Ob eine Marke wirklich lebt, das merkt man vor allem an den großen und kleinen Extravaganzen, für die sich selbst bei leerer Kasse am Ende noch ein Budget findet.
Alfa Romeo war in den achtziger und neunziger Jahren zumindest scheintot - biedere Pflicht, enttäuschende Kür, eine Existenz am Tropf und ohne Perspektive. Produktmäßig wurde die Wende mit den Modellen 147 und 156 eingeläutet, doch die pure Lust am aufkeimenden Erfolg verdeutlichte erst das viel beachtete Tourenwagen-Engagement.
Seit Sergio Marchionne bei Fiat Auto das Sagen hat, werden jene Entscheidungen Zug um Zug in die Tat umgesetzt, die vom Interims-Chef der Marken Alfa und Maserati, dem ex-BMW-Manager Karlheinz Kalbfell, vorbereitet worden waren.
Comeback der Sternschnuppen
Plötzlich lässt das Unternehmen wieder Sternschnuppen steigen, wie wir sie seit dem Montreal V8 und den GTA von Autodelta nicht mehr erlebt haben. So demonstriert der überzeugende 8C Competizione neben einem gerüttelt Maß an Selbstbewusstsein auch eine für Italien untypische Pragmatik, die aus dem beiläufigen Nebeneinander von Alfa und Maserati eine starke Allianz schmieden will.
Als Nachfolger von Walter de Silva, der zur VW-Gruppe gewechselt ist, leitet jetzt der gebürtige Allgäuer Wolfgang Egger die Alfa-Designabteilung. Die Studios sind neben dem Museum die einzigen Gebäudekomplexe im alten Werk in Arese bei Mailand, wo heute noch gearbeitet wird.
Als die Firma vor vier Jahren rund 4,5 Millionen Euro Verlust machte - pro Tag wohlgemerkt -, wurde die Automobilfertigung in Arese eingestellt. Die Produktion übernahmen andere Standorte, die Verwaltung zog um nach Turin.
Unverwechselbares Gesicht
Wolfgang Eggers Reich wirkt anno 2006 wie eine vergessene Kulisse aus einem späten Fellini-Film: Die Sekretärin könnte es mit Anita Ekberg aufnehmen, ein Modelleur sieht Roberto Benigni wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich. An den Wänden hängen Konstruktionszeichnungen der ersten Giulia, auf kleinen Podesten stehen zwischen Ledersesseln namenlose Holz- und Tonmodelle von Sportwagen, die nie gebaut wurden.
"Der 8C ist ein ganz wichtiges Lebenszeichen für uns", weiß Wolfgang Egger und steckt sich die vierte Marlboro an. "Das Auto verbindet klassische Alfa-Technik mit zeitlosem Design. Wie alle unsere Modelle hat auch dieser Sportwagen ein absolut unverwechselbares Gesicht: zwei Scheinwerfer als Augen, die baffi genannten Schnurrbärte als horizontale Lufteinlässe, dazwischen der Scudetto-Wappengrill."
Das Geheimnis des 8C heißt musetto statt muso - das optische Kindchen-Schema lässt den 331 kW (450 PS) starken Dampfhammer im Rückspiegel des Vordermanns beinahe grazil aussehen. Die Technik des Zweisitzers stammt von Maserati: 4,7-Liter-V8, Cambiocorsa-Getriebe an der Hinterachse, Doppelquerlenker-Radaufhängung.
Angeblich beschleunigt das Leichtgewicht in unter vier Sekunden von null auf 100 km/h und ist schneller als 300 km/h. Der Preis der auf 500 Stück limitierten Sonderserie soll um die 160 000 Euro liegen. Wenn das Ende 2007 lieferbare Coupé bei den Alfisti gut ankommt, will man einen Spider nachschieben.
Hauptwerk in drei Akten
Die Maserati-Connection probt mit dem 8C nur ein erstes zartes Vorspiel. Auf die Ouvertüre folgt demnächst das Hauptwerk in drei Akten: Ein kleiner Quattroporte auf Basis des 166-Nachfolgers, ein kleiner Spider und ein kleines Coupé mit gleicher DNS, aber auf verkürzter Bodengruppe.
Von 2008 an ist die erforderliche neue Premium-Plattform verfügbar, die als Weiterentwicklung des Alfa 159 auch dem 169 zugutekommen soll. Der Komponentensatz mit dem Entwicklungscode N939 wird für Maserati ausschließlich in Form eines heckbetonten Allradantriebs gebaut.
Maserati profitiert von der Alfa-Hardware
Für die Marke Alfa wird es neben dem Q4 natürlich auch eine Q2-Frontantriebsvariante mit selbstsperrendem Differential geben. Braucht Alfa mit 159 und 169 überhaupt zwei Premium-Stufenhecklimousinen? Diese Frage wird in Turin aktuell diskutiert - schließlich findet der betagte 166 pro Jahr nur knapp 1500 Kunden.
