Chrysler Voyager:Wenn schon Van, dann richtig

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Der PT Cruiser ist dagegen erst in zweiter Linie Lieferwagen, sondern eher Lifestyle-Transporteur

(SZ vom 19.01.2000) Minivans waren 15 Jahre lang der große Renner, doch jetzt haben sie den Zenith überschritten. Der heutige Kunde verlangt nämlich nicht nur Platz, sondern auch Vielfalt, Variabilität und vernüftige, verkehrsgerechte Dimensionen. Die Industrie reagiert auf diesen Forderungskatalog mit so genannten Crossover-Fahrzeugen. Diese eierlegenden Wollmilchsäue haben von allem etwas - ein Eckchen Kleinbus, eine Scheibe Großraumlimousine, eine Prise Geländewagen, ein Stück Kombi. Es gibt kein durchschlagendes Erfolgsrezept mehr, außer dem, dass alles erlaubt ist, was gefällt und sich verkaufen lässt.

Apropos verkaufen: Chrysler hat 1999 weltweit mehr als 600 000 Voyager verkauft. Das entspricht einem Marktanteil von 40 Prozent. Für das Jahr 2000 rechnet Chrysler sogar mit einem Marktanteil von 50 Prozent - aber gleichzeitig mit einem Rückgang auf 500 000 Einheiten. "Die großen Vans verlieren gegenüber den kleineren Modellen an Boden," glaubt Ralph Sarotte, der bei Chrysler für Hochdachlimousinen zuständig ist. "Deshalb setzen wir neben dem neuen Voyager auf den kompakten PT Cruiser. " Wir haben Minivan und Maxivan bereits Probe gefahren.

Ein guter Freund kommt aus der Kur

Der neue Voyager sieht auf den ersten Blick nicht wirklich neu aus, sondern eher generalüberholt, wie ein guter Freund nach vier Wochen Kur an der Adria. Der Radstand ist gleich geblieben, aber die Proportionen haben sich leicht verändert, in Richtung länger, flacher, breiter. Innen ist jetzt etwas mehr Platz, vor allem in der Langversion, die zusätzlich zu den sieben Sitzen einen großen Kofferraum mit sich herumschleppt. Besonders stolz sind die Amerikaner auf die vielen neuen Features, mit dem sie die Baby Boomers beeindrucken wollen. Zu den aufpreispflichtigen Innovationen gehören zwei motorisierte Schiebetüren; die auf Knopfdruck öffnende und schließende Heckklappe; eine zwischen den Vorder- oder den Rücksitzen fixierbare Mittelkonsole mit integriertem CD-Wechsler, Telefon und Stromanschluss; eine Dachkonsole mit DVD-Spieler und ausfahrbarem Bildschirm und die supercoole Drei-Zonen-Klimaautomatik.

Im neuen Voyager gibt es außerdem mehr Ablagen, Becherhalter, Haken, Ösen und Netze als in einer Boeing 737. Zudem hat er eine herausnehmbare Gepäckraumabdeckung, die als Ablagefach, Schublade, Sichtschutz oder Picknicktisch zweckentfremdet werden kann. Es stimmt schon: Gegen PS und Newtonmeter sind amerikanische Minivan-Kunden fast immun, aber pfiffige Details sorgen für leuchtende Augen.

Passive Sicherheit verbessert

Aus Europa kommt inzwischen die bange Frage, ob Chrysler denn auch die passive Sicherheit des neuen Voyager verbessert hat. Antwort: Selbst der kritische Offset-Crash ist jetzt kein Thema mehr. Für eine homogene Verformung sorgt die völlig neue Karosseriestruktur, die speziell im Bereich des Vorderwagens durch 21 Kilogramm zusätzliches Material verstärkt wurde. Außerdem besitzt das 2000er-Modell eine geänderte Lenksäule, zweistufige Airbags sowie serienmäßige Seitenairbags vorne. Weiterhin nicht vorhanden sind dagegen Windowbags, Airbags im Fond und ESP.

Vermisst haben wir auch die Sitzheizung hinten, das Schiebedach, Xenonlicht und ein integriertes Navigationssystem. "Diese Dinge haben für Nordamerika zweite Priorität," entschuldigt sich Ralph Sarotte und fügt hinzu: "Aus dem gleichen Grund gibt es auch in Zukunft den Diesel nicht mit Automatik - die hohe Investition rechnet sich einfach nicht. "

Europäische Kunden können zwischen drei Motoren wählen. Im Basismodell leistet der bekannte 2,4-Liter-Vierzylinder mit 112 kW (152 PS) seinen Dienst. Der mit Ausnahme der Pleuelstangen neu konstruierte 3,3-Liter-V6 bringt künftig 132 kW (180 PS). Und der von VM zugelieferte 2,5-Liter-Diesel bringt es durch die Umstellung auf 16-Ventiltechnik und Direkteinspritzung von sofort an auf 103 kW (140 PS). Wir fuhren den V6, der serienmäßig mit einer Viergang-Automatik verblockt ist und auf Wunsch alle vier Räder antreibt.

