Comics:Der französische Michel

Lesezeit: 5 min

Die Comics vom rasenden Michel Vaillant halten seit 50 Jahren seine Fans in Atem. Wir verdanken ihm den gedruckten Schrei der Maschine.

Eberhard Reuß

Wir verdanken ihm den gedruckten Schrei der Maschine. Ein "Vroooaw'' war das und ein "Roarrrr", ein "Vrooom" und ein "Scratttch", dass einem schon beim Lesen das Hören und Sehen verging. Und dann diese ewige Jugend!

Noch in seinem neuesten, dem inzwischen 70. Album wäre es Michel Vaillant beinahe gelungen, die Audi R10 TDI bei den "24Stunden von LeMans" zu besiegen. Dabei hatte er vor 50 Jahren noch gegen seinen damaligen Rivalen und späteren Freund Steve Warson um die Nachfolge von Juan Manuel Fangio gekämpft.

Michel Vaillant ist wie James Bond - beide altern nicht

Später lieferte sich der französische Meisterfahrer und Sohn des Autokonzernchefs Henri Vaillant rasante Duelle mit Jim Clark und trotzte obendrein noch den kriminellen Machenschaften des Leaders und dessen Tochter Ruth. Zwischenzeitlich - wohl 1974 und als wäre das nichts - gelang es ihm, seinen ersten Formel-1-WM-Titel zu gewinnen und sich von Saison zu Saison gegen Renngrößen wie Jacky Ickx, Niki Lauda, Alain Prost, Ayrton Senna und Michael Schumacher zu behaupten.

Keine Frage, der erfolgreichste Rennfahrer aller Zeiten ist der zeitlose Comic-Held Michel Vaillant. "Es geht ihm wie James Bond, der altert auch nicht", lächelt Philippe Graton, der seit Mitte der neunziger Jahre die Szenarios für den legendären Rennfahrer-Comic schreibt. Sein Vater Jean Graton, inzwischen 84 Jahre alt, aber immer noch interessiert am Motorsport und dem Fortgang seiner automobilen Familien-Saga, hat im Jahr 1957 die ersten Episoden bei Tintin veröffentlicht, dem legendären frankobelgischen Comic-Magazin, das den Namen der in Deutschland unter "Tim und Struppi" bekannten Figuren von Hergé trägt.

Ein Jahr später folgte das erste Michel-Vaillant-Album "Le Grand Défi'", aus dem Graton sein einzigartiges Familien- und Rennfahrer-Universum formte. Ganz im Geist von Gerechtigkeit und Fairness, Mut und Tapferkeit. Genial garniert mit packenden Einblicken in die Welt des Rennsports.

Graton zeigte und zeichnete Perspektiven und Einstellungen, wie sie bis in die sechziger und siebziger Jahre hinein kein Fotograf und keine Fernsehkamera liefern konnten.

"In gewisser Weise hat mein Vater die Inboard-Kamera erfunden", kommentiert Philippe Graton die bis heute prägenden Bild-Panels und die markante Schriftgrafik der lautmalerischen Geräuschkulisse. "Vrooom, vrooom, vroap, vroap" - ja, so kommt Michel Vaillant noch heute daher. Zur Freude einer Fangemeinde, die kürzlich auf der Frankfurter Buchmesse Schlange stand, um ein Autogramm von Graton oder eine Zeichnung der drei Grafiker des Studios, Christian Papazoglakis, Robert Paquet und Nedzad Kamenica, zu ergattern.

In Frankreich und im Benelux-Raum ist Michel Vaillant beizeiten zu einer Kultfigur avanciert und dies bei Generationen von Lesern geblieben. Mitte der sechziger Jahre wurde für das französische Fernsehen sogar eine Serie gedreht, bei der ein echter Rennprofi, Henri Grandsire, den Comic-Helden verkörperte und andere Fahrer wie Bob Bondurant, Lucien Bianchi und Jean-Pierre Beltoise mitspielten. In den siebziger und achtziger Jahren gab es eine Zeichentrickserie, ehe im Jahr 2003 ein von Luc Besson produzierter Film Michel Vaillant sogar auf die Kinoleinwand brachte.

Auch die älteren Vaillant-Bände werden jetzt endlich ins Deutsche übersetzt

In Deutschland haben die Comic-Alben von Michel Vaillant hingegen eine leider etwas lieblose Behandlung hinter sich. Mit achtjähriger Verspätung erschien 1965 die erste Geschichte, wobei der deutsche Verlag aus Michel Vaillant den deutschen Rennfahrer Michael Voss machte, Sohn des tödlich verunglückten Rennfahrers Karl Voss und seiner Frau Marianne, die dann in zweiter Ehe den französischen Firmenpatriarchen Henri Vaillant ehelichte.

Bei einem anderen Verlag wurde aus Michael Voss wieder Michel Vaillant, doch nach wie vor wurden die originalen Storyboards gekürzt. Die deutschen Rechte wechselten mehrmals den Verlag. Der großen Nachfrage wegen lieferte das Studio Graton neben anderen Comics jährlich bis zu drei Michel-Vaillant-Alben.

