Chrysler 300M:Weder Sänfte noch Schiff

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Der Nachfolger des Vision präsentiert sich selbstbewußt in der automobilen Oberklasse

(SZ vom 20.05.1998) Die meisten Autos werden beim turnusmäßigen Modellwechsel ein Stück größer, nur der Chrysler 300M, dessen Vorgänger Vision hieß, wurde ein Stück kleiner. Das ist allerdings kein Grund zur Besorgnis, denn der Vision war stolze 5,12 Meter lang, und das neue Modell gehört mit seinen 4,99 Metern immer noch zu den besonders imposanten Erscheinungen auf Deutschlands Straßen. Das 300M-Design wirkt modern und angenehm schlicht: weniger Chrom, mehr Eleganz; kürzere Überhänge, längerer Radstand. Auch im Innenraum geht es jetzt europäisch-funktionell zu. Die Bedienungselemente geben keine Rätsel auf, aber die großflächig applizierten dunklen Kunststoffe haben noch nicht ganz das erwünschte Oberklasseformat, und die Holzverblendungen sehen aus als stammten sie vom Plastikbaum.

Nur zwei Extras auf der Liste

Opulent wie von der Kundschaft erwartet ist die Serienausstattung. Die mit Leder bezogenen Sitze (nur im 300M 2. 7 Basismodell muß man mit Stoffpolstern vorlieb nehmen) sind elektrisch verstellbar, Klimatisierung und Getriebe funktionieren vollautomatisch und auch auf Bordcomputer, Tempomat und Sitzheizung muß nicht verzichtet werden. Ebenfalls im Preis enthalten sind Metalliclack, Alufelgen, Traktionskontrolle, Fensterheber, Sitzmemory sowie eine Höhenverstellung für Lenkrad, Kopfstützen und Gurte. Ab Werk gibt es nur zwei Extras: ein elektrisches Schiebedach und einen CD-Spieler. Nicht lieferbar sind derzeit Sidebags, eine moderne Fahrdynamikregelung und ein integriertes Navigationssystem.

Im Innenraum bietet der 300M mindestens genausoviel Platz wie der Vision, wobei sich vor allem großgewachsene Fahrer über den erweiterten Sitzverstellbereich freuen dürfen. Der variable Kofferraum hat mit 530 Litern S-Klasse-Format. Dank knapper Spaltmaße, bündig abschließender Scheiben und aerodynamisch geformter Außenspiegel hielten sich die Windgeräusche bei den Vorserienwagen in erfreulich engen Grenzen.

Die Einzelradaufhängung des 300M ist eine aufwendige Konstruktion, die dem Komfort ebenso verpflichtet ist wie der Agilität und der Sicherheit. Die vier ABS-unterstützten Scheibenbremsen verzögern spontan und spurtreu. Die Zahnstangenservolenkung arbeitet angenehm direkt und nicht zu leichtgängig. Die Viergang-Automatik stellt den Fahrer vor die Wahl: schalten lassen oder selbst schalten. Für die zweite Alternative ist der Autostick-Modus zuständig, bei dem durch Antippen des Schaltknüppels hoch- oder heruntergeschaltet wird. Die US- Alternative zur Tiptronic verbessert vor allem auf kurvigen Strecken und bei sportlicher Gangart die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine.

Chrysler bietet den 300M mit zwei verschiedenen Motoren an. Das preiswertere Modell, das knapp unter 60 000 Mark kosten soll, wird von einem 2,7 Liter V6 angetrieben. Der Vierventiler mobilisiert 149 kW (200 PS) bei 5900/min und 258 Nm bei 4900/min. Für rund 70 000 Mark bekommt man den voll ausgestatteten 300M 3.5. Der überarbeitete 3,5-Liter-Motor leistet 187 kW (253 PS) bei 6600/min. Das maximale Drehmoment von 340 Nm steht bei 4000/min zur Verfügung. Diese Variante beschleunigt in 8,8 Sekunden von Null auf 100km/h, ist 230 km/h schnell und konsumiert im Durchschnitt 10,7 Liter auf 100 Kilometer. Die Werte für die 2,7-Liter-Version stehen noch nicht fest.

Der 300M 3. 5 geht besser, hat den längeren Atem und mehr Mumm im oberen Drehzahlbereich. Aber er ist auch etwas lauter, klingt kerniger, wirkt weniger seidig und geht etwas hemdsärmeliger zur Sache. Die kleinere Maschine hinterläßt einen harmonischeren Eindruck. Sie hängt eine Spur besser am Gas, ist nicht so sehr auf hohe Drehzahlen angewiesen und geht subjektiv kaum schlechter (Spitze 210 km/h). Motor und Getriebe passen in beiden Fällen gut zusammen, und auch am Fahrverhalten gibt es nicht viel auszusetzen. Der 300M läuft unbeirrbar geradeaus, überzeugt durch seine standfeste Straßenlage, ist für seine Größe erstaunlich handlich und verzichtet im Grenzbereich auf unliebsame Überraschungen.

Die fahrdynamischen Stärken des 300M sind der überdurchschnittliche Federungskomfort, die problemlose Beherrschbarkeit und das harmonisch abgestimmte Chassis, das über hohe Reserven verfügt. Dieser Amerikaner ist weder Sänfte noch Schiff, sondern eine wirklich fahraktive Limousine mit viel Platz und Verwöhnaroma. Schwächen? Starkes Untersteuern am Limit, gelegentlich harte Schaltrucke, ausgeprägte Seitenneigung in sehr schnellen Kurven.

Der 300M kommt im Herbst nach Deutschland, wo der Importeur 1999 1500 Wagen absetzen will. Trotz der geringen Stückzahlen spielt der 300M eine wichtige Rolle als Image Leader, schließlich hat Chrysler ehrgeizige Langfristziele, die eine solide Markt-Positionierung voraussetzen.

Von Georg Kacher

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