CO2-Ausstoß:Morbide Folgen des mobilen Fortschritts

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Nirgendwo werden so viele Autos wie in China verkauft - die Luftverschmutzung nimmt dramatisch zu.

Von Henrik Bork

Der Bürgermeister von Shenzhen fühlt sich buchstäblich überrollt. "Ich bitte alle Bürger, keine Autos mehr zu kaufen", sagte Xu Zongheng am Mittwoch dieser Woche in einer Sitzung. Er sei sich bewusst, dass sein Appell "keine gesetzliche Basis" habe, fügte der Bürgermeister hinzu. Doch was soll er sonst tun, wenn seine Stadt in Staus versinkt. Etwa 90 000 neue Autos haben die Bewohner der an Hongkong grenzenden Millionenstadt allein in der ersten Hälfte dieses Jahres gekauft, bis zum Ende dieses Jahres könnten es 200 000 neue Autos sein. Und schon jetzt kriechen täglich 1,2 Millionen Wagen durch die Stadt. Ein "großer Druck" laste auf dem Verkehr in Shenzhen, zitierte die Nachrichtenagentur Xinhua den Bürgermeister in ihrer Online-Ausgabe.

Ob der Mann bei seinem ungewöhnlichen Hilfeschrei nur an die Staus oder auch an die Luftverschmutzung und den Klimawandel dachte, erwähnte Xinhua nicht. Peking etwa, wo im vergangenen Jahr im Schnitt 1060 neue Fahrzeuge pro Tag zugelassen wurden, versinkt immer häufiger unter einer dichten Glocke aus Smog. Die meisten Chinesen können sich bislang weder besonders benzinfressende Geländewagen leisten noch umweltfreundliche Hybrid-Autos. Es ist die schiere Menge normaler Neuwagen, die sämtliche Umweltanstrengungen der Regierung zunichte macht.

An 15 Tagen im Juni war die Qualität der Luft "unterdurchschnittlich"

Im vergangenen Monat war die Atemluft in Peking so giftig wie schon seit sieben Jahren nicht mehr. An 15 Tagen im Juni war die Qualität offiziellen Angaben zufolge "unterdurchschnittlich". Die Stickstoffoxid-Konzentrationen, die in Bodennähe zu zwei Dritteln aus Autoabgasen stammen, sind höher als in Europa. Auch die Messwerte für die krebserregenden Aerosole sind besorgniserregend hoch. Am vergangenen Freitag stand der PM10-Index in Peking bei 145 - das sind 145 Mikrogramm Schwebstoffe pro Kubikmeter Luft. 20 Mikrogramm hält die Weltgesundheitsorganisation für sicher. Auch die Zahl der an Lungenkrebs erkrankten Chinesen wächst rasant.

Angesichts solch dicker Luft gut ein Jahr vor den Olympischen Sommerspielen in Peking ist jetzt ein offener Streit über die Einführung einer neuen Abgasnorm ausgebrochen. Die chinesische Umweltschutzbehörde Sepa verkündete vor wenigen Tagen, dass seit dem 1. Juli in ganz China landesweit der Standard Euro 3 gelte, der hier offiziell "guo san" oder "China 3" genannt wird. Diese Abgasnorm ist in Europa vor knapp einem Jahrzehnt eingeführt worden, inzwischen gilt seit 2005 der verschärfte Standard Euro 4.

Eine andere, gewöhnlich mächtigere Behörde widersprach am Donnerstag allerdings den Umweltschützern. "China kann noch nicht das Benzin zur Verfügung stellen, das den Anforderungen von Standard 3 entspricht", zitierte die Internationale Finanzzeitung einen Beamten der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission. "Unsere Raffinerien brauchen Zeit, um ihre Ausrüstung zu erneuern oder zu renovieren", sagte der Beamte. Wie überall, so drängen auch in China die Umweltschützer auf die Einführung schärferer Standards, während die Industrielobby verzögert.

"Wegen der stark steigenden Autozahlen will die Umweltbehörde schnell schärfere Abgasnormen einführen," sagt Professor He Kebin von der Qinghua-Universität in Peking, der an den internen Debatten beteiligt ist. "Aber die Ölindustrie will das aus finanziellen und logistischen Gründen so lange wie möglich hinauszögern, obwohl es technisch längst machbar ist". In Peking ist Euro 3 schon im vergangenen Jahr als Pilotversuch eingeführt worden. Schwefelfreies Benzin aber ist teurer als das stark schwefelhaltige, das derzeit außer in Peking noch in allen anderen Provinzen Chinas verkauft wird.

Auch bei der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben hapert es. Während China schon in den achtziger Jahre erste Abgasnormen einführte, werden sie erst seit 1999 auch für bereits zugelassene Autos durchgesetzt. "Manche Fahrer betrügen, aber das ist ein internationales Problem", sagt Professor He.

Bei der Produktion von Neuwagen dagegen hat China schon jetzt Vorgaben für Energie-Effizienz, die internationalen Vergleichen standhalten. "Die Standards in chinesischen Autofabriken sind strenger als in den USA", sagt Yang Ailun von Greenpeace in Peking. "China produziert vor allem für den Export und muss sich dem internationalen Wettbewerb stellen", erklärt sie.

© SZ vom 9.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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