Chrysler Jeep Cherokee:Von echtem Schrot und Korn

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Während der in den USA "Liberty" getaufte Wagen im Gelände brilliert, zeigt er auf der Straße Schwächen

(SZ vom 07.02.2001) Der Weg hinauf auf den Berg ist steil, steinig und so schief wie das Oktoberfestpanorama nach der dritten Maß. Fahrer und Beifahrer bekreuzigen sich und ziehen die Gurte fest, aber das wäre eigentlich gar nicht nötig gewesen, denn der Cherokee erklimmt die Kuppe mit einer fast unverschämten Lässigkeit - irgendwie kommt uns dieses Auto vor wie das zur Maschine mutierte Äquivalent von Reinhold Messner, der nur so aus Spaß den Nanga Parbat hinaufklettert. "Wir haben wieder einen echten Geländewagen gebaut," konstatiert an der Talstation der Chefentwickler Craig Love, und dabei bemüht er sich gar nicht, das selbstzufriedene Lächeln zu unterdrücken. "Der Cherokee schafft die schwerste Off-Road-Prüfung der Welt, den Rubicon Trail von Kalifornien nach Nevada. Wenn es von A nach B überhaupt ein Durchkommen gibt, dann kommt er auch durch", ergänzt er.

Welche Technik macht aus dem Cherokee bei Bedarf eine veritable Bergziege? Jeep leistet sich den Luxus, zwei verschiedene Allradantriebe vorzuhalten. In Verbindung mit dem V6 wird das Command-Trac-System montiert, das permanent alle vier Räder bedient und bei Schlupf selbsttätig die entsprechenden Sperren aktiviert. Die Vierzylinder sind mit der Selec-Trac-Schaltung verblockt, die ein manuelles Einlegen des Allradantriebs erfordert. In beiden Fällen sorgen große Böschungswinkel, lange Federwege und viel Bodenfreiheit für eine überdurchschnittliche Geländegängigkeit. Die wichtigsten konzeptuellen Änderungen gegenüber klassischen Off-Roadern betreffen die selbsttragende Karosserie (der steife, aber schwere Leiterrahmen entfällt) und die jetzt schraubengefederte hintere Starrachse (ein ganz wesentlicher Komfortgewinn). Für Bremsen und Motor wurde eine spezielle Off-Road-Mimik entwickelt, die im Low-Range-Betrieb besonders sensibel reagiert. Kunden, die mit ihrem Cherokee die Sahara oder die Mongolei durchqueren wollen, sollten das Up-Country-Paket bestellen, das grobstollige Geländereifen und sperrige Sandbleche beinhaltet.

Beim Durchtauchen von Schlammlöchern und Überqueren von Baumstämmen ist der neue Cherokee ein echter Jeep - aber wie sieht es mit den Fahreigenschaften auf befestigten Straßen aus? Die Antwort: besser als beim Vorgänger, aber keineswegs perfekt. Die Amerikaner verweisen zwar stolz auf die neu konstruierte vordere Einzelradaufhängung und auf die präzise Zahnstangen-Lenkung, doch bei sportlicher Gangart gerät der rundäugige Irokese allzu leicht aus der Fassung. Die Seitenneigung der Karosserie in schnell gefahrenen Kurven erinnert an die Titanic in schwerer See, das Einlenkverhalten ist von ebenso frühem wie heftigem Untersteuern geprägt, die um die Mittellage indifferente Lenkung neigt bei raschen Richtungswechseln zum Verhärten, die gemischte Bremsanlage (hinten nur Trommeln) ist nicht sonderlich standfest, und das für Fahrzeuge dieser Art dringend angeratene ESP gibt es weder für Geld noch für gute Worte.

Chrysler-Chef Dieter Zetsche zur Kritik am neuen Cherokee: "Die Autos aus der aktuellen Produktion sind bereits deutlich besser als die Vorserienmodelle, und bis zum Europastart im Herbst ist das Produkt rundum Spitze - darauf gebe ich Ihnen mein Wort. "

Der zwischen Wrangler und Grand Cherokee positionierte Jeep überzeugt durch seinen exzellenten Federungskomfort, durch gute Richtungsstabilität und durch ein niedriges Geräuschniveau. Einen tadellosen Eindruck hinterließen auch der neue 3,7-Liter-V6 mit 157 kW (212 PS) und die bei diesem Triebwerk serienmäßige, weich schaltende Viergang-Automatik. Der Sechszylinder ist laufruhig (dank Ausgleichswelle), durchzugsstark (305 Nm bei 4000/min) und drehfreudig (roter Bereich erst bei 5800/min). Als Alternative zum V6 ist der aus dem Voyager bekannte 2,4-Liter-Benziner mit 115 kW (155 PS) lieferbar. Auch bei dem für Europa wichtigen Diesel handelt es sich um einen Vierzylinder. Der vom italienischen Zulieferer VM entwickelte 2,5-Liter-Selbstzünder mobilisiert 103 kW (140 PS). Das maximale Drehmoment von 343 Nm steht bereits bei 1800/min zur Verfügung. Einziger Nachteil: Die beiden Vierzylinder sind ausschließlich in Verbindung mit einem handgeschalteten Fünfgang-Getriebe erhältlich. Preise und Verbrauchswerte für den europäischen Markt liegen noch nicht vor.

Der Cherokee II ist zwar deutlich länger und höher als sein Vorgänger. Das Längenwachstum ist zum Teil auf das jetzt außen montierte Reserverad zurückzuführen. Die Architektur des Innenraums bevorzugt ganz eindeutig die Besatzung der ersten Reihe. Im Fond fehlt es dagegen an Bein- und Kopffreiheit, die Sitzfläche sowie die (asymmetrisch teilbare) Rückenlehne sind zu knapp bemessen und auch in der Breite reicht der Platz kaum für drei Erwachsene. Dafür ist der Kofferraum erfreulich groß geraten: Bei dachhoher Beladung schluckt das Gepäckabteil mehr als 900 Liter, bei umgeklappten Fondsitzen darf man sogar 1950 Liter einpacken.

Statt der klassischen Heckklappe besitzt der Cherokee eine seitlich angeschlagene Tür. Die Heckscheibe lässt sich zwar separat öffnen, doch der Kofferraum ist in seiner vollen Größe leider erst dann zugänglich, wenn man das auf einem stabilen Träger montierte Reserverad weggeschwenkt hat. Eine Eins mit Stern verdient sich der Cherokee für die sehr gute Verarbeitung, für die rundum funktionelle Bedienung und für die - besonders beim Spitzenmodell Limited - umfangreiche Ausstattung.

Unter dem Strich überwiegen die positiven Eindrücke. Der neue Cherokee sieht gut aus, er ist vernünftig motorisiert und er ist ein Jeep von echtem Schrot und Korn. Mit entsprechend überarbeiteter Fahrdynamik müsste es dem Volumenmodell gelingen, nicht nur auf der Direttissima zum Gipfelkreuz, sondern auch im alltäglichen Straßenbetrieb für die gewünschten Ah- und Oh-Erlebnisse zu sorgen.

Von Georg Kacher

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