Lamborghini im Wandel:Herausforderung für das springende Pferd

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Mit dem Gallardo zeigt Audi schon mal, wie ehrgeizig die Ziele sind, die mit der italienischen Marke angepeilt werden. Ferrari muss sich hüten.

Von Jörg Reichle

Wo immer man dieses Auto abgestellt hat - beim Losfahren heißt es stark bleiben und ruhig. Mit gezücktem Schlüssel teilt man die Grüppchen der Neugierigen wie Moses die Fluten und tut lässig und beantwortet im Türöffnen stets dieselben Fragen: "Ja, das ist der neue Lamborghini. Heißt Gallardo, hat 500 PS, geht locker über 300 km/h."

Kurz und knapp: der "kleine" Lamborghini (Foto: Foto: Lamborghini Deutschland)

Und wenn, wie immer, einer wissen will, was der Gallardo kostet, taucht man am besten ins Cockpit ab und kappt mit der zufallenden Tür konsequent die öffentliche Neugier. 139.200 Euro, um ehrlich zu sein, aber das muss man ja nicht laut sagen. In diesen Zeiten!

Betörende Haptik

Dann schützt die Stille vor der Schaulust, die Welt schrumpft auf Cockpit-Dimensionen unter einer riesigen Frontscheibe. Alle restlichen Glasflächen sind nicht der Rede wert, trotzdem herrscht kein Gefühl der Enge in der dunklen Landschaft aus Leder und Mechanik. Alles hier strömt die beruhigende Sorgfalt von Handarbeit aus.

Seit Audi 1998 in Sant' Agata bei Bologna die Regie übernommen hat und die Marke mit dem Stier in Person des Dottore Werner Mischke mit teutonischer Bedachtheit führt, sind die windigen Zeiten vorbei, in denen ein Lambo bloß ein scharfer Motor war, mit etwas Drumherum. Heute herrscht stattdessen überall die Verlässlichkeit der Liebe zum Detail, die sich da und dort sinnlich in kleinen Symbolen entlädt: Wer je den aus Alu gedrehten Tankdeckel kühl und glatt in der Hand fühlte, weiß, wie betörend das sein kann.

Moderne Zeiten

Aber klar, ein Lamborghini lebt nicht von der sauber gesetzten Naht des Leders und der guten Passform seiner Teile allein, auch wenn Presidente Mischke überzeugt ist: "Mit dieser Hochwertigkeit setzen wir Zeichen im Wettbewerb. Das hätte man Lamborghini nicht zugetraut."

Das Erbe des Firmengründers Ferruccio, der vor gut 40 Jahren anfing, seinen berühmten Nachbarn Enzo Ferrari mit selbst gebauten Sportwagen zu ärgern, war zwischendurch ja durch mancherlei und nicht immer seriöse Hände gegangen und der Ruf der Lamborghini-Modelle nicht der Allerbeste.

Das galt übrigens auch für die Stammkundschaft: Goldkettchenträger aller Länder, versammelt euch beim Lambo-Händler, hieß es seinerzeit, und nirgendwo gab es mehr Diablos auf einem Fleck als auf der Reeperbahn nachts um halb eins.

Große Klarheit

Luc Donkerwolke hat Schuld daran, dass diese Kunden am Gallardo wie schon am Diablo-Nachfolger Murciélago eher gedämpft Gefallen finden werden. Der belgische Designer verleiht der Lamborghini-Moderne unverwechselbaren und radikalen Ausdruck. Von betörender Klarheit ist die Alu-Karosserie des Gallardo, jede Linie führt zum Ziel und nirgends fällt die nach vorn proportionierte Potenz ins Peinliche ab.

Dabei hatte der V-10-Motor mit seinen exorbitanten 500 PS strenge Forderungen zum Erhalt seiner thermischen Gesundheit gestellt. Genau genommen entstand das Design also rings um riesige Luftlöcher. Die zeigen sich jetzt vorn und hinten wuchtig und selbstbewusst, auf der Karosserie-Oberseite dagegen dezent verborgen unter feinen Lamellen. Und wie er so dasteht, erfüllt der Gallardo mustergültig die Vorgaben des Präsidenten: "Kompromisslos muss ein Lamborghini heute sein", sagt Werner Mischke, "in der Technik und im Erscheinungsbild."

Reine Sinnenfreude

Der Druck auf den Anlasserknopf lässt den Fünfliter-V10 tief Luft holen und die Reinheit des Klangs erschüttert die Fahrerseele. Das Tier im Gallardo knurrt vor Jagdfieber, am liebsten im Morgengrauen. Die Wildbahn ist dann noch verschattet von der kühlen Nacht und verspricht freien Auslauf. Also rückt der Fahrer die erste Stufe des sequenziellen E-Gear-Räderwerks ein, wärmt die 500 Pferde erst in lockerem Trab und behält dabei die Temperatur der Betriebsstoffe im Auge.

Was folgt, ist reine Sinnenfreude, eine Reise am Rande der Schwerkraft, Verlust des Gefühls für das eigene Gewicht. In kaum mehr als vier Sekunden sind 100 km/h erreicht, flugähnliche Beschleunigung, dank verlässlichem Geradeauslauf, punktgenauer Lenkung, heckbetont ausgelegtem Allradantrieb und messerscharfer Bremsen ist das Tempo mit trockenen Handflächen zu dirigieren.

Beruhigend ist: Der Gallardo fordert Selbstbeherrschung, ohne selbst die Beherrschung zu verlieren. Direkt hinter dem rechten Ohr ertönt dazu eine gewaltige Ode an die Freude, orchestriert für zehn Zylinder, 40 Ventile und vier Nockenwellen.

Erstmals in seiner Geschichte hat Lamborghini im vergangenen Jahr mehr als 1300 Autos verkauft Und auch, wenn Werner Mischke das nie so direkt sagen würde: Torro gegen Cavallo ist die Devise, Kampfstier gegen springendes Pferd. Der große Gegner sitzt noch immer in Maranello - und er sollte aufmerksam nach Sant' Agata schauen.

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