Chrysler Jeep Grand Cherokee / Dodge Viper / Chrysler Vision:Die Zukunft liegt nicht allein in Amerika

Lesezeit: 9 min

Eine erneuerte Produktpalette soll die amerikanische Nummer drei aus der Krise führen

(SZ vom 14.08.1992) Die amerikanische Automobilindustrie steckt immer noch in der Krise, die produzierten Autos türmen sich auf der Halde. Wer in den USA einen Neuwagen kaufen will, wird mit hohen Rabatten umworben. Und die Politiker denken über neue Importrestriktionen nach, um die Flut der japanischen Autos zu stoppen, während General Motors ganze Fabriken samt Belegschaft zum Kauf anbietet. Doch die Phase der Resignation und Rezession geht, so scheint es, zu Ende. Neues Selbstbewußtsein greift um sich: 'Wir haben die Firma wiedererfunden', ist zum Beispiel das aktuelle Glaubensbekenntnis der Chrysler-Manager. Ihre Zuversicht stützen sie auf eine erneuerte Modellpalette, die nicht mehr nur speziell auf die Anforderungen des heimischen Markts zugeschnitten ist, sondern mit deren Hilfe sich Chrysler als der nach General Motors und Ford drittgrößte amerikanische Hersteller vor allem in Europa neue Märkte erschließen will.

Wie sich Chrysler die automobile Zukunft vorstellt, soll vor allem der Dodge Viper demonstrieren: ein kompromißloser Hochleistungssportwagen, dessen 8,0- Liter-Zehnzylindermotor den ungestümen Vorwärtsdrang, der die Chrysler- Ingenieure und Marketing-Strategen angeblich beflügelt, symbolisiert.

Nach dem Vorbild der Japaner

Ob ein 294 kW (400 PS) starker Sportwagen eine zeitgemäße Antwort auf die Anforderungen des Individualverkehrs der Zukunft sein kann? Da kommen doch Zweifel auf. Chrysler will den Viper, dessen Auslieferung nach Deutschland im kommenden Frühjahr beginnt, auch anders verstanden wissen: Er soll als Nachweis für die Fähigkeit der Firma dienen, durch kürzere Entwicklungszeiten und neue Produktionsmethoden gegenüber den Japanern und Europäern konkurrenzfähiger zu werden und flexibler auf den Marktes reagieren zu können.

1989 wurde der Viper als Konzeptstudie erstmals auf der Detroit Auto Show der Öffentlichkeit präsentiert - als rechtmäßiger Nachfahre des 1965 aufgelegten AC Cobra von Carol Shelby. Nur drei Jahre dauerte es, bis aus dem Prototyp ein Kleinseriensportwagen wurde: Die ersten zehn Exemplare sind in den Staaten bereits an die stolzen Besitzer ausgeliefert worden - zum Preis von 55 000 Dollar. In Deutschland verkauft Chrysler den Viper für 130 000 Mark, 25 Prozent dieser Summe sind bei der Bestellung gleich als Anzahlung fällig. Gebaut wird der Viper weitestgehend in Handarbeit von sogenannten Platform-Teams - einer Gruppe von Handwerkern, die ein Team bilden und das Auto gemeinsam bauen. Auch bei der Entwicklung schlug Chrysler neue Wege ein - Stichwort lean production. Drei Viper-Exemplare verlassen täglich das Werk in Detroit.

Doch noch einmal ein Blick zurück: Lange Jahre war Europa aus Sicht der Amerikaner kein lohnender Markt. Erst 1988 begann die Chrysler-Präsenz in Deutschland - und die Marke litt noch unter einem ziemlich schlechten Image, das noch aus der Zeit der Kooperation mit Simca herrührte. Zudem hatte Chrysler eine breite Modellflotte im Angebot, die nur einen Nachteil hatte: Die Fahrzeuge waren nicht für den europäischen Autofahrer und dessen Qualitätsansprüche konzipiert. Trotzdem konnten im ersten Jahr 5000 Autos abgesetzt werden, vor allem Jeeps und LeBaron-Cabriolets. Die europäischen Vertretungen liefen in der Zentrale in Detroit Sturm und machten sich für eine Straffung der Modellpalette stark - mit Erfolg: 1990 wurden etwa der ES und der GS aus dem Markt genommen - und dennoch 10 000 Einheiten verkauft.

