Flugunfälle:Weniger Flüge, mehr Tote

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Passagierjet am Himmel: Die Branche hatte 2020 ziemlich zu kämpfen. (Foto: Robert Michael/dpa)

Die Corona-Pandemie brachte den Weltluftverkehr im vergangenen Jahr fast zum Erliegen, viele Airlines gerieten in Finanznot. Doch die Flugunfallbilanz 2020 spiegelt diese Entwicklung kaum wider.

Die vorläufigen Zahlen der Unfallforscher überraschen: Monatelang kaum Flieger in der Luft und dramatische Einbrüche bei den Passagierzahlen - dennoch kein Rekordjahr bei der Flugsicherheit? Nach einer Analyse des Hamburger Flugsicherheitsbüros Jet Airliner Crash Data Evaluation Centre (JACDEC) starben im Jahr 2020 bei Flugunfällen in der kommerziellen Luftfahrt weltweit 318 Menschen.

Obwohl viele Fluggesellschaften im vergangenen Jahr infolge der Pandemie und der weltweiten Reisebeschränkungen weniger Passagiere beförderten, ist die Zahl der Flugunfallopfer gegenüber dem Vorjahr damit sogar um 25 gestiegen. "In Zeiten von Covid-19 ein Widerspruch - der aber zeigt, wie hoch das Sicherheitsniveau ohnehin schon war", sagt JACDEC-Gründer Jan-Arwed Richter. Das Flugsicherheitsbüro hat die Analyse im Auftrag des Luftfahrtmagazins Aero International erstellt.

Drei große Unglücke in 2020

Schon ein einziger Crash könne darüber entscheiden, ob ein Unfalljahr gut oder schlecht ist, erläutert Richter. Das verstelle oft den Blick darauf, wie gering die Wahrscheinlichkeit von Flugzeugabstürzen in der kommerziellen Luftfahrt sei. 2020 gab es mindestens drei größere Unglücke: der Abschuss einer ukrainischen Boeing 737-800 in Iran mit 176 Toten, den Crash eines pakistanischen Airbus vom Typ A320 in Karatschi (97 Tote) sowie der Landeunfall einer Boeing in Indien, bei dem 20 Menschen starben.

"Es ist das nun beginnende Jahr, das mir in Sachen Flugsicherheit eher Sorgen bereitet", sagt der südafrikanische Flugexperte und Verkehrspilot Flippie Vermeulen. Die Corona-Flaute hat die Branche so schwer getroffen wie kaum eine andere. Ticket-Buchungen blieben aus, Flugzeuge blieben am Boden: Airlines in aller Welt verzeichneten eines der schwersten Verlustjahre seit Beginn der Luftfahrt.

Piloten brauchen permanentes Training

Doch wenn kaum noch geflogen wird, hat das auch Folgen für Piloten: "Die brauchen permanentes Training - die Mindeststundenzahl für den Erhalt der Lizenz reicht da bei weitem nicht aus", sagt Vermeulen, der als Prüfer für Verkehrspiloten arbeitet. Auch der Hamburger Luftfahrtexperte Cord Schellenberg mahnt: "Die Fluggesellschaften müssen rechtzeitig vor dem Wiederstart Pläne erarbeiten, um ihre nicht aktiv eingesetzten Pilotinnen und Piloten sowie Techniker intensiv zu schulen."

Und er sieht noch eine andere Herausforderung auf die Airlines zukommen. "Noch weiß niemand, wann wie viele Flugzeuge in welchen Verkehrsgebieten profitabel einsetzbar sind - das wird ein Herantasten", sagt Schellenberg. Bis die Luftfahrtbranche zu ihrem langfristigen Wachstumstrend zurückkehrt, dürften nach Schätzungen des US-Flugzeugherstellers Boeing mindestens fünf Jahre vergehen. Für das gerade abgelaufene Jahr 2020 hatte der Weltluftfahrtverband IATA zuletzt allein den europäischen Airlines einen Nettoverlust von 26,9 Milliarden Dollar vorausgesagt, auch für 2021 rechnen die Experten noch einmal mit einem hohen Verlust, allerdings nur noch mit der Hälfte des Betrags.

Der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) erwartet in diesem Jahr für die zivile Luftfahrtindustrie sogar einen Umsatzeinbruch von rund 40 Prozent. Doch in dieser schwierigen Ausgangslage muss fürs Wiederanfahren des Geschäfts zunächst einmal kräftig Geld investiert werden - beispielsweise, um eingemottete Flugzeuge wieder in die Luft zu bekommen. "Meine große Sorge dabei ist es, dass kleinere Airlines versucht sein könnten, ihre Maschinen ohne größere, aufwendige Checks wieder in den Dienst zu stellen", sagt Sicherheitsexperte Vermeulen. Für die Flugsicherheit könnte das fatale Folgen haben.

Wetterberichte wurden ungenauer, weil die Jets am Himmel fehlten

Einer von vielen Unsicherheitsfaktoren, die ein Fragezeichen hinter das Luftsicherheitsjahr 2020 stellten, war auch das Wetter: Bis zu 90 Prozent der normalerweise von Jets gelieferten Wetter-Daten standen 2020 plötzlich nicht mehr zur Verfügung, wie die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) klagte. Normalerweise liefern 40 Airlines mit Tausenden Passagier- und Frachtjets Daten zu Temperatur, Windrichtung und -stärke. Die Folge: Wetterberichte wurden ungenauer.

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