Chrysler CCV:Das Auto als Einwegflasche

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Das Leichtbaufahrzeug ist für die chinesischen und südamerikanischen Märkte konzipiert

(SZ vom 03.12.1997) Ob er leicht umfiele, fragt der mediengebildete Passant mit Blick auf den in Kurven heftig schwankenden Chrysler CCV. Und wir kontern mit dessen formalem Vorbild Citroën 2CV, der trotz imposanter Seitenneigung auch nicht aus Kurven zu werfen war. Aber sicherlich sei seine Kunststoffkarosserie leicht entzündbar, schiebt der Kritiker nach. Außerdem könne sie unmöglich so widerstandsfähig sein wie Metall. "Unser CCV fängt ebenso schwer Feuer, wie jedes andere Auto auch", widerspricht Thomas Moore, der eine Chrysler-Forschungsgruppe leitet, die sich mit Pkw-Leichtbau beschäftigt und diesen Prototypen baute. Erfreulicherweise widerstehe die Kunststoffkarosserie Beulen und Dellen durch kleine Rempler sogar wesentlich besser. Auch Kratzer fielen weit weniger auf als im Stahlblech. Er gibt aber auch zu, daß das Projekt noch viele Unwägbarkeiten birgt.

Der Chrysler CCV (China Concept Vehicle) wurde als Viertürer nicht nur für China und südamerikanische Märkte entwickelt. Das widerstandsfähige und wirtschaftliche Fahrzeug für automobile Einstiegsmärkte könnte auch bei uns Interessenten finden, wenn man es wie geplant für rund 5500 US-Dollar anbieten kann.

Ein recht magerer Geselle

Um den Verkaufspreis zu halten, wird der Chrysler CCV sparsam ausgestattet, außerdem besteht er aus nur etwa 1100 verschiedenen Bauteilen. Ein abendländischer Kleinwagen dieser Größe dagegen wird gewöhnlich aus mehr als 4000 Elementen zusammengefügt. Deshalb spricht Chrysler intern vom Bare Bones Car (Skelett-Auto). Und in der Tat kommt der CCV als magerer Geselle daher: Die filigrane und recyclebare Kunststoff-Karosserie folgt auffällig streng der einzigartigen Form des Citröen 2CV, des Döschewo, der Ente. Sie ruht auf einem Stahlrahmen und rollt auf schmalen Reifen. Der Fronttriebler wiegt nur 544 Kilogramm kann aber bis zu 363 Kilo zuladen - eine nicht hoch genug zu bewertende Qualität für die anvisierten Zielmärkte. Gelenkt wird mit nichts als Muskelkraft, verzögert wird über zwei Scheibenbremsen vorn und Trommeln hinten - ohne Servo, versteht sich.

Ähnlich wie die Citroën-Ente kommt auch der Chrysler CCV recht hochbeinig daher. Ohne ausreichende Bodenfreiheit gehe in Ländern mit meist unbefestigten Straßen gar nichts, wissen die Chrysler-Entwickler und weisen darauf hin, daß ein praktisches Rolldach, wie im CCV von vorn und hinten zu öffnen, nicht allein der Klimatisierung des Innenraums diene, sondern umfangreiche Transportaufgaben erfüllen kann.

Ein luftgekühltes 800-Kubikzentimeter-Motörchen mit zwei liegenden Zylindern ist im Chrysler CCV mit einer Viergang-Handschaltung gekoppelt. Der Boxer startet mit ähnlich jammerndem Gesang wie einst der Zweizylinder im 2CV. Der CCV ruckt beim Anfahren ebenfalls und schaukelt durchaus vergleichbar über Stock und Stein. Dank einer erheblichen Bodenfreiheit ackert der Kunststoff-Chrysler zuverlässig durchs Gelände und zieht auch darin mit der Ente gleich, die bekanntlich so manchen Studenten durch die Sahara nach Zentralafrika trug. Weil der CCV mit leichtem Kunststoff karossiert ist, gibt sich der kleine Motor mit nur 4,7 Liter Treibstoff auf 100 Kilometer zufrieden. Schließlich arbeitet er ausschließlich zur Fortbewegung von bis zu fünf Passagieren. Alle übrigen Funktionen betreibt der Mensch mit Muskelkraft. Außer einem Heckscheiben-Entfroster ist kein elektrischer Helfer vorgesehen.

Chrysler-Vicepresident Bob Lutz gab den Anstoß für das Projekt. Ein Spielzeug-Modellauto in den Händen spornte er Thomas Moore an: "Wenn Sie es schaffen, ein Auto ebenso leicht zusammenzubauen wie dieses einfache Ding, dann haben wir einen wirklichen Fortschritt erzielt. " Zunächst erforscht Chrysler am CCV die Möglichkeiten der Großserienproduktion. Erst später wird über die Machbarkeit entschieden. Doch eins ist schon heute klar: Die Kunststoffkarosserie aus nur vier Basisteilen im Spritzgußverfahren herzustellen und komplikationsfrei zusammenzufügen, ist möglich. Während die Metallkarosserie eines Kompaktfahrzeugs zwischen 75 und 100 Blech-Preßvorgänge benötigt und nach Anlagen verlangt, die rund 185 000 Quadratmeter Standort beanspruchen, ist die Kunststoffkarosserie des Chrysler CCV in einem nur 28 000 Quadratmeter kleinen Werk zu bauen. Weil beispielsweise auf die Lackiererei verzichtet wird. Der Karosserie-Kunststoff des CCV wird bereits in flüssigem Zustand durchgefärbt und braucht nach einem leichten Parkschaden nicht einmal nachlackiert zu werden. Der CCV wird früher oder später Großserienreife erlangen und die Produktion von Automobilen revolutionieren, wie Chrysler-Techniker heute glauben. Bis dahin müssen die Kunden vor allem überzeugt werden, daß die Unnachgiebigkeit der Kunststoffkarosserie bei einem möglichen Crash nicht auf Kosten der Sicherheit geht. Wenn das gelingt, erwartet die Welt eine Flut von ständig erneuerbaren Karosserieformen über einem einzigen Chassis, weil die Umstellung der Produktion auf ein neues Modell in nur drei Stunden möglich ist.

Von Jürgen Zöllter

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