Cadillac Seville STS:Wie aus einer anderen Welt

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Platz im Überfluß bei akzeptablen Verbrauchswerten

(SZ vom 27.11.1993) Ja, wir wissen es: Der Texaner schätzt seinen Cadillac mit Stierhörnern auf dem Kühlergrill, in New York muß es die Stretch-Version mit acht Türen sein - und in Deutschland sind die Besitzer nicht zwangsläufig auch Herrenfahrer. Lang leben unsere Vorurteile, die auch wir erst einmal abstreifen mußten, als ein Cadillac Seville STS auf unseren Hof rollte - oder besser gesagt: glitt.

Irgendwie ist diese Grundhaltung nicht ganz verständlich - schließlich war die nach dem französischen Edelmann Anthoine de la Motte Cadillac benannte Marke ursprünglich der Avantgarde verpflichtet: Hier arbeitete bereits 1906 der erste Vierzylindermotor, 1913 folgte der elektrische Starter und 1915 gab es den ersten Serien-Achtzylinder.

Doch irgendwann fuhren die Cadillac- Modelle in eine falsche Schublade - vielleicht waren sie für das deutsche Gemüt einfach zu groß, zu durstig, zu spektakulär. Und mit exakt diesen Vorurteilen hatte nun auch der Seville STS zu kämpfen: viel zu groß, viel zu durstig, viel zu spektakulär.

Wobei der in einem eleganten dunkelgrün lackierte Viertürer das Wort spektakulär sofort zurückweisen konnte - die 5,18 Meter lange Limousine ließ sich nur wenig von ihrer beachtlichen Länge anmerken. Erst wenn man einen engen Parkplatz entern wollte, oder direkt neben einem Golf oder Mondeo zu stehen kam, wurde einem bewußt, daß dieses Gefährt noch sieben Zentimeter länger als eine neue S-Klasse ist. Allerdings scheint es den Designern in Detroit geglückt zu sein, diese Länge unauffälliger zu verpacken - mit flacher Silhouette und sparsam eingesetztem Chrom wirkt dieser Cadillac sogar nahezu unauffällig.

Die flache Linie merkt man auch im Innenraum - er ist zwar mehr als ausreichend groß, entbehrt jedoch der überwältigenden Üppigkeit, die diese Gefährte dereinst bei den Söhnen und Töchtern so beliebt machten. Im Klartext: Man sitzt kommod auf soliden Einzelsitzen, vermißt jedoch die durchgehende Sitzbank, die - wie so vieles - den Sicherheitsbestimmungen und einer soliden Mittelkonsole mit dem Schaltknüppel des Automatikgetriebes zum Opfer gefallen ist. Auf den hinteren Plätzen wird da schon mehr Raum geboten, während der Kofferraum dem Gepäck einer längeren Reise nur mit durchdachtem Ladeplan gewachsen ist, da er zwar ziemlich tief, aber relativ flach ausgefallen ist.

Womit wir schon den Punkt groß erörtern dürften. Ja, der Seville ist ein großes Automobil, das seinen Besitzer auf Parkplatzsuche in Rothenburg ob der Tauber an den Rande der Verzweiflung treiben dürfte. Es ist jedoch andererseits ein beachtlich elegantes Gefährt, das diese Größe nicht demonstrativ zur Schau trägt, sondern sich geschickt aus allen Fragen der Vernunft und Sozialverträglichkeit heraushält. Und auf den Fernstraßen und Autobahnen (für die er ja in erster Linie gebaut wird) zählen andere Dinge.

Geschaffen für die große Fahrt

Beispielsweise Komfort und Geräuscharmut, wenig Abrollgeräusche und ein sanft schaltendes Getriebe. Und in diesen Punkten darf man dieses Geschöpf aus einer fernen Welt zu den besten seiner Art zählen - mit seinem 4,9-Liter-Achtzylinder (mit vier obenliegenden Nockenwellen) und seinen 220 kW oder 299 PS ist der Seville STS einer der angenehmsten Gleiter schlechthin, der das Walten seiner 32 Ventile nur andeutungsweise in den Innenraum dringen läßt. Die Viergang- Automatik schaltet - wie bei amerikanischen Autos üblich - butterweich, und der typische Klang des Achtzylinders dringt nur gedämpft nach innen.

Achtzylinder aus Detroit = hohe Verbrauchswerte - oder: Was hat es nun tatsächlich mit dem Durst auf sich? Natürlich haben mittlerweile auch in Detroit erste Nachhilfestunden in Sachen elektronisches Motormanagement stattgefunden. Von der elektronischen Benzineinspritzung über die Schubabschaltung bis hin zur ausgeklügelten Getriebesteuerung arbeitet hier viel künstliche Intelligenz daran, die Verbrauchswerte in vernünftigen Grenzen zu halten. Der Erfolg ist bei einem 1,7 Tonnen schweren Fahrzeug jedoch in besonderer Weise vom Gasfuß des Fahrers abhängig - beim hektischen Vollgasgeben und bei voller Ausnutzung der beachtlichen Leistung (240 km/h Höchstgeschwindigkeit - Null auf 100 km/h in 7,6 Sekunden) flossen bis zu 18 Liter durch die Einspritzanlage, beim entspannten Dahingleiten waren elf bis zwölf Liter bleifreier Superkraftstoff auf 100 Kilometer nötig.

Die entspannte Form des Fahrens

Zu dieser entspannten Form des Fahrens sollte der Seville-Fahrer jedoch nicht nur wegen der deutlich niedrigeren Benzinrechnung neigen, sondern auch des einzigen wirklichen Schwachpunkts wegen: Hier sind Fahrwerk und Bremsen doch eher auf das Dahinrollen auf amerikanischen Highways abgestimmt. Alles was über Tempo 160 liegt, goutiert das Raumschiff mit hektischen Bewegungen und nicht immer ganz sattelfesten Bremsen - warum aber sollten die Amerikaner auch für die wenigen deutschen Kunden, die auf ihren Autobahnen so schnell fahren wollen, extra eine eigene Fahrwerksabstimmung entwickeln und bezahlen.

Fazit: Der Seville STS verfügt über viel Eleganz und Understatement, eine Komplett-Ausstattung und ermöglicht jenes seidenweiche Dahingleiten, für das die Amis schon immer berühmt waren. Er verbraucht weniger, als man vermuten könnte - und weist auch nicht die massige optische Präsenz mancher deutschen Konkurrenten auf. Wenn da nicht der Preis von 107 500 Mark wäre, könnte er sich zu einer beachtlichen Konkurrenz entwickeln - so wird er jedoch ein Nischenwagen bleiben.

Von Jürgen Lewandowski

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