Kawasaki W 650:Der W-sentliche Unterschied

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Viel Drehmoment und ein gut abgestimmtes Fahrwerk machen die japanische Maschine zu einem leicht handhabbaren Gefährt

(SZ vom 23.06.1999) Liebhaber für klassische Motorräder belächeln sie, aber die Konkurrenz staunt, denn die Händler können sie wie warme Sermmeln verkaufen: Kawasakis W 650 ist kein müder Abklatsch britischer Motorradbaukunst, sondern ein wohlüberlegter Vorstoß in die Retro-Marktnische. Sie sind schon seit mehr als zwei Jahrzehnten aus den Fachblättern und dem täglichen Straßenbild verschwunden, die Ladies unter den Motorrädern: Triumphs schlanke Bonneville, Nortons legendäre Commando oder die Rocket Gold Star aus der alteingesessenen Motorradschmiede Birmingham Small Arms. Jedoch bedurften die zweizylindrigen Motorräder dank ihres Motorenkonzeptes mit Kurbelwelle ohne Hubzapfenversatz steter Pflege und Wartung, weil sich über kurz oder lang Verschraubungen lösten oder etwa Fußrasten lockerten. Nach ersten Erfolgen mit kleinvolumigen Alltagsfahrzeugen gingen Japans Motorradschmieden Ende der sechziger Jahre in die Offensive: Mit Produkten wie der Honda CB 750 Four überzeugten sie die westlichen Kunden mit ausgereiften Konzepten, präziser Fertigung und Mut zur Lücke. Firmenbosse jener glorreichen Marken des Vereinigten Königreichs staunten damals, wenn die Verkaufszahlen bekannt wurden.

Doch heute, gut ein Vierteljahrhundert später, sind Bonneville und Co. Klassiker, das Konzept des Paralleltwins fast schon charismatisch. Gerade in Japan sind alte englische Motorräder neben den amerikanischen V-Twins aus Milwaukee geradezu Statussymbole. Doch während japanische Chopper von Jahr zu Jahr konsequenter umgesetzt wurden und dem US-Original optisch immer ähnlicher wurden, hielten sich Honda, Yamaha und Suzuki im Nischenbereich Klassik bedeckt. Zugegeben, Yamaha trimmte sein Arbeitspferd SR 500 über die Jahre hinweg mit Accessoires auf back to the roots, ebenso ließ sich Honda zur Clubman TT hinreißen, einer leicht umgestylten, einzylindrigen XBR 500. Bei Kawasaki entschloß man sich 1991 zur Retro-Modellreihe Zephyr , die sich zunächst nur an das eigene Erfolgsmodells Z 900 anlehnte. 1972 war das Vierzylinder-Superbike erschienen und hatte die W 1 und W 2, ihrerseits Kopien der britischen 650 cm³-BSA-Modelle A 10, abgelöst. Doch was damals ein Flop war, kam den Konstrukteuren der seit Frühjahr verkauften W 650 zugute. So ist Kawasaki 1999 die optische Täuschung gelungen, denn technisch ist der neue Paralleltwin mit den Vorbildern kaum vergleichbar.

Wie ein Trojanisches Pferd verbirgt die W 650 ihre vielschichtigen Technikkniffs geschickt hinter Chrom und barocken Formen. Vibrationen der Vorbilder kennt der 676 cm³-Motor dank seiner mit Kurbelwellendrehzahl gegenläufig rotierenden Ausgleichwelle kaum. Die vier Ventile pro Zylinder erhalten ihre Öffnungs- und Schließimpulse über eine obenliegende Nockenwelle. Üblicherweise geschieht dies per Kette - nicht bei der W 650, dort überträgt eine aufwendige Königswelle die Drehungen der dreifach gleitgelagerten Kurbelwelle zum Ventiltrieb. Auch hier ließen sich die japanischen Erbauer nicht lumpen: Zwecks Geräuschdämmung wurde die zweiteilige Königswelle extra in ein separates Gehäuse verbannt.

50 Pferdestärken leistet der japanische Paralleltwin - angesichts heutiger Spitzenleistungen von 175 PS (Suzuki Hayabusa) erscheint dies hausbacken. Für optimale Verbrennung bürgt die Kennfeldzündung sowie ein Drosselklappensensor am rechten der beiden 34 mm-Vergaser, obendrein sorgt ein Schalter vom ersten bis dritten Gang für einen festgelegten Zündzeitpunkt. Drehmoment ist rechlich vorhanden, zum gemütlichen Herumbummeln in Stadttempi darf der fünfte Gang stets eingelegt bleiben. Ob im Stadtverkehr oder über Land, kinderleicht läßt sich das vier Zentner schwere Bike durch Kurven zirkeln, Längsrillen - Kawasakis Techniker haben auch beim Fahrwerk Sinn fürs Detail bewiesen. Auf Verstellmöglichkeiten von Dämpfung und Federung wurde verzichtet, die Gesamtabstimmung der Telegabel mit klassischen Faltenbälgen und der zwei Federbeinen an der Kastenschwinge lassen jedoch wie die Bremsen kaum Wünsche offen. Dank klappbarer Fußrasten mit Metallpins lassen sich ordentliche Schräglagen mit der Kawasaki W 650 meistern, nur für sportliches Touren ist der beige-braune oder blau-silberne Tank mit 15 Litern Inhalt etwas zu klein geraten.

Wie dem auch sei: Kawasaki hat mit der Euro 1-tauglichen W 650 bewiesen, daß man aus alten Rezepten à la Paralleltwin, kombiniert mit zeitgemäßer Technik noch schmackhafte Produkte zaubern kann - nicht jedes Motorrad muß ein V-Twin sein. 700 Maschinen sollten ursprünglich laut dem deutschen Importeur zu einem Preis von 11 990 Mark dieses Jahr geordert werden, mehr als 1700 Stück tummeln sich bisher in Deutschland.

Von Gerfried Vogt

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