BMW 645Ci:Faszination gegen Aufpreis

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Nach langer Unterbrechung setzen die Bayern ihre Coupé-Tradition fort und produzieren nun ein neues Suchtmittel. Das einen denn auch richtig teuer zu stehen kommt.

Georg Kacher

BMW lässt in den wenigen Segmenten, in denen das Geschäft nicht so ganz nach Wunsch läuft, gelegentlich die Zügel schleifen. Das trifft zum Beispiel auf die Sportwagenklasse zu, wo zwischen dem Produktionsende des schwach nachgefragten Z8 und dem Anlauf des neuen Z10 mehr als vier Jahre ins Land gehen werden.

Eigenständigkeit aus München: 645er-Coupé (Foto: Foto: BMW)

Und es gilt auch für die großen Coupés, deren letzter Vertreter - die kontroverse 8er-Reihe - vier Jahre vor dem Verkaufsstart des Nachfolgers eingestellt wurde. Erst Ende 2003 unternehmen die Bayern mit der wiederbelebten 6er-Reihe erneut den Versuch, dem Kunden das Motto "weniger Auto für mehr Geld" schmackhaft zu machen.

Gefährlich dicht an der Schmerzgrenze

Dabei führt BMW den Rotstift allerdings gefährlich dicht an die Schmerzgrenze heran und verlangt für den 645Ci stolze 72.000 Euro - der weitgehend baugleiche 545i kostet 14.400 Euro weniger, der große 745i nur 1500 Euro mehr. Bei dieser Preisgestaltung verwundert es nicht, dass die Frage nach den projektierten Verkaufszahlen unbeantwortet bleibt.

Erst ein Blick in die Langfristplanung verdeutlicht den vollen Umfang des weiß-blauen Optimismus: In den nächsten drei Jahren sollen pro Saison rund 20.000 Coupés abgesetzt werden. Diese Zahl enthält aber auch das Cabrio (von März 2004 an) und drei weitere Motorvarianten: 630Ci, 640Cd und M6

Nach dem Grundpreisschock sorgt ein Blick in die Liste der Sonderausstattungen für weitere Irritation. Die Münchner stellen nämlich selbst bei diesem Spitzenprodukt all jene Dinge gesondert in Rechnung, die den 6er erst zu einem echten BMW machen. Dazu gehören die eigentlich unverzichtbare Aktivlenkung, die Wankstabilisierung Dynamic Drive und eine standesgemäße Mischbereifung im 18- oder 19-Zoll-Format.

Jenseits von Gut und Böse

Als Paket kosten diese Nettigkeiten zwischen 3650 und 4950 Euro. Dazu kommt nahezu zwingend eine aufpreispflichtige Getriebeoption (Automatik oder SMG), das Navigationssystem mit Handy-Anschluss, die Einparkhilfe PDC und eine hübsche Lackierung - macht noch einmal mindestens 6650 Euro. Summa summarum liegt der tatsächliche Gesamtpreis jenseits von Gut und Böse bei mehr als 82.000 Euro. Fürs gleiche Geld gibt es unter anderem einen ähnlich gut bestückten Mercedes CLK 55 AMG...

Suchtgefahr

Das war die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht betrifft die Fahreigenschaften und die Fahrleistungen des 645Ci. Dieses Auto hat Suchtmittelcharakter und sollte rezeptfrei nur in verantwortungsvolle Hände abgegeben werden. Wer sich nicht ganz bewusst am Riemen reißt, der ist nämlich fast immer viel zu schnell unterwegs, denn selbst klassische Angstmacher wie Hundekurven, Spurrinnen und Blaubasalt verlieren im 6er ihren Schrecken.

Woran das liegt? Am ungewöhnlich harmonischen Zusammenspiel von Fahrwerk, Bremse und Lenkung. Und an der souveränen Kraftentfaltung des 245 kW (333 PS) starken 4,4-Liter-V-8-Motors, dem es in fast allen Lebenslagen gelingt, das beträchtliche Leergewicht von 1690 Kilogramm mühelos zu neutralisieren.

Die von uns bewegte Automatikversion spurtet in 5,8 Sekunden von Null auf 100 km/h und wird bei 250 km/h abgeriegelt. Das Werk nennt einen Durchschnittsverbrauch von 11,7 Litern auf 100 Kilometer, doch wenn die Augen zu leuchten beginnen und die Finger vor dem Einlenken unruhig nachgreifen, dann läuft ehrlicherweise unter 20 Liter praktisch gar nichts.

Traditionsreicher Spagat

Der 6er hat keine Luftfederung und keine elektronisch beaufschlagten Dämpfer, keine elektrohydraulische Wunderbremse, kein superschnelles Doppelkupplungsgetriebe und keinen xDrive-Allradantrieb. Trotzdem setzt er Zeichen, die bei abgeschaltetem DSC gelegentlich in Form von blauem Rauch zum Himmel steigen.

Selbst mit den extrabreiten 19-Zöllern, die vor allem aus optischen Gründen fast unverzichtbar sind, schafft das seit Generationen im Prinzip unveränderte BMW-Fahrwerk den Spagat aus magnetisierender Straßenlage und ordentlichem Federungskomfort.

Die Aktivlenkung, die ihre Übersetzung der Geschwindigkeit anpasst, sorgt nicht nur für eine Go-Kart-ähnliche Handlichkeit, sondern auch für ein Höchstmaß an Präzision. Wer bereit ist, sich umzustellen, der kann noch konsequenter auf Zug fahren, die Haftungsgrenze der Reifen gezielter ausloten und eine weniger aggressive Linie wählen. Dynamic Drive unterstützt diesen unspektakulären Fahrstil, indem es die Karosserie ruhig stellt und beim Ausbügeln von Unebenheiten hilft.

Getriebe für alle

Die Getriebewahl ist Geschmacksache. Während der Handschalter etwas zu lang übersetzt ist, werden die Vorteile des reaktionsschnellen sequenziellen SMG-Räderwerks durch die lenkradfesten Schaltknubbel relativiert. Der Sechsgang-Automat ist vor allem im Sportmodus ein kongenialer, weil mit- und vorausdenkender Weggefährte.

Die Schwachpunkte des 645Ci lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen: zu hohe Windgeräusche, zu wenig Platz im schlecht zugänglichen Fond, immer noch zu komplizierte Bedienung - der alte in acht Schieberichtungen bewegliche High Controller kostet jetzt Aufpreis, ein echter iDrive-Treppenwitz.

Auch bei den Werkstoffen und Oberflächen geht BMW einen Weg, der in Bezug auf Qualität, Anmutung und Haptik nicht durchgängig mit dem Maßstab dieser Preisklasse vereinbar ist.

Sie merken schon: Bei der Endabrechnung liegen Lob und Tadel dicht beisammen. Der 6er ist ein sehr teures und optisch gewöhnungsbedürftiges Auto, dessen wahre Faszination sich erst erschließt, wenn man hinterm Drei-Speichen-Lenkrad Platz genommen hat - und nicht mehr aussteigen will.

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