Anfang der 90er Jahre legte Chrysler dann richtig los: Mit verbesserten Motoren und neuen Modellen wie dem Minivan Voyager, der sich inzwischen zum meistverkauften Minivan der Welt mauserte. Auch in der deutschen Chrysler- Verkaufsstatistik führt der Voyager mit 5500 Exemplaren, gefolgt vom Jeep Cherokee (4500) und dem Jeep Wranger (2500). Der Rest der 1991 14 500 verkauften Autos teilt sich auf LeBaron, die etwas angestaubte Saratoga-Limousine und das Daytona-Sportcoupé auf.

Für Off-Road-Fans sind die Jeeps die Edelsteine im Chrysler-Programm: der urtümliche Wranger, der Nachfahre des legendären General purpose-Vehikels (abgekürzt GP, gesprochen Dschie-pi), das die US-Army im Zweiten Weltkrieg als Allzweckfahrzeug anforderte, und der Cherokee, die amerikanische Ausgabe des Range Rover, der sich sowohl auf der Straße als auch im Gelände wohlfühlt. Aber immer weniger Off-Road-Gefährtedürfen sich aus Gründen des Umweltschutzes - zumindest in Deutschland und halb Europa - nicht mehr in dem Terrain bewegen, für das sie eigentlich konzipiert worden sind. Das hat der steigenden Verbreitung aber keinen Abbruch getan: Die mobile Freizeitgesellschaft erfordert ihren Tribut in Form eines gesteigerten Transportbedürfnisses. Golfsäcke, Surfbretter und Mountainbikes wollen durch die Gegend gefahren werden - und wenn das Abenteurerimage auch noch Platz im Auto hat, ist das umso besser.

Tatsächlich werden immer mehr Geländewagen als Kombis und Reiselimousinen genutzt. Genau in diese Lücke will Chrysler mit dem Jeep Grand Cherokee stoßen. Dabei handelt es sich nicht einfach um eine verlängerte Variante des seit 1984 gebauten, kantigen Cherokee, sondern um ein neues Auto, das ebenfalls von platform teams entwickelt wurde und nun in Gruppenarbeit gebaut wird. Weichere, fließende Linien kennzeichnen die Karosserie des Grand Cherokee, der mit 4,48 Meter um 24 Zentimeter länger ist als sein kleiner Bruder. Der Größenwachs kommt allerdings weniger dem Kofferraum zugute, sondern dem Platzangebot auf den Sitzen im Fond. Hier finden nun auch Großgewachsene gut Platz - und wenn man mehr Gepäck befördern muß, kann die Lehne der Rückbank im Verhältnis von 60:40 umgeklappt werden.

Annehmlichkeiten an Bord

Lange Distanzen lassen sich mit dem Grand Cherokee wirklich kommod zurücklegen - es ist alles an Bord, was das Reisen angenehm macht: Bequemes Gestühl, das sich elektrisch in nahezu jeder erdenklichen Lage fixieren läßt, eine Klimaautomatik, deren innen und außen angebrachte Sensoren die Temperatur konstant halten, ein Tempomat, dessen Bedienknöpfe angenehmerweise im Lenkrad untergebracht sind, eine Menge Ablageflächen - und eine insgesamt luftige, großzügige Atmospähre durch das üppige Raumangebot. Der große Indianer kann sich vom Ausstattungskomfort durchaus mit edlen Limousinen messen.

Auch die Motorisierung fällt eine Nummer größer aus: Neben dem aus dem 'kleinen' Cherokee bekannten 4,0-Liter- Sechszylinder-Reihenmotor mit 142 kW (193 PS) wird gleich zum Verkaufsbeginn, der Anfang nächsten Jahres erfolgen soll, ein V8 mit 5,2 Litern Hubraum angeboten. Für erste Fahrten stand nur die Sechszylinder-Version zur Verfügung. Dabei konnte das Triebwerk nicht verheimlichen, daß es schon etwas älteren Datums ist: Nicht, daß der Motor unfein laut würde, aber er gibt jenes zurückhaltende Grummeln sehr schnell auf, wenn mit einem Tritt auf das Gaspedal das Leistungspotential einmal ausgenutzt werden soll. Besonders im oberen Drehzahlbereich läuft die Maschine rauh und klingt darüber hinaus angestrengt - sie muß auch nahezu 250 Kilogramm mehr in Bewegung setzen als beim normalen Cherokee. So ergibt es sich im Fahrbetrieb eigentlich von selbst, daß die Höchstleistung nur äußerst selten abgerufen wird: Eine Höchstgeschwindigkeit von 180 km/h ist möglich, die Beschleunigung von Null auf 100 km/h läßt sich in etwa elf Sekunden vollziehen.

