Lancia Y:Nur ja kein Mittelmaß

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Vor allem Frauen entscheiden sich für den modisch angehauchten Stadtflitzer, der mindestens 19 980 Mark kostet

(SZ vom 14.10.2000) Frauen, so sagen uns die Psychologen, lieben kein Mittelmaß. Vielleicht gilt diese eigentlich auf die Beziehung der Geschlechter gemünzte Erkenntnis ja auch für die Bande, die Frauen zu ihrem Auto entwickeln. Auf jeden Fall hat Fiat-Tochter Lancia sich diesen Satz zu Herzen genommen, als es an die Überarbeitung des Y ging - so kurz und präzise heißt die Kleinwagen-Baureihe der Italiener, die zu mehr als 60 Prozent von Frauen gekauft wird. Vielleicht hat Lancia beim Facelift für den Modelljahrgang 2001 aber auch daran gedacht, dass manchmal Abwechslung gut tut. Denn der 1996 präsentierte Y ist inzwischen ein bisschen in die Jahre gekommen, und die nächste Generation lässt noch bis 2002 auf sich warten.

Neue Akzente haben die Italiener vor allem beim Kleid aus Blech gesetzt. So sind die Stoßfänger und die seitlichen Schutzleisten nun bei jedem Modell in Wagenfarbe lackiert, was den Kleinen erwachsener wirken lässt. Die neu gestalteten Frontscheinwerfer und der größere Kühlergrill im Stil des Lancia Lybra betonen das Familiengesicht. Auch vor den Radkappen und den Aluminiumrädern haben die Designer nicht Halt gemacht. Beibehalten wurde die wahrscheinlich weltweit größte Farbpalette, die für ein Auto zur Verfügung steht: Kaleidos-Programm nennt Lancia den Lackfächer mit mehr als 100 Farbtönen - da kann die Wahl zur Qual werden. Insgesamt haben die optischen Retuschen dem Y gut getan: Er wirkt wie aus einem Guss.

Uneinsichtiges Zentralinstrument

Beim Interieur haben die Designer neue Materialien und Muster für die Sitzbezüge ausgesucht. Dabei haben sie sich, wie zu sehen und vor allem zu fühlen ist, an die Devise gehalten, dass der Y eine hochwertige Anmutung haben soll. Das ist ihnen auch gelungen, nur hätten sie in einem Punkt besser die Techniker hinzuziehen sollen. Das zentrale Anzeigeinstrument, das in der Mitte des Armaturenbretts zu finden ist, mag ja außergewöhnlich aussehen, aber seinen Zweck, nämlich dem Fahrer Informationen bereit zu stellen, erfüllt es nur ungenügend.

"100, 80, 60", kann der Copilot oder die Copilotin mitzählen, wobei natürlich nicht die Höhe eines Flugzeugs kurz vor der Landung gemeint ist, sondern die aktuell gefahrene Geschwindigkeit. Vom rechten Sitz aus - so der subjektive Eindruck - sind die Skalen besser einzusehen als vom Platz vor dem Lenkrad. Wenn man wie gewohnt durch dessen Speichen blickt, gähnt einen ein Ablagefach an, anstatt dass eine klare Anzeige die Fahrerin oder den Fahrer anstrahlt. Was als Design-Gag durchgehen mag, hat sich im Fahralltag längst als unpraktisch erwiesen. Aber auf schnelle Abhilfe darf wohl nicht gehofft werden, bis die Wachablösung mit der nächsten Modellgeneration in zwei Jahren ansteht.

Hand angelegt hat Lancia bei den Motoren: Die beiden zur Auswahl stehenden Aggregate mit jeweils 1,2 Liter Hubraum und vier Zylindern wurden überarbeitet. Sie verfügen nun über mehr Drehmoment, was sich im Alltagsverkehr in einer größeren Durchzugskraft niederschlägt. Und sie sind unter anderem durch eine neue Multipoint-Einspritzung sparsamer geworden. So verbraucht die 44 kW (60 PS) starke Variante durchschnittlich 5,7 Liter Super auf 100 Kilometer, während sich die 59 kW (80 PS) kräftige Variante 6,0 oder 6,5 Liter genehmigt.

Der Wert hängt von der jeweiligen Version ab, die sich vor allem in der Ausstattung unterscheiden. So wird das schwächere Aggregat im Y mit den Beinnamen LS oder elefantino blu angeboten. Wer einige Pferdestärken mehr mag, kann die 80 PS mit der Variante Y 16V LX kombinieren, die auf Noblesse getrimmt ist, oder auf den elefantino rosso mit 80 Elefanten-Stärken setzen. Diese Variante ist auf sportlich getrimmt, wozu auch das kürzer übersetzte Getriebe beiträgt.

