Ausstellung: Ein Jahrhundert Luftfahrtdesign:Der Raum vom Fliegen

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Weil am Rhein ist mit "Airworld" eine fantatstische Ausstellung zum Design des Fliegens gelungen. Man wandelt auf dem historischen Highway der Lüfte.

Holger Liebs

Schnell muss es gehen. In stoischer Gleichmütigkeit unterwirft man sich heute dem logistischen Regime der Flughäfen und ihrer zeichengelenkten Disziplinarmaßnahmen, irrt hastig im Labyrinth der unvermeidlichen Shopping-Ladenzeilen herum, lässt sich dann bis auf den Schlüpfer durchleuchten, wartet schließlich in engen Metallröhren mit ihren ubiquitären "Sixt"-Werbeplakaten, bis auch der lahmste Passagier seine natürlich viel zu großen Koffer in der Kabine verstaut hat, klappt, endlich im Shrink-to-fit-Sitz angelangt, magenquetschende Klapptischchen aus und zieht sich womöglich noch Thrombosesöckchen an ... - nein, so hatten sich im Jahre 1919 die Pioniere der "Airmindedness" und des Reisens auf dem "Highway der Lüfte", die Erfinder der zivilen Luftfahrt, den Traum des weltumspannenden, schwerelosen Reisens wahrlich nicht vorgestellt.

Nick Roericht, Bordgeschirr für die Lufthansa Economy Class, Entwurf 1962-67 (Foto: Foto: airworld)

Schließlich stellte die technische Raumrevolution, die Erde als dreidimensionales Reisenetz, als "Luftozean" nutzen zu können, Ingenieure und Designer im 20. Jahrhundert vor eine der gewaltigsten Gestaltungsaufgaben, die sich je boten.

Von der Terminal-Architektur, die das Dach als fünfte Fassade begriff, bis zum Bordgeschirr, von der Kabinen-Lounge bis zum Airline-Logo, von der Stewardessen-Mode bis zu den futuristischsten Flugzeugtypen atmete die Strategie zur massenhaften Eroberung des Himmels vor allem in der Vor- und Nachkriegszeit ästhetisch den Geist eines ungehemmten Aufbruchs in eine unbekannte Ferne. Dass die Fliegerei immer auch eine Kulturtechnik war und ist, führt jetzt in fast enzyklopädischem Ausmaß die Ausstellung "Airworld" unter dem deutsch-schweizerischen Luftkorridor vor ("Airworld. Design und Architektur für die Flugreise"; Vitra Design Museum; Weil am Rhein; bis 9. Januar 2005. Der hervorragende Katalog kostet in der Ausstellung 39,90 Euro).

Das Eingangstor fürs Abheben stellt bekanntlich der Airport dar, und hier muss Ernst Sagebiels 1936 begonnener Zentralflughafen Berlin-Tempelhof, glaubt man Lord Norman Foster, als "Mutter aller Flughäfen" gesehen werden. Zur Stadt hin mit seinem trutzig-schweren, 1,2 Kilometer langen Halbrund aus Stein als Portal der utopischen Nazi-Kapitale "Germania" dienend, war der zivil nie genutzte Tempelhofer Bau zum Flugfeld hin als technisches Meisterwerk aus Stahl und Glas konzipiert, das nicht zuletzt auch als Symbol des american way of flying gelten konnte - bezeichnend, dass hier noch 1961 Billy Wilders bissige Coca-Cola-Apologie, der Film "Eins, zwei, drei", ihr großes Finale fand.

Auf der Suche nach dem perfekten Flughafen wurden im Laufe des Jahrhunderts dann alle möglichen Stern-, Finger- und Satellitenformen durchdekliniert, wurden Piere, lang gestreckte Monolithen und Tentakel aller Art gebaut, bis sich in Eero Saarinens New Yorker TWA-Terminal (1962) mit seinen weit ausgebreiteten Beton-Schwingen architektonisches Raumgefüge und Mobilitätssymbolik vermählten.

Wie ein sanft gelandeter Ikarus breitet das transparente Terminal seine Flügel aus - und versinnbildlicht als betongewordener Traum vom Fliegen die kinetische Utopie der Moderne wie auch das Ideal einer flügge gewordenen Architektur.

