Harley-Davidson Road King, Yamaha Royal Star und Honda F6C:Es kommt nicht auf die Zylinderzahl an

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Zum gemächlichen Cruisen ist viel Drehmoment und reichlich Hubraum gefragt

(SZ vom 24.03.1999) Cruising - das bedeutet gelassenes Dahingleiten, Hektik ade. Dabei schöpft der Fahrer gerne aus dem vollen: Reichlich Hubraum und möglichst viel Drehmoment bei mäßigen Drehzahlen - das ist das technische Grundrezept für einen erfolgreichen Cruiser. Und das Hauptquartier dieser Welt stellt Harley-Davidson mit seinen zweizylindrigen Choppern und Cruisern dar - vor allem die Japaner orientieren sich optisch stark an den US-Gefährten. Gegen den Road King, den tourentauglichen Königs-Cruiser von Harley-Davidson, treten mit der Yamaha Royal Star Tour Classic und der Honda F6C zwei japanische Bikes an, die der Harley in Sachen Hubraum nicht nachstehen - dafür hingegen mit einem V4-Zylindermotor und einem Sechszylinder-Boxertriebwerk antreten.

Optik rangiert bei diesen Modellen ganz vorne. Dabei kommt die Yamaha mit ihren geschwungenen Linien dicht an die Harley heran: Das voluminöse Windschild der Touring-Variante könnte direkt dem Ersatzteillager in Milwaukee entnommen worden sein. Im Touring-Outfit bringt die Royal Star, wie die Harley, nahezu 345 Kilogramm auf die Waage. Bei der zehn Kilogramm leichteren Honda F6C dominiert der große Sechszylinder-Boxermotor. Das breit bauende Triebwerk wirkt, als sei es gerade aus einem Chrom-Totalbad herausgezogen worden. Die Rückenstütze am Soziusplatz - wie auch bei der Yamaha serienmäßig - schützt vor dem Verlust eines Mitfahrers, denn der Motor zieht beim Gasgeben unglaublich an . . .

Doch zuerst zu den Motoren. Hier markiert die Honda einen Bestwert: So kultiviert, kraftvoll und drehfreudig geht dieses 1,5-Liter-Sechszylinder-Triebwerk zur Sache, daß der Fahrer zu träumen vermeint. Trotz des brachialen Antritts des 72 kW (98 PS) starken Triebwerks läßt sich die Honda bereits ab 800 Umdrehungen vibrations- und ruckfrei beschleunigen.

Der Yamaha-V4-Motor - immerhin mit etwa 1,3 Liter Hubvolumen gesegnet - fällt da deutlich ab: Mit seinen 54 kW (74 PS) Leistung und 110 Newtonmetern Drehmoment kann er gegen die 130 Nm der Honda nichts ausrichten. Da fehlt es an Durchzug, und auch die Laufkultur kann nicht mithalten - rein akustisch gefällt der V4-Sound hingegen.

Verglichen mit den beiden Japan-Bikes ist der Harley-Motor zwar von vorgestern, doch macht er keine schlechte Figur: daß er nur 41 kW (56 PS) leistet, merkt man in der Praxis kaum. Die Drehmomentschwäche - es stehen hier nur 95 Nm zur Verfügung - zwingt aber zu häufigerem Schalten. Nach einiger Eingewöhnung zeigt sich jedoch eine gelungene Abstimmung zwischen Motor und Fahrwerk: Harleyfahren funktioniert unspektakulär-lässig und entspannend. Selbst forciertes Tempo auf kurvenreichen Passagen ist nicht nur möglich, sondern geht leicht von der Hand.

Das kann man bei der Yamaha leider nicht sagen: Zu wenig Schräglagenfreiheit führt zu häufigem Kratzen von Fahrwerksteilen auf dem Asphalt. Für sich allein läßt es sich mit dem Königlichen Stern durchaus königlich cruisen; nur merkt man dann nicht, daß andere manches besser können - was auch für die Bremsen gilt. Dabei setzt die Honda Zeichen - wie die Yamaha mit Kardanantrieb gesegnet, gibt sie sich beim Fahren agil und harmonisch, und dabei zwar straff, aber durchaus komfortabel abgestimmt. Das Maximaltempo von knapp über 200 km/h liegt weit jenseits üblicher Cruiser-Werte.

Bei den Punkten Bedienung, Ausstattung und Sitzkomfort sammeln die Kandidaten ihre Punkte auf unterschiedlichen Feldern: Die in Touring-Version 24 690 Mark kostende Yamaha durch serienmäßige Koffer, Windschild und eine ordentliche Verarbeitung. Die Honda (26 620 Mark) glänzt mit guter Verarbeitung, der besten Sitzposition und guten Bedienungselementen. Die Harley zieht nach wie vor die Blicke auf sich; das Original ist halt nur schwerlich zu übertreffen. In der Praxis punktet die Road King mit funktioneller Bedienung, guter Sitzposition und dem besten Windschild.

Daß Harleys viel Geld kosten, dokumentiert auch die Road King eindrucksvoll: 32 500 Mark verlangt der Händler für die Basisversion, 34 400 Mark für die verfeinerte Classic-Ausgabe. Diese Saison wird ein neues Triebwerk geliefert - mit 1449 Kubikzentimetern Hubraum und einer Leistung von 50 kW (68 PS). Die Yamaha kommt zusätzlich noch tourentauglicher als Variante Royal Star Venture und nähert sich damit der Harley im Preis (29 990 Mark) weiter an. Die ohne Reise-Accessoires daherkommende Honda stellt einen heißblütigen Zwitter dar: Einerseits ein lammfrommer Bilderbuch-Cruiser zum Dahingondeln, andererseits doch ein wahres Kraftbündel mit fast zuviel Motor für einen Cruiser. So gesehen spricht für das Original doch allerhand.

Von Ulf Böhringer

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