Fiat Bravo / Brava:Ein gemischtes Doppel aus Italien

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Drei- und Fünftürer sollen verschiedene Zielgruppen ansprechen / Preise ab 21 500 Mark

(SZ vom 30.09.1995) Der Kompaktwagen Tipo, so hatte es Fiat zur Marktpremiere im Jahre 1988 verkündet, sollte die marktbeherrschende Position des Wolfsburger Konkurrenten Volkswagen Golf brechen. Wegen Verarbeitungsmängeln sollte das Vorhaben schließlich scheitern, und Fiat verlor seinen Rang als Importeur Nummer eins am deutschen Markt.

Ende 1993 verkündete die Turiner Konzernleitung eine neue Strategie. Sie werde Fiat dramatische Qualitätsverbesserungen bescheren und das italienische Automobil zu einem neuen Selbstverständnis führen. Der Punto aus dem eigens in Süditalien errichteten Werk Melfi konnte diesen Anspruch erstmals realisieren. Der Kunde in Deutschland honorierte dessen Qualität und automobile Eigenständigkeit mit bisher knapp 40 000 gekauften Fahrzeugen allein in der ersten Hälfte dieses Jahres. Wodurch der Fiat Punto zum meistverkauften Importauto Deutschlands avancierte und Fiat frischen Mut faßte.

Auf den Punto folgten das eigenwillig gestylte Fiat Coupé und darauf der offene und spritzige Zweisitzer Barchetta. Schließt man die Fiat-Töchter Alfa Romeo und Lancia mit ein, so preßte der Konzern insgesamt 15 neue Modelle in nur zwei Jahren auf den Markt. Doch der eigentliche Kassenschlager ließ noch auf sich warten. Vom 7. Oktober an rollt er nun aus den Werken Cassino und Mirafiori zu den deutschen Markenhändlern: als Nachfolger des Tipo lanciert Fiat das Volumenmodell Bravo bzw. Brava für die kompakte Mittelklasse. Zur IAA wurden beide der Öffentlichkeit vorgestellt.

Mit eigenständigem Design

Wie ernst es Fiat mit der Eigenständigkeit seiner neuen Produkte meint, zeigt das Unternehmen mit der formalen Gestaltung des Bravo und Brava: Der Nachfolger des Tipo soll nicht einfach als dreitürige bzw. fünftürige Version des gleichen Fahrzeugs gelten, sondern beide Versionen wollen eigenständige Modelle für unterschiedliche Zielgruppen sein. Folglich haben Fiats Designer des Centro Stile die Drei- und Fünftürer, wenngleich auf identischer Bodengruppe mit 2,54 Meter Radstand, mit unverwechselbaren Details ausgestattet.

Formal erinnert der dreitürige Bravo mit der keilförmig zum Heck ansteigenden Gürtellinie am ehesten an den Vorgänger Tipo. Seine Zielgruppe definiert Fiat als sportliche, dynamische Menschen. Dagegen wirkt der fünftürige Brava gestreckter. Nicht nur wegen seiner 16,2 Zentimeter effektiven Überlänge gegenüber dem 4,03 Meter langen Bravo. Auch sein etwas schmaleres Breitenmaß - es beträgt exakt 14 Millimeter weniger als beim Bravo - trägt dazu bei. Beiden gleich ist die weit heruntergezogene Motorhaube und die nahezu in einer Linie zum Dach ansteigende Frontpartie. Trotz unterschiedlicher Gestaltung besitzen beide Versionen eine praktische Heckklappe. Details der Außenhaut sind ebenso inspiriert von organischen Formen wie ineinanderfließende Flächen des Interieurs.

Im Innenraum wirken Bravo und Brava trotz üppiger Außenmaße kaum großzügiger als der Tipo. Fiat begründet dies mit aufwendigen Sicherheitsmaßnahmen und erheblicher Geräuschdämmung um die Fahrgastzelle herum . Auf den Rücksitzen des Brava spürt man dank seines Längenwachstums deutlich mehr Bewegungsfreiheit als auf gleicher Position im Bravo.

Als Basismotorisierung für Bravo und Brava bietet Fiat das 1,4-Liter-Vierzylinder-Aggregat mit Dreiventil-Zylinderkopf. Es leistet 55 kW (75 PS) und beschleunigt bis auf 168 km/h. Wesentlich agiler geben sich die 1,6-Liter- und 1,8- Liter-Vierzylindermotoren mit 16 Ventilen. Sie leisten 66 kW (90 PS) bzw. 83 kW (113 PS) und erlauben Höchstgeschwindigkeiten von 177 km/h und 190 km/h. Einzig dem Bravo ist das sportliche 2,0- Liter-Fünfzylindertriebwerk mit 20 Ventilen und verstellbarer Einlaßnockenwelle vorbehalten. Es leistet 108 kW (147 PS) und sorgt für 210 km/h Spitzengeschwindigkeit. Bereits in 8,5 Sekunden kann dieser Bravo der GTI-Klasse aus dem Stand die 100-km/h-Marke erreichen. Für kostenbewußte Vielfahrer oder überzeugte Dieselkunden hält Fiat einen Brava 1,9 D bereit, der 48 kW (65 PS) leistet und bis zu 155 km/h schnell sein kann. Einen aufgeladenen Dieselmotor darf man nicht vor Mitte des kommenden Jahres erwarten.

Der sportliche Anspruch des Bravo wird auch an seiner Fahrwerksabstimmung deutlich. Sie fällt deutlich straffer aus als im Brava. Grundsätzlich vertrauen die Fiat-Techniker bei beiden neuen Fahrzeugen auf bewährte Tipo-Fahrwerksgeometrie.

Mit guter Ausstattung

Je nach Ausstattungsumfang und Motorisierung qualifiziert Fiat die Modelle nach S, SX, EL und ELX (Brava) beziehungsweise GT und HGT (Bravo). Alle Versionen sind mit Zentralverriegelung und elektronischer Wegfahrsperre, Fahrerairbag im höhenverstellbaren Lenkrad, elektrischen Fensterhebern und Radio zu haben - die meisten ohne Aufpreis.

Aufpreispflichtig dagegen ist außer im 1,8 ELX/GT und im 2,0 HGT das ABS. Und ein Beifahrerairbag muß in jedem Fall mit 200 Mark extra bezahlt werden. Der preiswerteste Bravo kostet 21 500 Mark, der Bravo 2,0 HGT schlägt mit 35 400 Mark zu Buche. Diese Preisgestaltung zeigt, daß es Fiat ernst meint mit seinem Anspruch, an der Spitze bleiben zu wollen.

Von Jürgen Zöllter

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