Möglicherweise ist es sinnvoller, stattdessen den nächsten 159 rechtzeitig zum US-Start im Jahre 2011 mit etwas mehr Radstand und einem größeren Kofferraum auszustatten. In jedem Fall profitiert Maserati von der Alfa-Hardware, die mit Minimalaufwand das Volumen der Marke mit dem Dreizack ab 2009 mehr als verdoppeln dürfte.
"Was die Strategie betrifft, so ist die Kooperation zwischen Alfa und Maserati ein Beispiel für intelligente Synergieeffekte", doziert Sergio Marchionne. "Wenn unsere Rechnung aufgeht, müssen wir kein weiteres italienisches Werk schließen.
Mehr Sportlichkeit
Maserati wird von 2008 an wieder Geld verdienen und Alfa wird im gleichen Zeitrahmen seine Nettorendite auf vier Prozent ausbauen. Das ist noch kein Grund zum Feiern, aber eine solide Basis. Auch bei den Markeninhalten werden Alfa und Maserati vereint marschieren: Mehr Sportlichkeit ist die Devise hier wie dort.
"Vielleicht können wir uns eines Tages sogar wieder ein mittelgroßes Heckantriebsmodul leisten..." Bis auf weiteres bleibt es freilich bei der Mischung aus Q2- und Q4-Antriebselementen. Die nächste neue Plattform heißt intern 940 und kommt beim Fiat Bravo, beim Lancia Delta und von 2008 an auch beim Alfa 149 zum Einsatz.
Die stärkste Version ist der 149 GTA, dem ein 1,8-Liter-Turbo mit 147 kW (200 PS) auf die Sprünge hilft. Ebenfalls neu sind die Multiair-Motoren mit Direkteinspritzung und variablem Ventilhub. Schon der kleine 1,4-Liter-Turbo leistet stramme 110 kW (150 PS).
Auch der vielleicht wichtigste neue Alfa Romeo stammt aus der Feder von Wolfgang Egger. Die Rede ist vom Junior, dessen Unterbau (Code 199) sich kaum von der Matrix des Fiat Grande Punto und der nächsten Lancia Musa-/Ypsilon-Generation unterscheidet.
Mit dem Junior will Alfa gegen den projektierten Audi A1, gegen den Mini und gegen den geplanten Volvo C10 mobil machen. Der kompakte Zweitürer, der formal eine Mischung aus Coupé und Shooting Brake darstellt, ist auf eine Jahresproduktion von 50.000 bis 60.000 Fahrzeugen ausgelegt.
Mit dem Serienanlauf darf kaum vor Anfang 2009 gerechnet werden, wobei mittelfristig weitere Karosserievarianten angedacht sind - zum Beispiel ein kompakter Sportwagon. Stärkste Junior-Motorisierung wird dem Vernehmen nach ein 1,4-Liter-Multiair-Turbo mit 132 kW (180 PS). In Sachen Diesel ist von einem neuen 1,6-Liter-Common-Rail-Aggregat mit 77 kW (105 PS) und 92 kW (125 PS) die Rede.
Noch unklar ist die Zukunft des geplanten Crossover-Alfa, von dem es auch eine Maserati-Version geben könnte - die entsprechenden Show Cars hießen Kamal und Kubang, verschwanden aber wieder in der Versenkung. O-Ton Turin: Ein SUV kommt für Alfa nicht in Frage, denn dafür ist das Volumen zu klein und die Entwicklung zu teuer.
Einen Soft-Roader mit permanentem Allradantrieb könnte man dagegen mit der vorhandenen Technik darstellen. Unter Umständen hat es Sinn, den GT - der zu dicht am Brera positioniert ist - durch ein sportliches Crossover-Coupé zu ersetzen. Während Alfa über einen Zweitürer im Stil des immer wahrscheinlicheren Audi Q3 nachdenkt, könnte Maserati mit einem dynamischen Fünftürer gegen Q5 und BMW X6 punkten.
Klar ist, dass durch die vielen neuen Modelle die Produktion deutlich steigen wird. Alfa rechnet für 2006 mit einem Absatz von 160.000 Autos, braucht aber angeblich fast 300.000 Einheiten, um wieder schwarze Zahlen zu schreiben - das sind rund 75.000 Fahrzeuge mehr als der historische Höchststand.
Keine leichte Aufgabe für den Markenchef Antonio Baravalle, der im Gegensatz zu seinem Kollegen von Lancia nicht mit der mächtigen Mama Fiat kooperieren kann, sondern auf den Schulterschluss mit dem Juniorpartner Maserati angewiesen ist.