Citroën:Von der Kultur des Reisens

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Der neue C6 ist ein ganz besonderes Auto geworden - leise, komfortabel und ungewöhnlich aufregend anzuschauen.

Jörg Reichle

Staatspräsidenten haben es gut, selbst Jacques Chirac, obwohl ihm politisch momentan eher wenig gelingt. Umso mehr mag der erste Bürger Frankreichs empfänglich sein für die kleineren Freuden des Lebens, zum Beispiel dafür, dass er seit dem Nationalfeiertag am 14. Juli sozusagen auch der prominenteste Testfahrer der Grande Nation ist.

Der Citroen C6 erinnert an glorreiche Zeiten. (Foto: Foto: Citroen)

An diesem Tag wurde ihm sein neuer Dienstwagen übergeben, eine Citroën-C6-Limousine, groß und dunkel vor Bedeutung, schwer gepanzert und im weitläufigen Fond mit einer respektablen Minibar ausgestattet.

Aus der, so berichten Augenzeugen, gönnt er sich dann und wann eine Flasche kräftiges Corona-Bier. Auch Staatspräsidenten brauchen manchmal Trost.

Der Rest der Welt muss auf den großen Citroën noch warten. Und das schon recht lange, denn die letzte Oberklasse-Limousine der Franzosen, der kantige XM, lief letztmals im Jahr 2000 vom Band. Dessen Vorgänger wiederum, der CX, hatte (1974 bis 1979) versucht, den Ruf des DS fortzuführen. Mehr als 1,3 Millionen Mal wurde letzterer verkauft, und letztlich profitiert die Marke noch heute von seiner posthumen Aufnahme in die Hall of Fame der Automodelle.

Individualismus pur

Jetzt also der C6, vorerst letzter Spross der C-Familie, die mittlerweile die Ordnungszahlen von 1 bis 8 umspannt und die dank unverwechselbarem Design wieder erfolgreich an jene glorreichen Zeiten erinnert, in denen die Marke mit dem Doppelwinkel als Synonym für Individualismus und technische Avantgarde stand - eine Alternative zu so gut wie allem, das der Automarkt jeweils zu bieten hatte.

Und der moderne Kurs scheint anzukommen: In Deutschland beispielsweise steigerten die Franzosen ihre Verkäufe 2005 ¸¸um etwa 25 Prozent", wie Geschäftsführer Xavier Chardon die stolze Bilanz für das Gesamtjahr bereits vorweg nimmt.

Große Schuhe also für den Neuen. Der Luxus-Citroën war zunächst für 2003 geplant, doch der Ausbau der Modellpalette durch die wichtigeren Volumenmodelle erforderte alle Kraft (und Geldmittel) des PSA-Konzerns. Und weil kurz vor Schluss Qualitätsprobleme den Zeitplan der Markteinführung noch einmal durcheinander wirbelten, kommt der C6 nun erst Ende Januar 2006 zu den Händlern.

Das Warten lohnt sich, denn Citroën ist mit der großen Limousine zumindest das Kunststück gelungen, im schier endlosen Strom der Auto-Premieren für erstauntes Innehalten zu sorgen. Wer dieses Auto zum ersten Mal sieht, blickt nochmal hin, zeigt Interesse, stellt Fragen und lässt sich vom ungewöhnlichen Design umwerben. Der C6 verbindet hier auf sehr eigentümliche Weise fließende Formen mit klaren Linien, und er wirkt groß, sehr groß sogar, obwohl die Außenlänge mit 4,91 Meter keineswegs Übermaß darstellt. Rein der Optik nach würde man ihm durchaus zutrauen, die Fünf-Meter-Marke zu knacken.

Reminiszenzen an eine Legende

Es sind diese stille Unverwechselbarkeit und das offenkundige Talent, die haarscharfe Demarkationslinie zu treffen, die gestalterischen Mut vom Übermut scheidet, die den C6 zu einem tatsächlichen Nachfahren der Ikone DS macht.