Was der Qualität der Serie nicht gut tat, wie Philippe Graton bekennt. Der gelernte Journalist übernahm schließlich die Nachfolge seines Vaters, indem er die Szenarios schreibt. Mit dem Berliner Verlag Mosaik Steinchen für Steinchen, der auch das legendäre Zack-Magazin wiederbelebt hat, gibt es jetzt frohe Kunde für die deutschsprachige Michel-Vaillant-Gemeinde: Neben den aktuellen Alben erscheinen endlich regelmäßig auch alle früheren, zum Teil nie ins Deutsche übersetzten Bände in kompletter Form.

Philippe Graton ist zuversichtlich, dass der von seinem Vater geschaffene Comic-Held auch für neue, jüngere Generationen von Lesern interessant bleibt: "Die Welt des Rennsports hat sich verändert und wir müssen mit allen technischen Aspekten Schritt halten. Und das ist komplizierter geworden. Als mein Vater die Serie zeichnete, konnte er noch leicht an die Strecken gelangen, sogar Freunde mitbringen.

Er hatte guten, direkten Kontakt mit den Fahrern, die saßen noch beim Essen beisammen, sprachen miteinander, hatten Zeit für ihn. Im Fernsehen sieht man heute viel mehr, aber in den fünfziger und sechziger Jahren war Michel Vaillant fast die einzige Quelle, um solche Bilder aus der Formel 1 und dem Rennsport zu sehen und etwas aus dem Hintergrund der Rennszene zu erfahren, das war die Stärke von Michel Vaillant. Aber nun gibt es TV-Live-Übertragungen, Magazine, Zeitschriften, wo man alles über Rennsport erfahren kann, was man will.''

Studio Graton treibt dennoch der Ehrgeiz um, den Szenarios mehr Tiefe zu geben. Der Rennsport ist in den besten Michel-Vaillant-Alben immer auch eine Folie, auf der ganz andere Themenspektren ihren Platz finden können. Auch wenn ab und zu die reale Formel 1 doch noch spannendere Geschichten zu schreiben scheint.

"Nun ja, der Zweikampf Hamilton gegen Alonso ist eine sehr gute Story. Mit Michel Vaillant versuchen wir dran zu bleiben, an dem, was heute passiert. Aber das sind nicht immer die besten Aspekte der Formel 1. Es geht oft nicht um Sport. In unserem neuesten Album schildern wir den Ehrgeiz und negativen Einfluss von Vätern auf rennfahrende Söhne. Das ist für uns viel interessanter als derzeit etwa Spionage in der Formel 1."

Gute Michel-Vaillant-Stories waren dem aktuellen Renngeschehen ihrer Zeit ebenso weit voraus wie das jeweilige Design der Vaillant-Renn- und Sportwagen. Jean Graton und seine jungen Nachfolger am Zeichenbrett schufen auf dem Papier ebenso futuristische wie atemberaubende Automobilkreationen, die noch immer den besonderen Reiz dieser Comics ausmachen.

Der Lamborghini-Chefdesigner zeichnet Autos für Vaillant

Nicht von ungefähr hat sich denn auch der 41-jährige Seat-Chefdesigner Luc Donckerwolke, für Lamborghini Schöpfer der markant-kantigen Sportwagenikonen Murcièlago und Gallardo, als bekennender Fan von Michel Vaillant geoutet. Als Kind lebte Donckerwolke mit seinen Eltern in Burundi, zog sich einmal ein afrikanisches Fieber zu und bekam zur rascheren Genesung von seinem Vater einen Michel-Vaillant-Comic geschenkt. Mit entsprechenden Folgen für die spätere Berufsfindung: Von da an begann der junge Luc mit Begeisterung Autos zu zeichnen, besuchte 1990 sogar Jean Graton in Brüssel, zeigte ihm seine Entwürfe und gönnt sich noch heute das Vergnügen, für Michel Vaillant neue Autos zu entwerfen.

Damit Qualität und Aktualität erhalten bleiben, will Studio Graton weiter jährlich nur einen Michel-Vaillant-Comic veröffentlichen. Und noch ist kein Nachfolger in Sicht. Dabei hat Graton seinen Rennfahrerhelden in einer Comic-Folge sogar zum glücklichen Vater gemacht.

"Oh ja, das ist ein heikles Thema in unserer Familie", schmunzelt Philippe Graton, "wir wissen alle, dass Michel Vaillant einen Sohn hat, das war ein bewegender Moment. Aber danach haben wir nicht mehr darüber gesprochen. Wenn wir dieses Kind jemals wieder in einem Comic zeigen würden, müssten wir einräumen, dass es größer geworden ist und sein Vater damit älter. Doch Michel Vaillant darf nicht alt werden. Deshalb haben wir seinen Sohn bei uns im Keller versteckt."

© SZ vom 27./28.10. - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: