Alfa-Romeo Brera:Von den Grenzen der Objektivität

Lesezeit: 4 min

Wie ein Auto seinem Tester eindringlich vor Augen führt, dass das Leben zumeist aus Emotionen, aus Vorlieben und manchmal aus Abneigungen besteht.

Von Georg Kacher

Autotester sind auch nur Menschen. Theoretisch sind wir objektiv und unbestechlich, fachlich über jeden Zweifel erhaben, dazu noch schreiberische Ausnahmeerscheinungen. Doch die Praxis ist stets durchwirkt von Emotionen, von subjektiven Erlebnissen, von Vorlieben und Ablehnung.

Sieht grimmiger aus, als er ist: der Alfa Romeo Brera (Foto: Foto:)

Der Ausweg aus diesem Dilemma? Fakten ungeschminkt vermitteln, Meinung also solche kenntlich machen. Wir versuchen unser Bestes und benutzen den neuen Brera als Mittel zum Zweck.

Wer sich in diesen Alfa nicht auf den ersten Blick unsterblich verliebt, ist entweder blind, nicht vermögend genug oder mehr als 1,95 Meter groß.

Blind muß man sein, um dieser unglaublich schönen Linienführung widerstehen zu können. Vermögend muß man sein, um die zwischen 34.000 und 45.000 Euro angesiedelten Einstandspreise bezahlen zu können. Und man sollte kein Sitzriese sein, denn das Design bestimmt die knappe Kopffreiheit, und das Fondgestühl eignet sich ohnehin nur als Gepäckablage, der man pro Forma Kopfstützen und Gurte spendiert hat.

Betörender Tapir

Der Brera ist das Werk von Giorgetto Giugiaro, der sich mit dem Coupé (und dem davon abgeleiteten Spider, der im Sommer 2006 debütiert) ein spätes Denkmal gesetzt hat. Bei der Transformation vom Show Car zum Serienauto ging nichts verloren von den faszinierenden Proportionen und den liebevollen Details. Schöner kann man einen sportlichen 2+2-Sitzer kaum zeichnen, selbst wenn aus gewissen Perspektiven die Schnauze an einen Tapir erinnert und die Sicht nach schräg hinten mit allen Scheuklappen dieser Welt gesegnet ist.

Klar, auch die Ladekante könnte niedriger sein und der Kofferraum fasst nur 300 Liter - doch Schönheit muss leiden, und wir leiden gern, wenn wir uns dieses Auto in die Garage stellen dürfen.

Bildstrecke
:Alfa Romeo Brera

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Trotz der breiten Leistungs- und Preisspanne sehen alle Varianten gleich hübsch aus: Die vier Auspuffrohre sind ebenso wenig von der Zylinderzahl abhängig wie das Styling der Alufelgen oder das Format der Spoiler.

Bella Italia

Das Interieur hat Ähnlichkeit mit dem 159. So sehen Cockpits italienischer Sportwagen aus: zwei große Rundinstrumente, verstellbares Dreispeichenlenkrad, knackig-kurzer Schalthebel, fünf runde Lüftungsrosetten, bequeme Sitze mit ordentlicher Seitenführung. Dass man die drei Zusatzinstrumente viel besser ins Bild gerückt hat als das schlecht zugängliche Tableau der Klimaautomatik, liegt wohl in der Natur der Sache.

Die Navigations-Telefon-Kombination kostet ebenso Aufpreis wie das Bose-Soundsystem mit CD- und MP3-Spieler, die Lederpolster, die elektrische Sitzverstellung und die Blauzahn-Freisprecheinrichtung.

Ganz neu und sehr verführerisch ist das Sky-View-Glasdach, dessen Rollo sich in drei Stufen öffnen lässt - zugfreies und lichtes Cabrio-Feeling ohne Frisurprobleme.

Hand anlegen bitte!

Der Brera startet Ende Januar als Benziner mit dem 2,2-Liter-Vierzylinder (136kW/185PS) und als 3,2-Liter-V6 (191kW/260PS). Im April folgt der 2,4 Liter große Fünfzylinder-Diesel, der 147kW/200PS mobilisiert. Der V6 besitzt Allradantrieb, die beiden anderen Varianten sind Fronttriebler. Zunächst ist als einziges Getriebe ein Sechsgang-Handschalter lieferbar, doch 2007 folgt eine Siebengang-Automatik.

