Die Sonne lacht über dem westfälischen Dülmen, Vögel zwitschern. In der klinisch reinen Montagehalle schrauben Männer in weißen Hemden an einem Roadster, im Obergeschoss vernähen Frauen weiches Leder, nebenan wächst ein Kabelbaum. Der Geruch von Lötzinn liegt in der Luft und angesichts des Strippengewirrs fragt sich der Besucher, wer das alles auseinander halten soll.
Dagegen ist der Raum, in dem die Karosserieteile aus Glasfaser verstärktem Kunststoff Gestalt annehmen, schon übersichtlicher. Aha, das wird ein Dach. Das Dach des neuen Coupés namens Wiesmann GT, des zweiten Modells der 60-Köpfe-Manufaktur, deren Roadster mittlerweile Kultstatus erlangt hat.
¸¸Der Roadster läuft gut", sagt Friedhelm Wiesmann, fürs Kaufmännische zuständig. ¸¸Gerade ist Nummer 448 in Produktion, das hätte uns nach den vier Exemplaren im ersten Jahr 1993 niemand zugetraut. Doch beim Blick auf Großserienfahrzeuge, die als Coupé und als Cabrio angeboten werden, sieht man, dass das Coupé den größeren Verkaufsanteil hat." So wurde vor rund viereinhalb Jahren die Idee zum GT geboren.
Gift für Controller
Jetzt läuft die Produktion allmählich an, und wie beim Roadster ist der Anteil an Handarbeit so hoch, dass es jeden Controller bei, sagen wir mal VW, in den Wahnsinn triebe. Während die Roadster vom bis zu 343 PS starken Sechszylinder des BMW Dreier angetrieben werden, legte Martin Wiesmann, der Techniker, den GT gleich für den bayerischen Achtzylinder aus.
Das Coupé ist daher etwas größer, mit 4,23 Meter etwa so lang wie ein Golf. Für die Dramatik des Auftritts sorgt nicht nur die Höhe von 119 Zentimetern bei 1,85 Metern Breite, sondern vor allem das Design. Hier duckt sich kein kühler Keil auf die Straße, sondern ein Körper, dem man ansieht, dass er Seele und Muskeln hat.
Klarer Phall
Schwung holend in der langen Motorhaube, quert eine Linie die kleine Kanzel, formt über den Radhäusern einen lasziven Hüftschwung und strömt weiter Richtung Heck, der wohl emotionalsten Partie des Autos. Ein klarer Phall von Auto-Erotik, der nach dem Stadium der ersten Skizzen aus einem Berg Modelliermasse entstand.
¸¸Am PC Karosserien konstruieren kann ich nicht", gibt Martin Wiesmann zu. Also formte er, modifizierte, verwarf, machte neu, bis das Kleid das steife Aluminium-Monocoque samt Radführungen und allem, was ein Auto so braucht, gerade noch bedeckte, ohne zu bersten.
Easy going
1250 Kilogramm bringt der GT auf die Waage. Das klingt nach Askese, doch zwischen den flachen Türen über den breiten Seitenschwellern liegt eine luxuriöse Raumkapsel, die bis zum Dachhimmel mit Leder ausgeschlagen ist und Fahrer sowie Passagier in entschlossen zupackende Sitzschalen bettet.
Die Beine wollen in Schächte geschoben werden, die wegen des weit hinter der Vorderachse montierten Achtzylinders sehr schmal ausfallen. Die Pedale stehen eng beieinander, versehentliches Linksbremsen kann also vorkommen. Doch wenn der 4,8-Liter-Motor mit 367 PS, aus dem BMW Siebener als dezenter Nuschler bekannt, seine ersten grollenden Atemzüge tut, wäre dies selbst für gestandene Mannsbilder Grund genug, in spitze Stilettos zu schlüpfen.
Auf keinen Fall überheben!
Dass 367 PS mit dem Gewicht eines Kleinwagens leichtes Spiel haben, versteht sich von selbst. Weniger als fünf Sekunden Vollgas sollen reichen, um sich aus dem Stand auf 100 km/h zu katapultieren, die versprochene Spitze von 280 km/h scheint ebenfalls nicht übertrieben und soll dank aerodynamischem Feinschliff im Windkanal ohne feuchte Handflächen erreichbar sein.
Diese Extreme sind jedoch die am wenigsten spannende Seite des GT, denn brutal schnell sind heute auch andere. Mit Halbgas ist man bestens bedient. Das allgegenwärtige Drehmoment spült dich mit der Macht einer sanften Dünung von Kurve zu Kurve, derweil du dich satt hören kannst an den sahnigen Melodien der Auspuff-Fanfaren, in die sich einzelnes Bollern mischt wie Zartbitter-Schokolade ins Stracciatella-Eis.
Keine Behäbigkeiten
Beglückender ist die Leichtigkeit der Kurvenfahrt, die wunderbare Welt der Querkraft. Auf kleinste Ausschläge des Miniatur-Lenkrades folgt zackiges Einlenken, ohne Behäbigkeit, ohne Seitenneigung, bestens kontrollierbar. Dürfen sich Autos der 1,8-Tonnen-Liga Sportwagen nennen, nur weil sie noch mehr Power haben? Solche Gedanken gehen einem durch den Kopf, bis der Gasfuß übermütig wird und das ESP sanft eingreift.
Wie die saubere Verarbeitung im Interieur oder die makellose Oberflächenqualität der Karosserie und der trotz kurzer Federwege vorhandene Komfort unterstreichen Dinge wie das optionale ESP die Klasse des Wiesmann GT.
Dieses Fahrdynamiksystem auf die Belange einer Kleinstserie abzustimmen, kostet Zeit und Geld. Die geforderten Aufpreise sind happig, aus der Stückzahl jedoch erklärlich. Airbags fehlen noch, doch Freunde des Hauses und Umsteiger aus der Geld-ist-relativ-egal-Gilde scheint das nicht zu stören. Die GT-Produktion ist bis Ende 2006 ausverkauft - zu Preisen von mindestens 107.000 Euro. Die Wartezeit beim Roadster - mit 231 PS wenigstens 88.900 Euro teuer - ist kürzer. Etwas.