Der für nächstes Jahr angekündigte V8 ist keine Neuentwicklung, sondern ein Motor, der sich bereits in Dogde-Trucks bewährt hat. Er leistet 164 kW (223 PS), stellt ein maximales Drehmoment von 380 Nm bei 3200/min zur Verfügung und bietet eine Spitzengeschwindigkeit von ebenfalls 180 km/h. Chrysler rechnet damit, daß sich je die Hälfte der Grand Cherokee-Käufer für den Sechszylinder und den V8 entscheiden werden. Die 4,0- Liter-Variante dürfte etwas weniger als 70 000 Mark kosten, während sich Chrysler den Luxus von acht Zylindern mit rund 75 000 Mark bezahlen lassen will.

Dafür gibt es dann in beiden Modellen einen permanenten Allradantrieb, der Qudratrac heißt und dem Grand Cherokee zu erstaunlichen Kletterkünsten im Gelände verhilft. Beim Klettern über Sandhügel, alte Reifen und auf dem Boden liegende Baumstämme (auf einem speziellen Off-Road-Übungsgelände) verließ eher den Fahrer der Mut, als daß der Grand Cherokee steckengeblieben wäre. Puristen unter den Geländewagen-Fans werden nun monieren, daß sich das serienmäßig vorhandene ABS nicht abschalten läßt - wir halten dies aber trotz gewisser Nachteile beim Bremsen auf Sand oder im Schnee für die einzig richtige Lösung für den Alltagsverkehr. Etwa 2500 Einheiten will Chrysler vom Grand Cherokee nächstes Jahr in Deutschland absetzen - aber der Indianer trifft auf starke Konkurrenz: den Range Rover, den Opel Monterey, den Toyota Landcruiser. Doch nach der Devise 'Einmal Jeep, immer Jeep' setzt Chrysler zum einen auf die Markentreue seiner Kunden. Zum anderen sollen bisherige Kombi-Fahrer zum Umsteigen bewegt werden.

Im Frühjahr 1993 läßt Chrysler den neuesten 'Dampfhammer' auf die deutschen Autobahnen los: den Dodge Viper, der in Deutschland aber den schnöden Namen Chrysler RT/10 tragen muß. Das 'Minimalauto für Puristen', so Herb Helbig vom 'Team Viper', kann aus namensrechtlichen Gründen in Deutschland nicht Viper heißen, weil sich eine kleine Firma diesen Namen flugs nach der Viper-Premiere schützen ließ. Und das Zurückkaufen der Namensrechte soll angeblich viel Geld kosten. Der Viper ist ein Auto, das um den Motor herumgebaut wurde - und das nach Aussagen der Amerikaner nur einen Zweck erfüllen soll: nämlich seinem Besitzer Spaß bereiten. Zwei Runden auf einem abgesperrten Parkplatz lassen allerdings erahnen, daß der Viper-Interessent nicht nur über ein gut bestücktes Sparbuch (130 000 Mark), sondern auch über ausgezeichnete Bandscheiben und gute Nerven verfügen sollte.

Der Zehnzylindermotor produziert einen Sound, der deutsche Immissionsschutzbehörden wach werden lassen dürfte - und jede Menge Leistung. 294 kW (400 PS) haben mit dem 1,5 Tonnen schweren Flitzer leichtes Spiel. Mit brachialer Gewalt stürmt der Viper los - wie er sich im zweiten bis sechsten Gang fährt, können wir allerdings nicht beurteilen, da der abgesteckte Kurs keine höheren Geschwindigkeiten als 75 km/h zuließ. Doch schon bei niedrigem Tempo rüttelt und schüttelt das mächtige V10- Triebwerk, das mit Hilfe der italienischen Chrysler-Tochter Lamborghini entwickelt wurde, die Karosserie kräftig durch: Die Hinterräder neigen bei Bodenunebenheiten zum Versetzen. Doch dies wird die Viper-Fans kaum stören - sie erwarten Leistung pur.

Fahren wie die Hölle

Der Leitsatz des Viper-Teams bei der Entwicklung lautete schließlich: Der Viper solle 'go like crazy and stop like hell' -fahren wie verrückt und bremsen wie die Hölle. Zumindest der Papierform nach haben die Techniker dieses Ziel erreicht: Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 266 km/h und der Roadster kann innerhalb von14,5 Sekunden von Null auf 160 km/h beschleunigt und wieder abgebremst werden.

