Fahrbericht: Porsche 911 Turbo:Aufgeladene Stimmung

Lesezeit: 3 min

Die ewig gleiche Debatte über den höheren Sinn oder Unsinn eines Porsche 911 Turbo sollte man sich wenigstens dieses Mal ersparen. Es kommt eh nichts Neues dabei raus. Viel zu viel Kraft? Nicht mehr alltagstauglich? Was soll's?

Von Stefan Grundhoff

Klar, Leistung bieten auch alle anderen Porsche-Modelle mehr als genug. Doch sowohl ganz lässig cruisen, als auch einen Moment später in gefühlten Millisekunden einen Kampfjet auf der Startbahn überholen (wenn mal wieder einer in der Nähe ist) - das können nicht sooo viele zugelassene Kraftfahrzeuge.

(Foto: Foto: press-inform)

Der 911 Turbo der sechsten Generation ist so ein Geschoss. Der erste Turbo von 1974 hatte gerade mal 260 PS. Aber auch die traten einem beim Beschleunigen schon brutal in den Rücken. Der auf 300 PS erstarkte Nachfolger hatte noch mehr los, beschleunigte in rund fünf Sekunden auf Tempo 100 und war auf der Straße eine Waffe, die man zur Sicherheit eigentlich nur mit einer speziellen Sondererlaubnis hätte pilotieren dürfen. Im Laufe der Jahre wurde der Turbo dann immer zahmer - und immer schneller. Kein Widerspruch. Vielmehr ein Zeichen der Perfektion, mit der die Zuffenhausener seit Jahrzehnten ihren Job machen.

Das automobile Wolkenkuckucksheim scheint beim neuen 911 Turbo in erreichbare Nähe gerückt. Die keineswegs wild grollenden 353 kW / 480 PS sind weniger eindrucksvoll als die 620 Nm, die der allradgetriebene Kracher aus dem tiefsten Drehzahlkeller abrufen lässt. Man stellt sich einen wie den Turbo irgendwie brutaler, nein: brachialer vor.

Kleine Unverschämtheit

Aber die sechste Generation, die von Juli an im Handel stehen wird, ist nicht nur ein Überflieger, sondern anscheinend ein omnipotenter Alleskönner. Im Schritttempo durch die verkehrsberuhigte Zone? Einparken im Herzen der City? Mit Anverwandten im flotten Galopp zum nachmittäglichen Kaffeeausflug? Klar! Der Turbo fühlt sich überall zu Hause. Müßig, über den horrenden Basispreis von mehr als 133.000 Euro zu lamentieren. Oder die kleine Unverschämtheit, dass gute Sportsitze ebenso wie ein Navigationsgerät in dieser Liga noch Aufpreis kosten.

Der 4,45 Meter lange 911 war und ist ein Fahrerauto. Das gilt um so mehr für die Versionen mit Turboaufladung. Auch wenn die wilde Saugvariante GT3 für viele die verführerischste Version ist: Der wahre Alleskönner heißt Turbo. Einer, der alles möglich macht und in puncto Fahrdynamik dank seines neuen Allradantriebs mit Lamellenkupplung und elektronischer Dämpferabstimmung scheinbar keine Grenzen kennt.

Eindrucksvoll, wenn Rallyelegende Walter Röhrl auf der gleichermaßen welligen wie kurvenreichen Landstraße bei Tempo 230 wie nebenbei von seinen Radtouren in die Umgebung von Jerez erzählt - und den Turbo immer unter Kontrolle hat.

Crossover der anderen Art

Doch die echten Erfahrungen will man selbst am Lenkrad machen. Die unterscheiden sich dann gar nicht so sehr von denen als Röhrl-Beifahrer: weniger schnell, ja. Aber genauso die automobile Erfüllung pur.

Immer wieder der Genuss, wie lässig man in dem Turbo unterwegs sein kann. Brettharter Sportwagen? Von wegen! Der 1,6 Tonnen schwere Allradler macht auf Crossover der anderen Art. Nur Cracks und solche, die es sein möchten, interessieren sich für das rund 1500 Euro teure Sport-Chrono-Paket. Dann gibt es nochmal 60 Nm Booster als Sahnehäubchen. Aber auch ohne ist er Verführung pur.

Doch die Technik des Turbos sollte auch Nachwuchssportler aus VW- und Opel-Ligen zum Schwärmen bringen. Als erster Hersteller bietet Porsche einen Turbo-Benziner mit variabler Turbinengeometrie an. Was sich bei der Dieselfraktion längst durchgesetzt hat, scheint auch bei den Benzinbrüdern eine Zukunft zu haben. Die (er)fahrbaren Erfolge des variablen Turbos sind gewaltig.

Stoff für Freaks

Viele Einzelheiten über die technische Umsetzung bleiben zunächst Betriebsgeheimnis. Doch echten Sportwagenfans könnte die Frage nach der Behandlung von Abgastemperaturen jenseits der 1000 Grad Celsius durchaus schlaflose Nächte bringen.

Der gemeine 911-Turbo-Fahrer wird die ganze Innovationsfreude dagegen eher mit einem erfreuten Kopfnicken zur Kenntnis nehmen - und jede Sekunde hinter dem Lenkrad genießen. Die können denn auch recht schnell vergehen. 310 km/n Spitze und null auf 100 km/h in 3,9 Sekunden (mit Tiptronic 3,7 Sekunden) lassen im Freundeskreis keine Kritik mehr zu - wetten? In der Leistungsklasse interessiert dann ohnehin mehr, ob die mehr als 8500 Euro teuren Keramikbremsen geordert worden sind. Und weniger, wie illusionär die versprochenen 12,8 Liter Verbrauch auf 100 Kilometer sind. SuperPlus, versteht sich.

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