Mit dieser teilt er auf sehr dezente Art sogar die optische Wirkung. Vorn erscheint der C6 breit, präsent und kraftvoll, während das Heck mit der konkaven Scheibe und den Entenbürzel-Leuchten eher schmal ausläuft.

Was den Neuen aber vom Klassiker trennt, ist die formale Zurückhaltung innen. Statt spektakulärem Einspeichenlenkrad und verspielten Instrumenten wie einst, ist der nüchterne Konservativismus heute gewollt und in vielen Kundenbefragungen gereift, wie Robert Peugeot, PSA-Konzernverantwortlicher für Innovation, Design und Qualität, beteuert: ¸¸Wir legten von Anfang an größten Wert auf solide Anmutung, klare Erkennbarkeit und einfache Bedienung." Also ist innen mehr Audi-Bauhaus als eitles Bangle-BMW-Gekurve, und alles in allem, könnte man auch sagen, hat Citroën mit dem C6 die große Kultur des Reisewagens wieder belebt.

Geliebter Diesel

Dazu gehört natürlich mehr als nur Aufsehen erregendes Design. Nervenschonende Motoren zum Beispiel. Der C6 lässt sich alternativ von Sechszylindern antreiben, einem 3,0-Liter-V6-Benziner mit 155 kW (211 PS) und einem 2,7-Liter-Common-Rail-Diesel, der 150 kW (204 PS) leistet. 80 Prozent aller C6, glaubt man bei Citroën, dürften mit diesem Motor ausgeliefert werden, und nach ersten Probefahrten widersprechen wir nicht:

Zu offensichtlich ist der Diesel dem Benziner überlegen, der nicht nur an einem krassen Mangel an Drehmoment leidet, sondern auch unwillig und gequält aufdröhnt, wenn man ihm einmal seine üppige Nennleistung abverlangt. Der Diesel dagegen, der baugleich auch in Jaguar-Limousinen läuft und dort bereits höchstes Lob erfuhr, ist ein Ausbund an flüsterleiser Laufkultur, bulligem Drehmoment und - mit 8,7 Litern Normverbrauch - auch zeitgemäßen Trinksitten. Außerdem besitzt er serienmäßig einen Partikelfilter. Ein Mustertriebwerk geradezu, wenngleich er an den fast zwei Tonnen Leergewicht des C6 durchaus zu schleppen hat.

Aber Gewicht verzeiht man dem größten Citroën sowieso, schließlich ist er ein Gleiter und kein Jäger. Der Fahrer wird auf seinem Weg zum fahrdynamischen Gutmenschen erzogen von einer Getriebeautomatik, allerlei Elektronik bis hin zu Head-up-Display und Spurhalteassistent, welcher gegen den Sekundenschlaf bei Bedarf spürbar am Sitz rüttelt.

Mobile Sanftmut

Die Mitfahrer wiederum räkeln sich dank Riesen-Radstand im weitläufigen Innenraum, sanft gewiegt von einer Hydropneumatik-Federung mit elektronisch geregelter Dämpfung und Abstimmung, die je nach Fahrlaune im Komfort- oder im Sportmodus zu fahren ist. Auch wenn die Zeit der reinen Sänften wohl vorbei ist: Der C6 versagt sich selbst im Sportmodus ungebührliche Härte, und ist insgesamt gar ein Ausbund an leiser Kultiviertheit. Wenn wir dennoch Änderungswünsche äußern dürfen: Die extrem leichtgängige Lenkung vermittelt zu wenig Fahrbahngefühl und die Sitze sehen deutlich besser aus als sie sind.

Für alle, denen das E-Klasse-, Fünfer- und Audi-Einerlei nur noch ein Gähnen entlockt, könnte der C6 durchaus eine Alternative sein - komplett ausgestattet, schön anzusehen und unterm Strich trotz der Preise zwischen 42.500 und 54.900 Euro ein ganzes Stück billiger als die deutsche Konkurrenz.

© SZ vom 19. 11. 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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