Chrysler 300M:Der Amerikaner für Europa

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Fünf-Meter-Limousine mit gutem Fahrwerk, viel Platz und Luxus

(SZ vom 25.07.1998) So viel Hubraum wie in einem europäischen Lkw, so viel Leistung wie in einem Rennauto, so viel Platz wie in einem kleinen Wohnwagen - nach diesem Rezept bauten die amerikanischen Autohersteller jahrzehntelang ihre Limousinen - und dem US-Publikum gefielen sie. Kaum einen störten Fahrwerke, die die Straßenkreuzer zu Dickschiffen auf schwerer See machten. Und der hohe Verbrauch? Texas ist nah.

Doch auch für die Big three (General Motors, Ford und Chrysler) ist Amerika nicht mehr der Nabel der Welt, die großen Firmen agieren als Global player, die weltweit reüssieren wollen. Bei GM und Ford haben die deutschen Töchter die Aufgabe, Autos zu bauen, die nach dem Geschmack des europäischen Publikums sind - dem hatte Chrysler bislang wenig entgegenzusetzen. So ist es kein Wunder, daß die Pkw-Sparte das Sorgenkind von Chrysler war und mit nur 25 Prozent zu den Verkäufen in Deutschland beitrug, während es die Jeeps auf 35 und allein der Voyager auf 40 Prozent brachten. Auch bei der Positionierung hatte Chrysler nicht immer eine glückliche Hand, wenn man etwa an die ursprünglich zu hohe Preisgestaltung beim Neon denkt.

Keine feuchten Hände mehr

Doch nicht erst seit dem Zusammengehen mit Daimler hat sich bei Chrysler die Auffassung durchgesetzt, daß man die speziellen Anforderungen der europäischen Kundschaft bedienen muß. Erstes Beispiel dafür ist der 300M, der heute als neues Topmodell den Vision ablöst.

Vor allem beim Design, beim Fahrwerk und bei den Preisen wird deutlich, daß es Chrysler durchaus ernst ist, sich mit der 5er-Reihe von BMW und der E-Klasse von Mercedes-Benz zu messen. Denn der 300M paßt als Fünf-Meter-Limousine in eine europäische Normgarage, sein Fahrwerk erlaubt es, Autobahnkurven mit sehr hohen Geschwindigkeiten zu durcheilen, ohne dabei feuchte Hände zu bekommen, die Ausstattung ist komplett und die Aufpreisliste rekordverdächtig kurz: Sie existiert nicht, da beinahe alle erdenklichen Luxus-Accessoires zur Serienausstattung gehören: Leder, Klimaautomatik, Sitz-Memory, Tempomat, 320-Watt-Audioanlage - und das alles für 69 900 Mark.

Natürlich muß auch der Motor nicht extra bezahlt werden: ein 3,5-Liter-V6, der nun aus Leichtmetall gebaut ist und eine Leistung von 187 kW (254 PS) bereitstellt. Das Aggregat arbeitet bei niedrigen und mittleren Drehzahlen leise wie ein PC, dessen Lüfter vor sich hin rauscht, beim Kickdown wechselt das Säuseln zu einem metallischen Sirren. Die Viergang-Automatik schaltet butterweich und bringt die Kraft auf die Vorderräder. Um diese trotz Traktionskontrolle zum Durchdrehen zu bringen, muß schon ein Grobklotz am Steuer sitzen. Die "Dip-Stick-Funktion" (der Fahrer kann durch Antippen des Automatik-Knüppels à la Porsche tiptronic selbst herauf- oder hinunterschalten) ist eigentlich überflüssig - aber immerhin gratis.

Keine übertriebene Härte

Bei ersten Fahrten zwischen Eschenlohe und Beuerberg überzeugte vor allem das Fahrwerk: Endlich ist es nicht mehr so weich, wie man dies von anderen amerikanischen Autos kennt - andererseits legten die Chrysler-Ingenieure keine übertriebene Härte an den Tag. Die Lenkung arbeitet ausreichend direkt, die Tempomattasten sind im Volant angeordnet - beste Voraussetzungen für lange, streßfreie Fahrten. Hier noch die Zahlen für die Statistiker: Höchstgeschwindigkeit 230 km/h, Beschleunigung von Null auf 100 km/h in 8,8 Sekunden, Durchschnittsverbrauch 10,7 Liter Super auf 100 Kilometer. Der letzte Wert hat eher theoretische Bedeutung und dürfte sich in der Praxis zwischen zwölf und 14 Litern einpendeln - 1,7 Tonnen und 254 PS fordern ihren Tribut.

Geradezu üppig sind die Platzverhältnisse: Selbst wenn ein Sitzriese am Steuer ist, bleibt im Fond noch bequem Platz für Erwachsene - eine Seltenheit in der Mittelklasse. Der Gepäckraum faßt 530 Liter und läßt sich durch Umklappen der Lehnen noch vergrößern. Bei der Gestaltung der Audioanlage zeigen die Amerikaner, was Ergonomie heißt: Statt vielerlei Knöpfe, die zudem noch mit mehreren Funktionen belegt sind, gibt es einfache Schieberegler für Bässe und Höhen, was das Prädikat vorbildlich verdient. Was fehlt, sind ein Navigationssystem und Seitenairbags.

2000 Exemplare des 300M will Chrysler jährlich in Deutschland verkaufen - das könnte diesmal klappen. Die Geschäfte laufen so gut wie noch nie - für zusätzlichen Anreiz dürfte die Basisversion des 300M sorgen, die im November mit einem 2,7-Liter-V6-Motor, der 149 kW (203 PS) leistet, ausgeliefert wird. Dafür sind 58 900 Mark fällig - als einzige Aufpreis-Option gibt es die Lederausstattung.

Von Otto Fritscher

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