Bei ersten Fahrten zwischen Riedhausen und Bachhagel zeigte sich der Y als Kleiner, der durchaus erwachsene Qualitäten vorweisen kann. So ist das Fahrwerk eine ausgewogene Mischung aus Sportlichkeit und Komfort. Schon der 60-PS-Motor, den 80 Prozent aller Käufer wählen, reicht in den meisten Lebens- und Straßenlagen aus, um ausreichend flott in Bewegung zu bleiben. Hier die wesentlichen technischen Daten: Er beschleunigt den blauen Elefanten auf maximal 158 km/h, während es das rote Rüsseltier mit dem stärkeren Motor auf 174 km/h bringt.

Deutlicher unterscheiden sich die Werte, wenn es um die Sprintqualitäten geht: 14,1 beziehungsweise 11,2 Sekunden dauert die Standardbeschleunigung aus dem Stand auf 100 km/h - je nach Variante. Keine Unterschiede gibt es bei der Abgasnorm: Beide Motoren erfüllen Euro 3, aber leider nicht die strengere D4-Norm. Was gerade im Fall des 80-PS-Motors nicht zu verstehen ist, da er eigentlich aus dem Fiat Punto stammt, der nach D4 klassifiziert ist und mit einer Steuerersparnis bis zu 600 Mark erfreut.

Praxisgerecht sind die leichtgängige Schaltung und die relativ direkte Lenkung. Die Platzverhältnisse auf den Vordersitzen sind für einen Kleinwagen gut, da die Auflagefläche der Sitze auch für lange Beine ausreichend ist.

Ein Sonderangebot ist der Y nicht: Schon die Einstiegsvariante, der elefantino blu, kostet 19 980 Mark, dafür sind aber bereits ABS, Servolenkung, elektrische Fensterheber, höhenverstellbarer Fahrersitz und andere Komfortaccessoires an Bord. Zu den schon vorhandenen Fahrer- und Beifahrer-Airbags kommen in der neuesten Variante, die am 21. Oktober zu den Händlern rollt, Seitenairbags hinzu. Der 22 790 Mark teure LS wartet mit Veloursbezügen, elektrisch einstellbaren und beheizbaren Außenspiegeln auf, auch Drehzahlmesser und Klimaanlage kosten keinen Aufpreis.

Mehr Leistung, Lederlenkrad, rote Ziffern auf silbern hinterlegten Instrumentenskalen und eine neue Polsterkombination aus Stoff und Castiglio (eine Kunstfaser, mit der Lancia das bisher verwendete Alcantara ersetzt) sind die inneren Werte des elefantino rosso, der sich beim Exterieur mit 15-Zoll-Felgen in Szene setzt. Dafür sind 25 790 Mark fällig. 2000 Mark mehr kostet das Top-Modell 1.2 16V LX. Wichtigstes Merkmal sind das serienmäßige Navigationssystem inklusive Radio und CD-Spieler. Das Interieur ist auf nobel getrimmt. Lancia meint, dass die glänzende Auflage der Mittelkonsole an den Lack eines edlen Klaviers erinnert. Wer noch mehr will, kann sich eine Lederausstattung (2200 Mark) und ein Schiebedach gönnen, womit ein Kleinwagen für mehr als 30 000 Mark in der Garage stünde.

Doch Lancia ist um den Verkauf nicht bange: 1700 Y will man nächstes Jahr in Deutschland absetzen. Das wäre etwa ein Drittel aller bei uns verkauften Lancia-Autos. 60 Prozent machen die Lybra-Modelle aus, womit für den Zeta und den Kappa nur marginale Anteile bleiben. Vielleicht sollte man es bei diesen Baureihen einmal mit Sondermodellen probieren wie beim Y. Als nächstes ist in einigen Großstädten eine Aktion mit der Modemarke Stefanel geplant. In den Geschäften sollen nicht nur modische Klamotten, sondern auch gleich Probefahrten angeboten werden - Cross-Marketing nennen es die Experten, wenn man die neuen Kleider gleich im neuen Auto nach Hause fährt. Lancia hört offenbar nicht nur auf die Beziehungs-, sondern auch auf die Verkaufspsychologen.

Von Otto Fritscher

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