Kawasaki GPZ 1100:Lamm oder Wolf - nach Wunsch

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Mustergültiger Antrieb und gute Verkleidung

(SZ vom 12.07.1995) Wer kennt sich da noch aus: ZZ-R, GTR oder GPZ - allein drei vollverkleidete Motorräder mit 1000 oder 1100 Kubikzentimeter Hubraum finden sich im Kawasaki-Programm. Neu darunter ist das Modell GPZ 1100. Es provoziert die Frage, ob 17 990 Mark für diesen Sporttourer gut angelegt sind, und verlangt von Kawa- Fans die Entscheidung zwischen GPZ und der 3500 Mark teureren, etablierten ZZ-R 1100.

Die Unterschiede auf dem Papier: Das billigere der beiden Big Bikes hat statt eines Alu-Rahmens einen stählernen Doppelschleifen-Rahmen, dazu einfachere Federelemente und Bremsen. Der 1052 Kubikzentimeter große, wassergekühlte Vierzylinder-Reihenmotor leistet ebenfalls 74 kW (100 PS), wurde aber ein wenig in Richtung mehr Drehmoment bei mittleren Drehzahlen überarbeitet.

In der Praxis stellt sich die GPZ als satt motorisiertes Zweirad dar, dessen gesamter Antrieb mustergültig arbeitet: Weder an Motor noch Getriebe oder Schaltung ist irgend etwas auszusetzen. Der Motor schnurrt in jedem Drehzahlbereich kultiviert, auch Kaltstart-Allüren sind ihm fremd. Die Feder-Dämpfer-Kombination ist schnellen Autobahnetappen genauso gewachsen wie Landstraßentouren. Die Bremsanlage verrichtet ihre Aufgabe ebenfalls einwandfrei.

Gut gefallen hat uns auch die Verkleidung: Sie schützt den Fahrer insgesamt gut vor Nässe und allzuviel Wind. Die Sitzposition ist gemäßigt sportiv, nach einiger Gewöhnung für lange Etappen durchaus brauchbar. Nur gute Noten heimst die GPZ auch für ihre Ausstattung ein: verstellbare Handhebel, Zeituhr, Hauptständer, ein riesiges Ablagefach unter dem Sitz und die wahlweise angebotene Gepäckkoffer-Ausstattung (sehr gute Givi-Koffer mit dezentem Gestell) lassen Nörglern kein Argument. Allein die Spiegel bieten zuwenig Rücksicht, und daß das Federbein vom Hinterrad permanent mit Dreck beworfen wird, dürfte seiner Langlebigkeit nicht dienlich sein.

Auf längeren Strecken kommt auf dem Soziusplatz wegen hoher Rasten und zuwenig Platz nur bei sehr zierlichen Menschen Freude auf. Dank 74 kW (100 PS) ist bei der GPZ reichlich Fahraktivität geboten (Spitze 230 km/h), das Fahrwerk der immerhin fast 270 Kilogramm schweren Maschine ist zugleich komfortabel und kurvenfreudig, der Verbrauch bei leidlich gemäßigter Fahrweise mit 6,5 Litern noch angemessen; hohes Autobahntempo quittiert die GPZ allerdings mit Verbrauchswertenbis zu zehn Litern. Selbst bei der geringfügig leistungsreduzierten und damit versicherungsgünstigeren 98-PS-Version fallen allerdings erhebliche Unterhaltskosten an: Der alle 5000 Kilometer nötige Service schlägt mächtig zu Buche.

Die relativ preiswerte Mischung aus Lämmchen und Wolf im dezent gestylten Schafspelz in Form der GPZ macht durchaus Sinn. Die Nachfrage nach der aufwendigeren ZZ-R 1100 dürfte deshalb voraussichtlich unter der GPZ 1100 leiden, der sowieso schon länger eine Mauerblümchenrolle spielende Tourer GTR 1000 ist wohl ebenfalls demnächst ein Auslaufmodell.

Von Ulf Böhringer

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