Formel 1:Schumis Urahnen

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Zwölf Stunden Fahrt in glühender Hitze, 18 Reifenwechsel: Heute vor 100 Jahren fand der erste Grand Prix der Motorsportgeschichte statt.

Von Jörg Reichle

Es war ein Tag, ¸¸heiß wie im Senegal", wie Zeitgenossen notierten. Als am 26. Juni 1906 früh morgens 32 Rennwagen auf die fast 103 Kilometer lange Dreiecks-Piste bei Le Mans in Nordfrankreich gingen, ahnte keiner, welche Bedeutung der Grand Prix de France einmal bekommen würde.

Der Sieger des ersten Grand Prix de France von 1906: ein Renault, gesteuert vom Renault-Testfahrer Ferenc Szisz. (Foto: Foto: AFP)

Dieses Wochenende im Juni war aus verschiedenen Gründen denkwürdig. 12 Runden waren zu fahren, sechs am ersten Tag, weitere sechs am folgenden. Um den Staub zu binden, hatte der Veranstalter rund 80.000 Liter Goudron auf die fünf Meter breite Piste gekippt, eine übel stinkende Mischung aus Teer und Petroleumrückständen. Doch in der Hitze schmolz der Belag dahin.

Verbrannte Haut

Und den bedauernswerten Piloten samt ihren Mechanikern auf dem Beifahrersitz, die turmhoch und völlig ungeschützt auf den riesigen Maschinen thronten, flogen schon nach wenigen Kilometern tückische Tropfen aus schmirgelndem Sand und schmierig-heißem Öl ins Gesicht, zerstörten ihre Rennbrillen und verbrannten die Haut.

Ein Chronist berichtet: ¸¸Mitleid erregend im höchsten Grade war es zu sehen, wie einzelne Fahrer mit völlig erblindeten Augen ankamen, vom Amateurarzt für kurze Augenblicke in Behandlung genommen wurden und dann mit Riesenenergie im Zick-Zack das Rennen fortsetzten."

Am Ende triumphierten die Franzosen. Ferenc Szisz, ein gebürtiger Ungar, der seit 1900 das Erprobungsteam der Brüder Renault in Paris leitete, übernahm bereits in der zweiten Runde die Führung und gab sie auch am folgenden Tag nicht mehr ab, obwohl hier der Italiener Navarro die Nase vorn hatte.

"Front brakes are for girlies"

Mercedes durfte natürlich nicht fehlen. (Foto: Foto: AFP)

Szisz hatte die 1248 Kilometer mit seinem bis zu 154 km/h schnellen und 105 PS starken Renault AK 90CV in 12 Stunden, 14 Minuten und sieben Sekunden bewältigt, das entspricht einem Schnitt von 101,19 km/h, für die damalige Zeit atemberaubend. Bremsen hatte der Renault übrigens nur an der Hinterachse, was die todesverachtenden Piloten wohl nicht gestört hat. ¸¸Front brakes are for girlies", hieß es bei ihnen.

Was Szisz am Ende den Sieg im ersten echten Grand Prix der Motorsportgeschichte einbrachte: Während die Konkurrenz bei Reifenschäden den glühend heißen alten Pneu mit dem Messer von den Felgen kratzen musste - was durchschnittlich mehr als fünf Minuten pro Rad dauerte -, tauschten der gut trainierte Szisz und sein Mechaniker die neuen, abnehmbaren hölzernen Radfelgen von Michelin komplett aus. Bei insgesamt 18 nötigen Reifenwechseln ergab allein das ein Zeitpolster von mehr als einer halben Stunde.

Blutbad bei Bordeaux

In der Historie des Motorsports markiert Grand Prix de France allerdings nur den Beginn einer Entwicklungsphase. Bereits 1894 hatte zwischen Paris und Rouen das erste Autorennen überhaupt stattgefunden, Auftakt zu einer ganzen Serie von Wettbewerben, die auf öffentlichen Straßen von Stadt zu Stadt ausgetragen wurden, im Grunde mehr Testfahrt als echtes Rennen.

Doch die Autos wurden schneller und das Risiko für Fahrer und Zuschauer wuchs rapide. Das sollte gut gehen bis 1903. Da endete das Straßenrennen von Paris nach Madrid bei Bordeaux in einem Blutbad. Einige Fahrer - unter ihnen Marcel Renault - und viele Zuschauer kamen um. Die Ära der Stadt-zu-Stadt-Rennen war vorbei.

Phase zwei, wenn man so will, leitete der amerikanische Zeitungszar Gordon Bennett ein. Er veranstaltete Rundstreckenrennen auf öffentlichen Straßen und unter nationalen Vorzeichen. Jeweils drei Autos eines Landes sollten dabei um Ruhm und Ehre rennen.

Als Ferenc zu François wurde

Der Automobil Club de France (A.C.F.) sah das ganz anders. Autorennen waren in seinen Augen eine Verkaufsförderung für die teilnehmenden Marken, der Kommerz war in den Motorsport eingezogen. Von 1906 an sollte jeder Hersteller drei Autos an den Start bringen dürfen - ein Grundgedanke, der bis in die heutige Formel 1 reicht, die 1952 zum ersten Mal ausgetragen wurde.

Vom Star-Rummel der heutigen Formel-1-Heroen wie Schumacher oder Alonso war Grand-Prix-Sieger Ferenc Szisz, der sich nach seinem Triumph 1906 François nannte, freilich weit entfernt. Zwar bekam er als Siegprämie 47.000 Francs überreicht und war landauf landab auf Titelbildern und kolorierten Postkarten zu sehen.

Doch seine Arbeit als Testfahrer ließ Szisz kaum Zeit für die Rennerei und nach einigen weiteren, eher zaghaften Versuchen, endete die Grand-Prix-Karriere des ersten Triumphators. Szisz starb 1944 mit 70 Jahren in seinem Heimatort Auffargis, nahe Paris.

© SZ vom 26. 6. 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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