MCC smart:Klein ist fein ist smart

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Mehr Vernunft hat es auf 2,50 Meter Länge noch nie gegeben - aber ob das Publikum mitzieht?

(SZ vom 11.07.1998) Es dürfte in der Geschichte des Automobils schon lange kein Fahrzeug mehr gegeben haben, hinter dem die Persönlichkeit eines einzelnen Mannes steht - so wie hinter dem smart der Uhrenfabrikant Nicolas Hayek. Der Mann, der die Swatch etablierte, trug sich schon lange mit dem Gedanken, ein kleines "Swatch"-Mobil zu bauen - und er fand in dem damaligen VW-Vorstandsvorsitzenden Daniel Goeudevert einen Weggefährten, der den kleinen Zweisitzer relativ weit gediehen ließ. Bis das knuddelige Gefährt dann von Ferdinand Piëch in kürzester Zeit gekippt wurde, weil für ihn ein Stadtauto erst mit vier Sitzen ein richtiges Auto ist.

Ein Kontrapunkt zum noblen Benz

So eilte Hayek dann mit seinen Ideen quer durch die automobile Welt - bis er in dem Mercedes-Benz-Vorstandsvorsitzenden Helmut Werner einen ähnlich denkenden Geist fand, der bereit war, die Idee eines Stadtwagens als Kontrapunkt zu den noblen Gefährten mit dem Stern zu etablieren. Werner sorgte im Februar 1994 für die Präsentation von zwei Studien, die unter den Namen Eco-Sprinter und Eco-Speedster einem ziemlich erstaunten Publikum klar machten, daß sich die Schwaben tatsächlich auf das Gebiet der Kleinstwagen wagen wollten.

Ein nicht ungefährlicher Weg, dem sich in den nächsten Jahren etliche Klippen in den Weg stellen sollten: so die Frage nach dem Produktionsort, völlig neuen Produktionsmethoden (für die auch noch die Zulieferer gefunden werden mußten) und der Vertriebsform. Und zu ihnen gesellten sich noch Sicherheitsthemen und die grundsätzliche, bis heute nicht geklärte Frage, ob es für dieses Gefährt überhaupt ein Publikum gibt.

Mercedes-Benz arbeitete Thema für Thema mit der zu erwartenden schwäbischen Effizienz ab - so wurde ein eigenes Label gegründet und eine Fabrik hochgezogen. Und damit das von den Marketing-Strategen ins Visier genommene jugendliche Publikum auch den Weg zu den Verkäufern findet und nicht vor lauter Schwellenangst vor dem dunkel gewandeten S-Klasse-Verkäufer doch den Weg zu einem VW Lupo sucht, installierte die Muttergesellschaft MCC für den smart eine eigene Verkaufsorganisation, die sich nun in den Ballungsräumen und großen Einkaufszentren breitmachen soll.

Daß sich in den vergangenen Jahren um den smart ein hohes Maß an Irritation aufbaute, lag auch daran, daß sich dieser strikte Zweisitzer vielen liebgewonnenen Vorurteilen entgegensetzt. Wie zum Beispiel: Hin und wieder braucht man einfach mehr Sitze - und einen entsprechenden Kofferraum. Oder: Kann so eine Kugel überhaupt sicher sein? Gerne wurde auch der Einwand gebracht: Für den Zweitwagen zu klein - und für den Drittwagen zu teuer.

Es bedurfte schon eines gehörigen Maßes an Selbstbewußtsein, dieses Projekt dennoch durchzuziehen - und als der smart dann im vergangenen Herbst auf der IAA seine vielbeachtete Weltpremiere feierte, war die Begeisterung groß. Daß der smart dann jedoch - im Kielwasser des Elch-Tests - noch einmal in Untiefen geriet und von einem Markt, den er noch gar nicht gesehen hatte, zurückgezogen wurde, war einmal mehr Wasser auf die Mühlen aller smart-Zweifler.

Aber nun ist er endlich fertig - und mit der Hilfe von Mercedes-Milliarden derart sicher gestaltet, daß die Pressemappe diesem Thema nicht weniger als drei eng bedruckte Seiten widmet, in denen es nur so von Hightech-Ausdrücken wimmelt: "Neben den ABS-Sensoren kontrolliert ein Sensor die Querbeschleunigung des Fahrzeugs und gibt entsprechende Informationen an die Steuerung von Motor und Kupplung. Diese Traktions- und Stabilitätskontrolle mit dem Namen TRUST unterstützt in kritischen Situationen die Stabilität zusätzlich. " Sogar der Tatsache, daß der smart nur 2,50 Metern lang geraten ist, gewinnt die Pressemappe einen Wettbewerbsvorteil ab: "Durch den kurzen Radstand trifft ein möglicher Unfallgegner mit hoher Wahrscheinlichkeit immer eine der beiden Achsen, die so als zusätzliche Versteifungselemente dienen. "