Für diese Leistungsdaten nehmen Enthusiasten ein Auto in Kauf, dem nicht nur technische Features wie ABS fehlen, sondern das nicht einmal ein richtiges Dach hat. Der Viper muß offen gefahren werden - am besten im sonnigen Kalifornien. Es gibt zwar eine Art Notverdeck, bei dem die Seitenscheiben extra in den Türrahmen gesteckt werden müssen, aber auf die Entwicklung eines ordentlichen Verdecks oder gar eines Hardtops hat man von vornherein verzichtet.

So verhält es sich auch mit der Farbauswahl: Der Viper ist ausschließlich in Rot erhältlich. Reminiszenzen an den legendären AC Cobra werden beim Anblick der sidepipes, der unter den beiden Türschwellern verlaufenden, chromglänzenden Ausspuffrohre, wach. Zwar wurde der Einstieg mit speziell hitzedämmendem Material ausgekleidet, dennoch strahlen die Rohre mächtig Wärme ab. Große Aufkleber in den Türholmen warnen vor unvorsichtigen Berührungen.

Derlei Probleme wird der deutsche Viper-Fahrer kaum bekommen - denn der TÜV beschützt ihn. Die Auspuffrohre werden bei den deutschen Varianten direkt unter der Karosserie verlegt und enden am Fahrzeugheck. Die sidepipes dienen allein der Optik. 300 Wagen mit dem geöffneten Rachen einer Viper als Markenzeichen auf der Motorhaube möchte Chrysler nächsten Jahr bei uns verkaufen - zum Preis von 130 000 Mark. Bei der Bestellung sind gleich 25 Prozent Anzahlung fällig. Auf den deutschen Autobahnen wird der Viper selten zu sehen sein - er wird in den Garagen der Sammler verschwinden.

LH: Das Auto für Europa

Eine größere Verbreitung erhofft sich Chrysler von einer neuen Limousine, die in der oberen Mittelklasse angesiedelt ist und die etwa mit der 5er-Reihe von BMW, dem Toyota Camry oder dem Nissan Maxima konkurrieren soll. Unter dem Projektkürzel LH wurde - ebenfalls unter Einbeziehung der neuen Entwicklungs- und Produktionsmethoden - das Fundament für ein neues Pkw-Programm gelegt, das wegführen soll von den Straßenkreuzern traditoneller Machart. Tatsächlich ist das Design ungewöhnlich: Die Frontpartie wirkt flach, die Windschutzscheibe ist stark geneigt, sie wurde bis über den Mittelpunkt der Vorderräder nach vorne gezogen. Außerdem wurden die Hinterräder weiter in Richtung Fahrzeugheck positioniert, um einen größeren Innenraum zu schaffen. Cab-Forward- Design nennt das Chrysler. Nur mit der Nase in der Mitte des Kühlers, die an den Buick Skylark erinnert, hätten sich die Designer ruhig etwas intensiver beschäftigen sollen.

Herausgekommen ist eine Limousine mit dem Namen Vision, die stattliche 5,09 Meter lang ist - so wie die S-Klasse von Mercedes - und von der Seite aussieht wie ein in die Länge gegangener Opel Calibra. Ob dies die Proportionen sind, mit denen Chrysler die chronisch verstopften Straßen der alten Welt erobern kann, scheint zweifelhaft, zumal das Platzangebot auf den Rücksitzen für ein so stattliches Auto einfach zu klein ausgefallen ist. Gut gefallen hat uns die Innenausstattung: Erstmals bei Chrysler sind Airbags für Fahrer und Beifahrer serienmäßig, dazu kommt eine angenehm fächelnde Klimaanlage. Ein weiterer Pluspunkt ist der Motor. Das 3,5-Liter- Aggregat mit einer Leistung von 160 kW (217 PS) ist das erste Vierventil-Triebwerk, das Chrysler in Amerika baut. Das Frontantriebsfahrwerk wird in drei Härtestufen lieferbar sein - für den europäischen Markt kommt aber nur die straffste Abstimmung in Frage, die für einen amerikanischen Wagen wirklich außergewöhnlich europäisch ausgefallen ist: Sie bietet einen gelungenen Kompromiß zwischen Komfort und gutem Handling.

1000 Vision will Chrysler im ersten Jahr verkaufen - das anvisierte Preisniveau liegt zwischen 50 000 und 60 000 Mark. Ob die deutschen Autofahrer dieses Angebot goutieren werden? Die Chancen stehen für den Vision als europäisierten Amerikaner nicht schlecht.

Von Otto Fritscher

© N/A - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: