Fiat Palio Weekend:Vom Zeitgeist empfohlen

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Mit kompletter Ausstattung und knapp kalkulierten Preisen zwischen 23 000 und 25 000 Mark

(SZ vom 02.04.1997) Vom europäischen Zeitgeist empfohlen und für die Motorisierung der Dritten Welt geeignet, erleben Kleinwagen eine Renaissance, da ihnen der Drang vieler Automobilhersteller zur Globalisierung Aufwind verschafft. Und damit ihre Kostenstruktur von Wechselkursschwankungen unberührt bleibt, werden sie zunehmend auch dort produziert, wo sie verkauft werden: in den größten Wachstumsmärkten der Welt - also Asien und Südamerika. Dabei fahren die Hersteller in Japan und der westlichen Welt unterschiedliche Konzepte.

Europäische Stammfirmen wie Volkswagen und Fiat, aber auch die amerikanischen Ford und General Motors setzen mehr auf traditionelle Karosserieformen, die von den bereits in Europa erfolgreichen Volumenmodellen abgeleitet sind - und in Mittel- und Südamerika neu aufgebaut werden. Nach diesem Konzept sind die Japaner bereits seit längerem im asiatischen Markt erfolgreich.

Familie und auch Gewerbetreibende sollen mit clever ausgestatteten kompakten Minivans auf weniger als vier Meter Länge mobilisiert werden, deren Akzeptanz in Japan überwältigend ist.

Auch die Europäer wissen um den Transportbedarf der Freizeit-Klientel in aller Welt, setzen aber vorerst auf kleine Kombis, um sie zu bedienen. Hier fühlen sich Firmen wie VW (Polo Variant) und Fiat (Palio Weekend) auserkoren, die Vorreiterstellung zu übernehmen.

Doch während VW vorerst nur für Europa produziert, hat Fiat mit seinem 413 cm langen, 161 cm breiten und 146 cm hohen Palio Weekend Größeres vor: Im Sommer 1996 liefen die ersten Exemplare des Fiat-Projektes 178 (Palio) im braslianischen Betim vom Band. Eine Stufenheckversion verläßt als Fiat Siena das Werk im argentinischen Cordoba. Auch in Venezuela, Südafrika, Polen und Marokko wird bald produziert. In Indien sind die Verhandlungen abgeschlossen. Dort sollen 100 000 Palio hergestellt werden. Dann soll China folgen. Insgesamt fünf verschiedene Modelle basieren auf dem Projekt 178: Dreitürer und Stufenheck gibt es bereits, nun folgt der Kombi - ein Pick-up kommt später, ein Minivan ist geplant. Für 1997 möchte Fiat vom Kombi Palio Weekend 60 000 Einheiten bauen, von denen 40 Prozent in den Export gehen. Zu uns kommen vorerst 2500, 1998 bereits 4000 Stück. Der Palio Weekend ist kein aufregendes Auto, macht aber neben dem VW Polo Variant und Škoda Felicia eine gute Figur.

Sein Styling wirkt ausgewogen - schließlich soll es weltweit ankommen. Sein Fahrwerk ist robust, weil es auf südamerikanischen, afrikanischen und asiatischen Straßen einiges auszuhalten gibt. Und er ist mit 1,2- und 1,6-Liter -Benzinmotoren, zu denen sich noch ein 1,7-Liter-Turbodiesel gesellen wird, ausreichend kräftig motorisiert. Die Benzin-Aggregrate leisten 45 kW (74 PS) und 75 kW (103 PS), der Diesel bringt es auf 51 kW (70 PS). Alle Versionen sind mit einem Fünfgang-Getriebe und die Benziner mit einem Spargang ausgestattet.

Im brasilianischen Verkehr läßt sich der 1,6-Liter-16V-Vierzylinder-Benzinmotor, wenn er fleißig geschaltet wird, wie ein Wiesel bewegen: Er hängt gut am Gas, ist wendig und verfügt über einen guten Federungskomfort. Sein Verbrauch ist mit 6,7 Liter bleifreiem Normalbezin auf 100 Kilometer zeitgemäß. Trotz geringer Außenmaße fällt das Ladeabteil ziemlich üppig aus. 460 Liter (nach VDA) lassen sich durch Vorklappen der asymmetrisch geteilten Rücksitze auf 1540 Liter erhöhen. Und wie sieht es mit der Verarbeitungsqualität aus, fragt der Skeptiker angesichts des brasilianischen Palio im italienischen Kleid?

Es besteht wenig Anlaß zur Kritik. Denn in Südamerika werden andere Autos schon seit Jahrzehnten gebaut, das entsprechende Know-how ist vorhanden, wie die zahlreichen Volkswagen im brasilianischen Straßenbild beweisen. Besonders stolz ist Fiat auf die sehr gute Torsionsfestigkeit, "die beste seiner Klasse". Auf Knarzen und Klappergeräusche über brasilianischem "Flicken-Asphalt" lauscht man vergebens.

Die Preise von 23 000 Mark für den Weekend 1. 2 und 25 000 Mark für den Weekend 1. 6 16V sowie 1. 7 TD 70 sind knapp kalkuliert, zumal alle drei Modelle keineswegs sparsam ausgestattet sind. Für die Sicherheit sorgen Doppelairbag, vier Dreipunkt-Automatikgurte, vier Kopfstützen, pyrotechnische Gurtstraffer vorn und ein Seitenaufprallschutz. Das ABS muß extra bezahlt werden. Den klassengerechten Komfort stellen Servolenkung, höhenverstellbares Lenkrad, elektrische Fensterheber vorne und die einstellbare Lendenwirbelstütze sicher. Gegen Aufpreis sind unter anderem Klimaanlage und elektrisch verstellbare Außenspiegel lieferbar.

Daß Fiat auf der Palio-Basis auch einen Minivan plant, der im Vier-Meter-Format den japanischen Trendsettern folgt, ist klar. Doch noch hält Fiat seine Kundschaft für dieses Konzept nicht für reif genug. Deshalb wird der Palio Minivan vermutlich zuerst in Europa für Europa gebaut. Ob die Japaner den Markt dann mit ihren Minivans schon aufgerollt haben?

Von Jürgen Zöllter

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