".

Echte Kammerdiener würden durchaus dezentere Worte finden als die Gebrauchsanleitung, aber auch sie könnten ihre Herrschaft nicht geschickter entspannen, als es dieses "Heben und Senken" des Unterkörpers besorgt.

Er rührt sich nicht

Gleichzeitig kann man mit kühlem Kopf die seriöseste geschäftliche Verhandlung über die Freisprechanlage führen - Historiker sprechen für die höfische Kultur von den zwei Körpern des Königs: Hier sind diese diskret vereint.

Und dann das Fahren. Gleiten, weich abrollen, dahinschweben, all das könnte der Beschreibung dessen dienen, was den Komfort der Fortbewegung mit einem solchen Auto ausmacht. Und doch ist der Clou ein ganz anderer. Mag der Tacho anzeigen, was er will, der 760i rührt sich trotzdem nicht.

Eine traumhafte Kunst: Während er gelassen seine Position hält, spult er mit den Zauberkräften der Pedale die Straße unter sich weg und führt die Häuser, die Bäume, die Berge und den Himmel an seinen Fenstern geräuschlos vorbei.

Jetzt können wir nach der Einstein-Rosen-These auch endgültig Einsteins Relativitätstheorie klären: Was sich hier bewegt und was absolut nicht, ist eindeutig. Mögen Ort und Koordinaten sich da draußen noch so rasend verändern, der 760i bleibt die Ruhe selbst.

Und das ist auch das Geheimnis der anderen Zivilisation. Der 760i straft seinen eigenen Auftritt Lügen. Er nimmt auch damit ein königliches Vorrecht in Anspruch - keiner darf dem Monarchen offen widersprechen, nur er sich selbst: Kommt der 760i mit seinen muskulösen Rundungen und seiner bulligen Silhouette nicht mit dem Gestus eines metallenen Bodybuilders daher?

Entspannung und zivile Gesinnung

Und locken nicht vollends seine zwölf Zylinder mit ihrer unbändigen Kraft die niederen Instinkte des Fahrers hervor? Falsche Fragen, ahnungslose Korrektheit, die vom maskulinen Glamour der Karosse geblendet ist. Tatsächlich lehrt der 760i das Gegenteil, die zivilisatorische Kraft des Luxus.

Draußen das übliche ermüdende Treiben, in dem Autos und Streithähne um die Plätze kämpfen und sich gegenseitig die Laune verderben und auch die Sitten - Hektik, drängeln, schneiden, fluchen, all diese hochtourigen Ungezogenheiten. Drinnen im 760i Entspannung und zivile Gesinnung.

Friede den fahrenden Palästen

Wer über einen solchen Überfluss an Kraft und Komfort verfügt, muss sich nicht aufblasen. Das mag einem ungerecht scheinen: Friede den fahrenden Palästen, Unfriede den fahrenden Hütten. Doch hier geht der Unfriede nicht von den automobilen Palästen aus, wären die nicht da, sähe das übellaunige Schauspiel da draußen nicht anders aus.

Drinnen also nicht gerade die Erfindung der Langsamkeit - soweit geht es nicht, obwohl nichts erhabener ist, als mit diesem Gefährt müßiggängerisch zu flanieren -, aber doch die permanente Erfindung der Gelassenheit. Ampeln überrumpeln, Vorfahrt erzwingen, dicht auffahren und ähnlicher Krawall verträgt sich nicht mit der gedämpften Clubatmosphäre im Innenraum.

Souveräne Muße breitet sich zwischen Ledersesseln, getönten Doppelscheiben, Wurzelholz und vorausdenkendem Navigationsgerät aus, das einen früh auf passende Restaurants und Hotels hinweist.

Die aktive Geschwindigkeitsregelung hält den Wagen auf Distanz zu jeglichem Vordermann, primitive Rivalitäten bleiben einem erspart, der Kopf ist frei und kann sich die Ablenkung suchen, die er selber möchte und feineren Genuss erlaubt: Unendlich viele Lautsprecher verwandeln den Raum, steht einem der Sinn danach, in einen veritablen Konzertsaal, dass man zu hören meint, der Maestro sei persönlich anwesend. Fehlt nur, dass es sich die junge begnadete Sängerin nach dem Konzert im Fond des Wagens bequem macht.

Höchst elitär das Ganze? Natürlich, höchst elitär, rar und ungewöhnlich. Anders ist in jenes Paralleluniversum, jedenfalls in diesen Zeiten, nicht zu gelangen. Nach Kosten, Benzinverbrauch, gar ökologischer Verantwortung wird dort nicht gefragt.

Aber das Fahren durch das Paralleluniversum ist ja auch überirdisch, märchenhaft, verantwortungsfrei. Nur eine einzige Frage bleibt beim 760i offen. Nach der Theorie wäre, ist man erst einmal über die Einstein-

Rosen-Brücke dorthin gekommen, sogar die Lichtgeschwindigkeit kein absolutes Limit mehr. Nach unserer Erfahrung hat BMW die Höchstgeschwindigkeit schon deutlich darunter begrenzt. Warum diese inkonsequente, diese kleinbürgerliche Hemmung?

© SZ vom 2. 12. 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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