Chrysler Viper RT/10:Das feuerrote Spielmobil

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Chrysler setzt zur Imageförderung auf den Boliden mit 394 PS

(SZ vom 21.07.1993) Niemand braucht ihn, aber dennoch läßt er sich verkaufen: Immerhin 130 Deutsche haben schon 30 000 Mark angezahlt, um gegen Ende dieses Jahres nochmals 100 000 Mark auf den Tresen eines Chrysler-Händlers zu blättern und endlich ihren Viper RT/10 in Empfang nehmen zu können. Und vermutlich haben diese kapitalkräftigen Autofans geordert, ohne den Viper jemals 'in natura' gesehen oder gar gefahren zu haben. Es muß also etwas dran sein an diesem Viper, dem sich mit rationalen Maßstäben nur schwer beikommen läßt. Denn wer benötigt schon ein Auto, das kein richtiges Dach, sondern nur eine Art Notverdeck hat, dafür aber von einem Zehnzylinder- Motor mit 290 kW (394 PS) angetrieben wird, der eigentlich Kärrnerarbeit in einem Lastwagen verrichten soll?

Dafür spricht dieser Roadster die Emotionen an: das Auge mit seiner wuchtigen, in der langen Motorhaube zerklüfteten Karosserie, und das Ohr, wenn der grummelnde Sound des Acht-Liter-Motors aus den beiden sidepipes, den mächtigen Auspuffrohren unterhalb der Türschweller, entweicht. Es ist die pure Lust an der Leistung jenseits aller Grenzen, die der Alltagsverkehr setzt. So sieht auch Chrysler den in Deutschand nur in rot lieferbaren Boliden: als Demonstration des Willens und der Entschlossenheit, mit neuen Modellen, die in kurzer Zeit entwickelt und produziert werden, international wieder wettbewerbsfähiger zu werden - und dafür braucht man nicht nur gute, sondern auch ausgefallene Autos für das Markenimage.

Denn rein von der technischen Seite her steckt in jedem Grand Cherokee-Jeep mehr Hightech als im Viper: Es fehlen so wichtige Dinge wie ein ABS oder ein Beifahrer-Airbag und Komfort-Extras wie eine elektrische Spiegelverstellung. Die zehn Zylinder des Motors werden jeweils nur von zwei Ventilen bearbeitet, die Kraft wird aus dem schier unerschöpflichen Hubraum von acht Litern mobilisiert. Daraus resultiert ein maximales Drehmoment von 611 Nm, das bei 3600/min anliegt. Auf der Straße bedeutet dies, daß man die hakelige Schaltung des Viper eigentlich nur beim Anfahren bedienen müßte: Man kann im sechsten Gang ruckfrei mit Tempo 80 dahinrollen, wobei der Motor nur knapp über der Leerlaufdrehzahl läuft - oder man kann allen Mut zusammennehmen, zurückschalten und auf einem freien Straßenstück einmal das Gaspedal bis zum Anschlag durchtreten. Die Folge ist eine nahezu brachiale Beschleunigung (Null auf 100 km/h in 4,6 Sekunden, Höchstgeschwindigkeit 266 km/h), die sich durch alle Gänge fortsetzen läßt. Dabei nimmt der Luftzug um den Kopf des Fahrers bis auf Orkanstärke zu, denn der Viper muß einfach offen gefahren werden. Eigentlich scheint er für Kalifornien konzipiert worden zu sein, denn es gibt nur eine Art Notverdeck, das aufgesteckt werden kann, und Seitenscheiben, die ebenfalls eingesteckt werden müssen. Damit die Plane nicht abhebt, ist bei geschlossenem Verdeck nur eine Höchstgeschwindigkeit von 180 km/h erlaubt. Doch wer sich diese exotische Schlange als Garagentier hält, wird sie wohl gut pflegen und nicht treten. Zumal er länger als geplant auf die Auslieferung warten muß: Es gibt Ärger bei der Produktion der Motorhaube aus GFK. Der Zulieferer hat Fertigungsprobleme, so daß in den USA statt der geplanten 3000 Viper jährlich vorerst nur 1000 hergestellt werden können. Doch wen die Viper einmal beißt, den wird sie nicht mehr so schnell loslassen.

Von Otto Fritscher

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