Erster Eindruck: etwas mehr Drehmoment, deutlich mehr Kraft, viel leiser und laufruhiger. Auch die Fahreigenschaften wurden verbessert. Der neue Voyager ist richtungsstabiler, neutraler, komfortabler. Darüber hinaus bremst er besser, und die Aufbaubewegungen sind weniger ausgeprägt. Verbesserungswürdig erscheinen der große Wendekreis, der Kraftaufwand bei Verzögerung bis zum Stillstand und die Haftung der Ganzjahresreifen. Ausgeliefert wird der Euro-Voyager erst im Frühjahr 2001; die Preise stehen noch nicht fest.

Der PT Cruiser, der je nach Ausstattung zwischen 37 500 und 42 500 Mark kosten soll, kommt schon im Frühsommer 2000 auf den Markt. Im Gegensatz zum funktionell-eleganten Voyager ist der Cruiser erst in zweiter Linie Schulbus, Lieferwagen und mobiler Wickeltisch. Das durchaus stimmige Retrodesign wendet sich vielmehr an lifestyle-bewusste Kunden, die im erstaunlich großen Kofferraum keine Kinderwagen und Bobby-Cars transportieren wollen, sondern Mountain-Bikes und Snowboards.

Kein Power-Paket unter der Haube

Mit einem Cw-Wert von knapp 0. 4 ist der Cruiser zwar ungefähr so windschlüpfig wie ein Drive-In-Restaurant, aber dafür weckt die hohe und füllige Karosserie schon auf den ersten Blick Assoziationen an die große Zeit der amerikanischen Muscle Cars. Von außen unterstreichen angedeutete Kotflügel und Breitreifen diesen Anspruch, von innen zollen das klassisch-schlichte Armaturenbrett, das dürre Vierrspeichen-Lenkrad und der Schaltknauf aus Bakellit den Roaring Fifties Tribut.

Wer die Motorhaube öffnet, erlebt allerdings eine Enttäuschung. Hier wohnt kein V8 und auch kein V6, sondern ein biederer 2,0-Liter-Vierzylinder, der geräuschvoll abgezählte 103 kW (140 PS) aus der Kurbelwelle schüttelt. Später will Chrysler einen 1,6-Liter-Benziner mit etwa 85 kW (115 PS) und einen 103 kW (140 PS) starken 2,2-Liter-Diesel von Mercedes-Benz nachschieben. Erst in zwei Jahren ist mit dem GT Cruiser zu rechnen, dem ein 2,0-Liter-Kompressormotor mit 147 kW (200 PS) zu deutlich lebhafteren Fahrleistungen verhelfen dürfte. Die 140-PS-Version zieht aus niedrigen Drehzahlen gut, doch ab 100 km/h machen sich der Luftwiderstand, das Gewicht von 1,4 Tonnen und die mangelnde Drehfreude unangenehm bemerkbar. Auch an diesem Chrysler stören der zu große Wendekreis und die lückenhafte Sicherheitsausstattung (kein ESP, keine Sidebags hinten).

Ruppige Viergang-Automatik

Schon der Cruiser Classic verfügt über vier Airbags, ABS, Zentralverriegelung, Fensterheber und sechs Lautsprecher. Doch erst im Touring-Paket finden sich die dazu passende Radio-CD-Cassetten-Kombination, Alufelgen und Klimaanlage. Im noblen Limited sind sogar beheizbare Ledersitze und Chromfelgen enthalten. Schiebedach, Tempomat und die ruppig-unentschlossene Viergang-Automatik kosten Aufpreis. Serienmäßig ist dagegen der riesige Kofferraum (520 Liter), der sich durch stufenweises Umklappen und Herausnehmen der hinteren Sitze auf das Lagerhausformat von 2150 Liter erweitern lässt. Überdurchschnittlich viel Platz bietet der Chrysler auch für Fahrer und Beifahrer sowie für die Fondpassagiere. Irgendwelche Nachteile? Den Sitzen fehlt es an Seitenhalt, die Sicht nach schräg hinten ist ein Fall für den Zufallsgenerator, und der Tank fasst nur 57 Liter.

Das Fahrerlebnis überzeugt auf der ganzen Linie. Die Federung ist ausgewogen, die Straßenlage gibt sich erdverbunden, und das aufgeweckte Handling verzichtet auf schweißtreibende Lastwechselreaktionen. An den Bremsen gefallen Ausdauer und Reaktionsschnelligkeit, das Getriebe glänzt mit knackig-kurzen Schaltwegen, und die Lenkung vermittelt stets das gewünschte Maß an Fahrbahnkontakt. So gesehen ist der PT Cruiser ein durchaus europäisches Auto, das sich auch durch enge Kurven und unebenen Belag nicht aus der Ruhe bringen lässt. Fazit: Beide Chrysler-Vans machen ihre Sache gut. Während der Voyager zur Luxusfamilienkutsche herangereift ist, eignet sich der Cruiser eher für zwei Paare oder vier Singles als für Mom, Dad und die Kids.

Von Georg Kacher

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