Radikal und zukunftsorientiert

Doch welcher Kunde denkt schon beim Kauf an eventuelle Unfälle? Schließlich hat er sich als besonders weitdenkender Mensch zu erkennen gegeben, der zu den Menschen gehört, für die "das City-Coupé eine Möglichkeit darstellt, sich radikal und unverwechselbar als zukunftsorientiert zu positionieren." Was erwartet denn nun den smart-Besitzer, dessen Auto in erster Linie für den Einsatz in Ballungsräumen gedacht ist?

Ein witziges, unglaublich handliches Gefährt, das nicht nur eine Schneise stets grinsender und fröhlich winkender Menschen hinterläßt, sondern sich auch erstaunlich erwachsen fahren läßt. Der Grund dafür liegt zuerst einmal in der Sitzposition, die so weit hinten ist, daß man vor sich ein völlig normales, ausgewachsenes Fahrzeug vorfindet - und erst bei einem Blick nach hinten überrascht feststellt, daß sich die Heckklappe direkt hinter einem befindet.

Daß der smart im normalen Stadtverkehr munter wie ein Fisch im Wasser mitschwimmt und sich nicht als das befürchtete Verkehrshindernis entpuppt, liegt zum einen an dem Gewicht von nur 720 Kilogramm, mit dem die beiden Dreizylindermotoren mit 600 cm3 Hubraum und wahlweise 33 kW (45 PS) und 40 kW (55 PS) nur wenig Mühe haben - für den Spurt auf Tempo 60 werden 7,2 oder 7,0 Sekunden benötigt, womit in der Stadt für mehr als ausreichend Agilität gesorgt ist. Und die Höchstgeschwindigkeit wird bei 135 km/h abgeriegelt.

Die kleinen Motoren, die mit Doppelzündung und Ladeluftkühlung arbeiten, verfügen (dank moderner Elektronik) über einen besonders niedrigen Kohlendioxid-Ausstoß, und auch sonst haben die Ingenieure tief in die Technik-Kiste gegriffen: So kommt der smart - dank eines elektronischen Gaspedals - ohne ein Gasgestänge aus, während das automatische, sequentielle Sechsganggetriebe auf das Kupplungspedal verzichten kann. Es genügt ein leichtes Antippen des Schalthebels nach vorne, um hochzuschalten, während ein Antippen nach hinten das Herunterschalten bewirkt. Die einzige Schwäche dieses Getriebes, das für Fahrten in der Stadt geradezu prädestiniert ist, liegt darin, daß der smart - bei der Anfahrt am Berg - zuerst einmal zurückrollt, bevor er sich erst nach einem kräftigen Tritt aufs Gaspedal in Bewegung setzt.

Da der smart als reines (Groß-)Stadtfahrzeug ausgelegt ist, hat man sich vor allem darum bemüht, ihm bis Tempo 80 Temperament zu verpassen - aber er wirkt auch auf Landstraßen und Autobahnen nicht untermotorisiert: Dort rollt der City-Floh gut mit. Längere Fahrten demonstrieren aber auch, daß es den Technikern geglückt ist, dem Wagen ein beachtliches Maß an Komfort mit auf den Weg zu geben - daß sich der kurze Radstand auf Kopfsteinpflaster und Querrillen durch ein lästiges Hoppeln bemerkbar macht, war wohl zu erwarten.

Ob sich die Geisteshaltung ändert?

Der smart, der von Oktober an als Basis-Version smart & pure mit 33 kW für 16 480 Mark bei den Händlern stehen soll, wird noch in zwei weiteren Varianten angeboten: als smart & pulse mit 44 kW Leistung zum Preis von 17 480 Mark und in einer auf 7500 Exemplare limitierten Edel-Version unter der Bezeichnung limited/1 für 19 980 Mark.

Auch wenn der Zentrale bereits 30 000 Vorbestellungen vorliegen, so müssen doch mindestens 120 000 Exemplare verkauft werden, bis der smart eine schwarze Null schreibt - dann wird die eigentliche Kunst beginnen: weitere Käufer zu finden, die die Frage beantworten werden, ob sich die Geisteshaltung und Lebenseinstellung gegenüber dem Automobil ändern wird. Und ob die Kunden tatsächlich bereit sein werden, für diese Veränderungen auch Geld auszugeben.

Von Jürgen Lewandowski

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