Chrysler Voyager Turbodiesel:Die kommode Art des Reisens

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Rauh, aber herzlich - zu Preisen von 42 350 Mark an aufwärts

(SZ vom 16.05.1992) Der Voyager ist der meistverkaufte Minivan der Welt. Über drei Millionen Stück hat Chrysler seit der Einführung vor neun Jahren bereits produziert. Die beiden Voyager-Werke in Windsor und St. Louis haben zwar zusammen eine Kapazität von 450 000 Fahrzeugen pro Jahr, doch selbst diese Menge reicht kaum aus, um die Nachfrage zu befriedigen.

Deshalb hat Chrysler vor zwei Jahren mit der österreichischen Steyr-Daimler- Puch Fahrzeugtechnik das Eurostar Automobilwerk mit Sitz in Graz gegründet. Eurostar baut zusätzlich zu den bekannten Varianten den Voyager 2,5 Turbodiesel, der nur für Europa bestimmt ist und nicht nach Amerika exportiert wird. Als Antriebsquelle des TD fungiert ein vom italienischen Diesel-Spezialisten VM zugekaufter 2,5-Liter-Vierzylinder, der es dank Turboaufladung auf 86 kW (117 PS) bringt. Das maximale Drehmoment von 250 Nm steht bereits bei 2200/min zur Verfügung. Der Selbstzünder treibt die Vorderräder über ein Fünfgang-Getriebe an - eine Kombination mit Automatik und Allradantrieb wäre möglich, ist aber noch nicht vorgesehen. Die Fahrleistungen des 1685 Kilogramm schweren Voyager TD können sich sehen lassen: Der Siebensitzer erreicht nach 12,3 Sekunden 100 km/h und ist 180 km/h schnell.

Der VM-Diesel hat drei Nachteile: Er ist relativ laut, er läuft rauher als die kleinvolumigere Konkurrenz, und er hat zwischen 3000 und 3500/min ein leichtes Beschleunigungsloch. Die Italiener sind gerade dabei, diese Delle in der Drehmomentkurve mit Hilfe eines geänderten Motor- und Lader-Managements auszubügeln. Die nervigen Brumm- und Dröhnfrequenzen sollen noch vor Anlauf der Hauptserie mit Hilfe neuer Motorlager beseitigt werden. Nur an der rauhen Motorcharakteristik wird sich nicht viel ändern, denn die ist prinzipbedingt: Wer 2,5 Liter Hubraum auf nur vier Zylinder verteilt, darf eben nicht die Laufkultur eines Sechszylinders erwarten.

Dafür entschädigt der VM-Motor mit diesel-untypischen Fahrleistungen. Der Antritt bei niedrigen Drehzahlen ist nahezu phänomenal, und auch im mittleren Bereich geht der nicht sonderliche windschnittige Voyager mit Vehemenz zur Sache. Auf der Autobahn klopft der Vierzylinder im fünften Gang sogar auf ebener Strecke an das Vorzimmer des Drehzahlbegrenzers. Die Getriebeabstimmung ist nahezu perfekt. Nur der erste Gang ist arg kurz ausgelegt, aber den braucht man ohnehin hauptsächlich zum Anfahren. Der dritte ist als Überholvorgang ausgelegt, der vierte reicht auch in der Stadt zum Mitschwimmen, und der fünfte ist bissig genug für die Landstraße und ausreichend sparsam auf der Autobahn.

Die ECE-Verbrauchswerte sind erfreulich niedrig. Bei konstant 90 km/h zuzelt der Turbodiesel nur 5,8 Liter aus dem 76- Liter-Tank, bei 120 km/h genehmigt er sich 8,1 Liter, und selbst im Stadtverkehr kommt er mit 9,1 Litern aus. Das macht im Schnitt 7,7 Liter auf 100 km, was bei verhaltener Fahrweise eine Reichweite von rund 1000 Kilometern ergeben müßte. Was dem VM-Motor jedoch fehlt, ist eine zeitgemäße Schadstoff-Reinigungsanlage. Mangels Katalysator und Abgasrückführung ist zumindest vorerst die Töpfer-Norm nicht zu schaffen.

Der Voyager sieht gut aus, ist gut ausgestattet und verdient auch für das Platzangebot die Note 'gut'. Der Sitzkomfort variiert mit der Bestuhlung, und die ist in jeder Reihe anders. Wie im Flugzeug befindet sich auch im Voyager die First Class ganz vorne. Fahrer und Beifahrer sitzen besonders bequem und genießen die beste Aussicht und das beste Raumgefühl. Die zweite Reihe entspricht der Business Class. Die Beinfreiheit ist o.k., aber die Lehnen sind noch kürzer, die Gurtführung ist mangelhaft, und der Ein- und Ausstieg ist beschwerlich.

Wer alle drei Sitzreihen benötigt, sieht sich einem erschreckend kleinen Kofferraum (Fassungsvermögen 328 Liter) gegenüber. Abhilfe bringt hier nur das Ausbauen der hinteren Bank (dann kann man bis zu 1650 Liter unterbringen) oder der Wechsel zum Grand Voyager, der über einen 17,8 Zentimeter längeren Radstand und ein geräumigeres Gepäckabteil verfügt (518 Liter in der Grundstellung).

Die Ausstattung ist amerikanisch- großzügig. Elektrische Fensterheber sind ebenso selbstverständlich wie Zentralverriegelung, Servolenkung und Fahrerairbag. Nicht zu haben sind dagegen Schiebedach, Beifahrer-Airbag, Automatik, ABS (ab '93) und Klimaanlage (Ende '92). Die Bedienung ist weitgehend unproblematisch; das gilt allerdings nicht für den Entriegelungsmechanismus der fußbetätigten Feststellbremse und für die Lichtschalter (Haupt-/Zusatzscheinwerfer, Nebelschlußleuchte), die über das Armaturenbrett verteilt sind.

Voyager Fahren macht Spaß. Man sitzt relativ hoch, genießt einen ungetrübten Panorama-Blick und ist jederzeit Herr der Lage. Der Fahrkomfort ist trotz Blattfeder-Hinterachse ausgewogen; nur tiefe Schlaglöcher und üble Querrinnen steckt der Chrysler nicht so souverän weg wie ein Espace. Auch ist die Straßenlage ordentlich, woran die breiten Reifen (205/70 HR 15) gewiß ihren Anteil haben. Die Bremsen (vorne Scheiben, hinten Trommeln) sind so gut, wie sie es ohne ABS eben sein können. Nur die Lenkung fällt im Vergleich mit der Konkurrenz ab, denn sie ist etwas zu leichtgängig, um die Mittellage etwas nervös und bei zunehmendem Einschlag indirekt und nicht sonderlich kommunikationsfreudig.

Fazit: Speziell als Turbodiesel ist der Voyager eine interessante und relativ preisgünstige (ab 43 350 Mark) Alternative zu Espace (nur 88 PS), Previa (kein Diesel), VW Bus (viel teurer) und Mitsubishi Space Wagon (zu klein). Was dem Amerikaner aus Europa noch fehlt, sind ein schadstoffarmer Motor, das dringend empfehlenswerte ABS und eind paar Detailmodifikationen im Karosseriebereich. Ab Modelljahr '93 sollten diese Dinge kein Thema mehr sein.

Von Georg Kacher

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