Die mechanische Skulptur des TWA-Terminals zeigt aber auch den Widerspruch, der zum mythischen Ferment der zivilen Luftfahrt wurde: Während die Boden-Hangars luftige Schwerelosigkeit symbolisieren sollen - der Flugzeugbau folgt ohnehin aerodynamischen Ingenieursvorgaben -, müssen in der Flugzeugkabine gemütliche Wohnzimmeratmosphäre und Verweilqualität herrschen.

Anfangs waren es noch üppige Fauteuils, Rattansessel und leichte Stühle von Thonet, die wie in fliegenden Eisenbahnwaggons luxuriösen Reisekomfort boten - etwa in der Zivilversion der Farman F60 Goliath, in der Handley Page HP 42 oder der Dornier DX. Schlafkabinen mit Walnussfurnier, Korkböden, Porzellangeschirr - man kam sich bisweilen vor wie in einem noblen Salon.

Der Designer Norman Bel Geddes wollte den Kabinenschlauch bewusst vergessen machen und "Charme und Fröhlichkeit" verbreiten.

Der Höhepunkt des Salon-Interieurs in der Druckkabine bot fraglos die nie gebaute "Tiger Lounge" für die Boeing 747 (1970) - hier herrschte eine wahrhaft Kubrick'sche "Odyssee-im-Weltraum"-Atmosphäre vor, erweitert um ein so grelles wie bodenständiges Bettvorleger-Ambiente: eine Kuschelzone in der Stratosphäre.

Inzwischen findet man derlei Luxus nur noch in der Business-Class - und allenfalls aseptisch kühl gestaltet, wie im blassblauen Badezimmer-Look des neuen Airbus A380 oder in Ross Lovegroves klinisch weißer, biomorph gerundeter Kunststoff-Liegewabe "Skysleeper Solo" aus dem Jahr 2002.

Anfangs flog man noch wie mit dem Picknickkorb in die Lüfte und bekämpfte aufkommende Flugängste mit dem Lieblingscocktail - inzwischen hat auch im Bordküchen- und Geschirrdesign die Industrialisierung der Luftfahrt Einzug gehalten - wenn auch mit zeitlosen Designs von Otl Aicher, Wilhelm Wagenfeld oder Nick Roericht.

Doch während die kühnsten Flugzeugträume der Gegenwart von breitschwingigen "Nurflüglern" im Grunde nicht viel mehr sind als Filiationen von Norman Bel Geddes' weit vorausweisendem Entwurf des "Airliner Number 4" (1929) und die Airline-Logos seit jeher die immergleichen Mobilitätssymbole aufrufen - PanAm-Globus, SwissAir-Pfeil, Lufthansa-Kranich -, durchlebte ein Design-Objekt im Lauf der Zeit die wohl augenfälligste Metamorphose: die Mode der Stewardessen.

Vor allem in den haute-couture-bewegten 60er Jahren galt die Flugbegleiterin als "Engel auf Erden" - und als modebedingtes erotisches Versprechen. "Coffee, Tea or Me?" hieß ein Bestseller aus dem Jahr 1967, der Glamour, Freiheit und Sexualität zugleich zu versprechen schien - und Dior, Balenciaga oder vor allem Puccis Kollektion für Braniff International zeigten in Op-Art-Mustern, Pelzmänteln oder Raumfahrthelmen aus Plastik, dass damals das Fliegen auch noch sexy sein durfte.

Zugleich zeigte die vom Raumfahrtdesign geprägte Braniff-Kampagne "Air Strip" auch, dass spätestens Ende der 60er der Traum vom Fliegen sich Projektionsräume jenseits der Erdatmosphäre erobert hatte - in den unendlichen Weiten des Weltraums. Und inzwischen sind auch die Stewardessen zu gleichsam transsexuellen Uniformwesen mutiert - dass sie heute frecherweise "Saftschubsen" genannt werden, zeigt, wie sehr die "Airworld" mittlerweile davon entfernt ist, noch Sehnsüchte nach einem besseren Leben, dort oben, in der Luft zu verkörpern.

© SZ v. 12./13.06.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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