Chevrolet Tahoe:Kein Fall für Stadtindianer

Lesezeit: 3 min

Das Fünf-Meter-Gefährt eignet sich eigentlich nur für den Landadel, der viel Raum hat und braucht

(SZ vom 15.03.2000) Franz Beckenbauer erlag gerade der Verführung und hat ihn sich zugelegt. So fährt der größte am deutschen Markt erhältliche Geländewagen nun auch den Fuhrpark des Bayern-Kaisers an: ein 2,5-Tonner Chevrolet Tahoe mit mehr als fünf Meter Länge und über zwei Meter Breite. Ob Herr Beckenbauer wohl weiß, dass seine 99er-Version in wenigen Monaten ausläuft und nach fünfjähriger Produktionszeit durch eine komplette Neuentwicklung ersetzt wird?

Bei der Detroit Motorshow im Januar ist der neue Chevrolet Tahoe der Weltöffentlichkeit vorgestellt worden - und kaum jemand hat es bemerkt. Denn obwohl er auf der komplett neuen, sogenannten 800er-Plattform von General Motors aufbaut, die bereits seit einem Dreivierteljahr den Full-Size-Pickup Chevrolet Silverado trägt, erkennt man ihn erst auf den zweiten Blick als neues Modell. Geblieben ist seine charakteristische hohe Kühlerfront mit doppelstöckigen Schweinwerfer-Einheiten, seine unvorstellbare Geräumigkeit und sein wuchtiges Format. Geändert wurden optisch nur Details.

Keiner hat den Neuen bemerkt

Seine jetzt weicher abgerundete Karosserie misst 505 Zentimeter in der Länge, 203 Zentimeter in der Breite und 188 Zentimeter in der Höhe. So ist klar, womit ein deutscher Stadtindianer im Tahoe täglich kämpft: mit der Beschränktheit des mitteleuropäischen Parkraums. Und verständlich wird, warum dieses Monstrum nur dem Landadel Freude bereitet, der einen Pferdeanhänger von 3,5 Tonnen an den serienmäßigen Haken nehmen und Equipment bis zu 3348 Liter Volumen (nach Ausbau der Sitzreihen im Fond) verstauen möchte: Weil der bullige Chevi selbst bei voller Zuladung mit bis zu 3084 Kilogramm Eigengewicht noch mit 170 km/h über die Autobahn walzt.

Dazu ermächtigt ihn ein Kraftwerk, das seine amerikanischen Väter in vollem Ernst Small block nennen, in Wahrheit aber ein gewaltiges V8-Aggregat ist, das aus 5,3 Liter Hubraum stolze 201 kW (273 PS) holt und bis zu 427 Newtonmeter Drehmoment bei 4000/min bereitstellt. Zugegeben, es hatte bisher 5,7 Liter Hubraum, und es gab früher tatsächlich einmal die sogenannten Big Blocks mit annähernd acht Liter Hubraum. Der moderne Tahoe-V8 schickt seine Kraft normalerweise an die Hinterachse. Bei Traktionsschwierigkeiten sorgt das elektronisch gesteuerte System Autotrac dafür, dass über eine Viskokupplung auch Drehmoment an die Vorderachse fließt. Es wird schlupfabhängig variabel zugeteilt. Zudem kann ein permanenter Allradantrieb auf Knopfdruck bei jeder Geschwindigkeit zugeschaltet werden. Und für schwieriges Gelände steht außerdem ein Untersetzungsgetriebe zur Verfügung.

Die wesentlichste Neuerung gegenüber dem aktuellen Chevrolet Tahoe besteht im neuen Fahrwerk. Es wiegt durch die Verwendung von Leichtbauteilen - teilweise aus Aluminium - deutlich weniger als bisher. Eine neuentwickelte Fünflenker-Hinterachse, die über Schraubenfedern mit der Karosserie verbunden ist, soll für mehr Komfort und Fahrstabilität sorgen, außerdem sind alle Räder jetzt einzeln aufgehängt. Rundum innenbelüftete Scheibenbremsen mit einem ABS der neuesten Generation dürften angemessene Verzögerungswerte bieten. Und schließlich berücksichtigt das neue Autoride -Dämpfer-Kontrollsystem über variable Stoßdämpferhärten automatisch den Strassenzustand, die Geschwindigkeit und die Zuladung.

Der Bulle unter den Geländewagen am deutschen Markt hebt sich insbesondere durch seinen unvergleichlich üppigen Raumkomfort von seinen Mitbewerbern ab. Bis zu acht Personen finden auf drei Sitzreihen Platz und können sich das Reisen über zwei getrennt regelbare Klimatisierungssysteme und viel Komfort im Detail angenehm gestalten. Selbstverständlich gehören elektrische Fensterheber, Zentralverriegelung, ein schlüsselloses Zugangssystem sowie ein elektrisches Schiebe-Hubdach dazu.

Das Leder wirkt wie Imitat

Dass General Motors für den neuen Chevrolet Tahoe in Deutschland kaum mehr als 90 000 Mark verlangen wird, liegt keineswegs an einer vermeintlich anfälligen technischen Produktqualität, sondern vielmehr am tatsächlich fehlenden Image. Der Tahoe bietet als Nischenfahrzeug eine Menge Komfort, aber leider nur eine geringe Wertanmutung der verwendeten Materialien, mit denen der Kunde ständig in Kontakt kommt: etwa das billige Plastik im Cockpit, die wackeligen Schalter, der zottelige Teppichboden und das Leder der Sitze, das wie Imitat wirkt. Auch kann sich nicht jedermann mit einem Durchschnittsverbrauch von 15,4 Liter auf 100 Kilometer anfreunden.

Da der Tank des bisherigen Tahoe 114 Liter fasst, muss Franz Beckenbauer beim Tankstopp deutlich mehr als 200 Mark für höchstens 600 Kilometer Fahrstrecke hinblättern. Immerhin besitzt der neue Tahoe nur eine Kapazität von 98 Liter, weil er ja auch weniger verbraucht. Der käme dem Kaiser deutlich billiger, wobei fraglich bleibt, ob bei knapp unter 200 Mark an der Tankstelle schon ein kaiserliches Vergnügen aufkommt.

Von Jürgen Zöllter

© N/A - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: