IAA:Schatten über Frankfurt

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Die Freude auf die IAA ist schlagartig verflogen. Eine Absage kommt für den Veranstalter dennoch nicht in Frage.

Dutzende Menschen drängeln sich am jenem verhängnisvollem Dienstag Nachmittag um den schwarzen Mercedes C 320. Doch der Andrang gilt nicht der gut 100.000 Mark teuren Limousine, sondern dem Radio im Inneren. Nach den Terroranschlägen in den USA sammeln sich Journalisten und Mitarbeiter der Stände an vielen Ausstellungsfahrzeugen der Internationalen Automobil-Ausstellung. Oder um vereinzelte Fernseher in den Presseabteilungen der Unternehmen auf der Messe, um die Nachrichten live zu verfolgen. Manager sagen Interview-Termine ab. Und der Veranstalter streicht die gesamte Eröffnungsfeier, auf der Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) am Donnerstag eine Rede halten sollte.

Der Frankfurter Messeturm musste am Mittwoch wegen einer Bombendrohung vorübergehend geräumt werden. (Foto: N/A)

"Das ist unvorstellbar, wie in einem schlechten Film", sagt Hubertus Dieckmann, Mitarbeiter am Mercedes-Stand. "Wahnsinn", sagt er immer wieder und reibt sich das Gesicht. "Die Stimmung ist bedrückt", stellt auch Dennis Papin fest, der auf der IAA Video-Großleinwände für die Autofirmen installiert.

Displays zu klein

Für die Nachrichtenbilder würden sich die Geräte gut eignen, aber: "So schnell baut man die nicht auf." Das mobile Internet, das die Autohersteller propagieren, hilft dem informationshungrigen Publikum ebenfalls kaum weiter. Auf den kleinen Displays der Geräte, wie sie etwa im Mercedes A 190 installiert sind, muss man eine Weile suchen, bis man einen Überblick hat.

Noch magerer präsentiert sich ein Internet-Großbildschirm am Ferrari-Stand. Die Adresse www.cnn.com hat jemand eingetippt, doch die Webseite ist zusammengebrochen - durch Überlastung.

Infos aus dem Autoradio

So bleiben nur die vielen Autoradios in den Ausstellungsfahrzeugen - und zwei Fernseher, die CNBC-Mitarbeiter neben ihrem Übertragungswagen an Halle 5 auf einfache Biertische gestellt haben. Binnen Minuten sammeln sich Hunderte davor und schauen auf die Bilder der rauchenden Trümmer des World Trade Center.

Ein junger Mann diskutiert heftig per Handy: "Der Pilot kann das gar nicht gewesen sein, keine Chance." In einem Grüppchen heißt es nach ein paar Minuten: "Komm', wir fahren jetzt nach Hause." Angesichts der Katastrophe kreisen die Gedanken vieler um die Zukunft - gleich, ob einfacher IAA-Arbeiter oder mächtiger Firmenboss.

Sprachlosigkeit

Der designierte-Volkswagen Chef Bernd Pischetsrieder konstatiert: "Da bin ich ehrlich gesagt sprachlos, weil das Auswirkungen hat, die man noch nicht überschauen kann." Er hoffe auf eine besonnene Reaktion der USA, fügt er hinzu, während er sich den blauen Audi-Prototypen Avantissimo zeigen lässt.

Der scheidende VW-Chef Ferdinand Piech nennt den Vorfall sehr schlecht für die ganze Welt. Er habe sich allerdings auch bereits darum gekümmert, VW gegen mögliche wirtschaftliche Folgen abzusichern. "Der ersten Anruf, den ich gemacht habe, galt der Verbesserung unseres Hedging", sagt er.

Schock-Zustand

Bei DaimlerChrysler haben Mitarbeiter zunächst große Probleme, Kontakt zu ihren Büros in New York aufzunehmen. Immerhin sind sie relativ weit entfernt von dem World Trade Center angesiedelt. Andere Manager sagen sichtlich geschockt Interviews ab. "Heute kann ich kein Gespräch mehr führen", sagt ein Vorstandsmitglied und lässt Journalisten stehen.

Die Betroffenheit ist überall spürbar, denn praktisch jeder Autokonzern hat wichtige Bereiche in den USA - ob DaimlerChrysler mit seiner US-Tochter Chrysler, Opel und Ford mit ihren US-Mutterkonzernen oder Firmen wie VW oder Audi als Exporteure.

Es ist der erste Tag der IAA, die zunächst für die Presse und ab Donnerstag offiziell geöffnet ist. Die größte Branchenschau geht weiter, wenn auch unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen und ohne die feierliche Eröffnung mit dem Kanzler.

Automobile kein Thema mehr

"Ich glaube, es kann sich niemand vorstellen im Augenblick, dass wir über Automobile und Ähnliches reden in einer Zeit, in der das passiert ist. Dafür ist die Betroffenheit bei allen Beteiligten zu groß", sagt ein sichtlich betroffener VDA-Präsident Bernd Gottschalk nach einer Krisensitzung der VDA-Führung.

Viele Besucher, die am Abend des ersten Tages aus den Toren der Messe strömen, werfen einen argwöhnischen Blick nach oben - auf den mehr als 250 Meter hohen Messeturm nebenan, eines der Wahrzeichen der Bankenstadt Frankfurt. Und auf der alten Frankfurter Festhalle am Messeeingang wurde die Deutschlandfahne auf Halbmast gesetzt.

(sueddeutsche.de/Reuters)

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