Der 2.2 JTS beschleunigt in 8,6 Sekunden von 0 auf 100 km/h, ist 222 km/h schnell und konsumiert im Schnitt 9,4 Liter auf 100 Kilometer (Werksangaben). Die Papierform gibt kaum Anlass zum Jubel, doch der Vierzylinder erreicht schon bei 1900/min 90 Prozent des maximalen Drehmoments, und er klingt bei Volllast so gänsehautmäßig begeisternd wie Gianna Nannini und Eros Ramazotti im Duett.

Auch die Leistungscharakteristik des V6 erinnert eher an eine Turbine als an einen Verbrennungsmotor. Den Spurt von 0 auf 100 km/h absolviert das 1630 Kilogramm schwere Coupé in 6,8 Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit beträgt 240km/h, der Mixverbrauch liegt bei 11,5l/100 km.

Satt auf der Bahn

Im Normalfall verteilt der Allradantrieb die Kraft im Verhältnis 53:47 Prozent zwischen Vorder- und Hinterachse, doch bei extremen Reibwertunterschieden ändert sich der Split bis auf 72: 28 beziehungsweise 22 : 78 Prozent. Schlupf- und Traktionsprobleme sind daher selbst in engen Kurven und auf rutschiger Fahrbahn kein Thema mehr.

Der Brera sieht schon im Stand aus wie eine Volksausgabe von Schumis Dienstwagen. Das gute Stück ist 1,37 Meter flach, 1,83 Meter breit (mit eingeklappten Spiegeln) und 4,41 Meter lang. 16-Zöller sind Serie, 17-Zöller gehören zum Sky-View-Paket, doch so richtig ausgefüllt sind die Radhäuser erst mit den optionalen 18-Zöllern.

Selbst mit den fettesten Gummis ist der Alfa kein Nervenbündel, das jeder Spurrille nachläuft und sich mit jedem Kanaldeckel anlegt. Im Gegentum: Die Richtungsstabilität verdient das Prädikat ´linientreu´, die Straßenlage ist von unerschütterlicher Erdverbundenheit, und das Fahrverhalten im Grenzbereich variiert je nach Gaspedalstellung und Lenkeinschlag zwischen moderatem Unter- und dezentem Übersteuern.

Der Fronttriebler wirkt etwas leichtfüßiger und wendiger, der V6 liegt dagegen noch satter auf der Fahrbahn, ist fast frei von Antriebseinflüssen und besitzt besonders reaktionsschnelle Brembo-Bremsen. Beide Modelle sind unerwartet komfortabel abgestimmt.

Ein bisschen Wermut

Schwächen? Der Vorderwagen taucht bei voller Verzögerung deutlich ein, der Federweg des hinteren kurvenäußeren Rades tendiert bei harter Fahrweise gegen Null, die Bremse reagiert auf Stress mit einem weicheren Pedalgefühl.

Autotester sind auch nur Menschen. Deshalb registriert der Autor zwar Kleinigkeiten wie die blendenden Aluapplikation am Armaturenbrett und die deutlichen Windgeräusche, aber er gewichtet sie nachsichtig, denn ihn beeindruckt das Gesamtkunstwerk - auch wenn es gefährlich dicht am kaum weniger attraktiven, deutlich preiswerteren und viel funktionellern Alfa GT positioniert ist.

Wie der GT und der 159 steht auch der Brera für eine Botschaft, die nicht nur den alfisti gefallen dürfte: Die Marke lebt, und sie gewinnt mit jedem neuen Modell an Facetten und Substanz. Wir freuen uns schon auf den Brera GTA, auf den nächsten 147, auf den Nachfolger des 166 und auf den 8C Competizione.

Zuviel des Lobes? Ein bisschen Schwärmerei sollte erlaubt sein. Denn wenn die neuen Autos nichts taugen, dann sind Sie, liebe Leser und "User", die ersten, die es erfahren - großes Ehrenwort.

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